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Wirtschaft: Letzte Weichenstellung vor der Börse

Mit oder ohne? Politik und Unternehmen streiten über 35 000 Kilometer Schienen. Dabei geht es um Milliarden Euro und Tausende Jobs

Berlin - In der vergangenen Woche trieben es die Spezialisten auf die Spitze. Vom „integrierten Börsengang mit Call Option“ fabulierten Verkehrspolitiker, andere setzten lieber auf ein „Eigentumsmodell“, möglicherweise „mit Nießbrauchrecht“. Von „Geschäftsbesorgungsverträgen“ war die Rede, von „Diskriminierungspotenzial“ und, natürlich, von einer „Treuhandoption“. Alles klar?

Die Wähler reiben sich verwundert die Augen – geht es doch nur um ihre gute, 171 Jahre alte Eisenbahn. Ein Schaffner, zehn Waggons, 20 Minuten Verspätung, 100 verärgerte Fahrgäste – so simpel ist die Diskussion über das System Bahn längst nicht mehr. Die Deutsche Bahn AG, nach Post, Telekom und Lufthansa der letzte im Bundesbesitz verbliebene Konzern, soll privatisiert werden. Nur wie, darüber gehen die Meinungen auseinander. Manager, Umweltschützer, Verkehrsforscher, Industrielle, Ministerpräsidenten – alle haben ihre eigene Vorstellung vom Verkauf der Bahn, des größten Arbeitgebers der Republik. Es geht um Milliarden Euro und Tausende Jobs.

Bereits seit zwölf Jahren ist die Bahn ein Kandidat für die Börse. 1994 wurde aus Bundesbahn und Reichsbahn die Deutsche Bahn AG. Die Behörde, die nichts als rote Zahlen hervorbrachte, sollte zu einem wendigen Dienstleister umgebaut werden. Heute, am Ende der Sanierung, muss der Staat zwar noch immer 18 Milliarden Euro pro Jahr in die Schiene stecken – aber immerhin schreibt das Unternehmen Gewinne.

Seit Monaten schwelt nun der Streit darüber, wie die Bahn privatisiert werden kann. Die Politiker sehen die Eisenbahn als eine Art eierlegende Wollmilchsau: Der Verkehr auf der Schiene soll zunehmen, die Kosten sollen sinken und der Verkaufserlös beträchtlich sein.

Es geht vor allem darum, wem in Zukunft das 35000 Kilometer lange Schienennetz gehört – dem Bund oder der Bahn. Bei früheren Privatisierungen war klar, dass sich der Staat früher oder später zurückzieht. Bei der Bahn geht das nicht. Das Grundgesetz zwingt den Bund, für Gleise, Signale und Bahnhöfe die Verantwortung zu tragen – dauerhaft. Das muss er auch, denn der Eisenbahnbetrieb ist fast nie völlig rentabel – weil er die Kosten für den Neubau einer Strecke niemals hereinbekommt.

Trotzdem will die Bahn unbedingt mit Schienennetz an die Börse. So würde sie für Investoren attraktiver. Dem hoch verschuldeten Unternehmen würde frisches Geld zufließen. Dieses sogenannte „integrierte Modell“ bringt Ordnungspolitiker auf die Palme – sie fürchten um den freien Wettbewerb, wenn die Bahn das Netz beherrscht. Und plädieren für das Eigentumsmodell, bei dem der Staat die Schienen behält und sie an die Bahn verleiht. Bis Ende Oktober soll eine Lösung gefunden sein.

Eine noch deutlichere Abtrennung des Netzes, die sich Marktexperten wünschen, hat in der Koalition keine Chance – Union und SPD haben sich auf die beiden Modelle versteift. „Ordnungspolitisch wäre das Trennungsmodell richtig, politisch führt aber kein Weg dahin“, sagt CSU-Bahnexperte Hans-Peter Friedrich. Lobbyisten wie Karl Heinz Däke vom Bund der Steuerzahler fordern von der Politik ein Umdenken. „Es wäre optimal, wenn das Schienennetz vollständig in der Hand des Bundes bliebe. Dann könnten die Personen- und die Gütersparte vollständig verkauft werden“, regte er an. Diese Trennung von Netz und Betrieb brächte kurzfristig die höchsten Privatisierungserlöse. Die beiden noch diskutierten Varianten hält er für nicht optimal.

Andere halten überhaupt nichts vom Verkauf der Bahn. „Das bedeutet eine beispiellose Verschleuderung von Volksvermögen“, findet Werner Reh, Verkehrsexperte beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Zusammen mit Organisationen wie Attac und Robin Wood hat der BUND das Bündnis „Bahn für alle“ ins Leben gerufen, das eine Privatisierung ablehnt. „Die Schienen sind samt aller Neuinvestitionen allein 54 Milliarden Euro wert – der Staat will aber nicht einmal zehn Milliarden Euro dafür nehmen“, bemängelt Reh. Aber auch mit Streckenstilllegungen und höheren Fahrpreisen sei zu rechnen, wenn Private sich in die Bahn einkauften. „Gegen einen so laxen Umgang der Politiker mit dem Geld der Steuerzahler werden wir gerichtlich vorgehen“, kündigte Reh an.

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