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Geschafft. Der Modesdesigner Carl Tillessen ist Mitgründer des Labels „Firma“. Mit einem eigenen Laden hat sich das Unternehmen viel Zeit gelassen. Foto: Paul Zinken

© Paul Zinken

Wirtschaft: Leute machen Kleider

Zur Fashion Week feiert sich Berlin wieder mal als Modestadt. Doch junge Designer haben es schwer, Fuß zu fassen. Wer vom eigenen Label träumt, braucht weit mehr als Talent

Seit ein paar Jahren feiert Berlin sich als neue Modemetropole. Mittlerweile haben sich hier neun Schulen und zahlreiche Boutiquen angesiedelt, es gibt eine junge, innovative Designerszene. Und jetzt, dieser Tage, da feiert man sich noch ein bisschen mehr: Vom 19. bis 22. Januar ist Berlin Fashion Week und die internationale Branche in der Stadt versammelt. Schauen, Messen und Partys stehen auf dem Programm.

Doch die spektakuläre Selbstinszenierung einiger Veranstaltungen lenkt ab von dem, worum es dabei eigentlich geht: Business nämlich. Und das ist in der Regel nicht annähernd so glamourös, wie oft angenommen. Das Geschäft ist hart, der Weg, bis man drin ist, lang, die Konkurrenz groß.

Allein in Berlin verlassen jährlich 400 bis 500 Absolventen die Modeschulen. Dazu kommt der Nachwuchs von Hochschulen anderer deutscher Städte und die mindestens ebenso ambitionierten Studenten aus dem Ausland, aus Ländern wie China, Russland, Japan, USA, Korea, Frankreich und Belgien.

Einige von ihnen entscheiden sich von vornherein gegen den großen John-Galliano-Traum inklusive riesiger Schauen und Blitzlichtgewitter für PR, Journalismus, Einzelhandel oder Ähnliches. Dennoch ist es am Ende eine Großzahl von Abgängern, die nach dem Studium den direkten Schritt in die Selbstständigkeit riskiert, in der Hoffnung sich im internationalen Mode-Dschungel gegen die knallharte Konkurrenz irgendwie durchsetzen zu können. Doch der schnelle Einstieg kann leicht schief gehen.

Ohne Berufserfahrung ein eigenes Label auf die Beine zu stellen, hält Carl Tillessen vom Berliner Label „Firma“ für einen Fehler. Nach dem Studium und vor dem Sturz in die Selbstständigkeit sei es essentiell, zunächst für andere Designer zu arbeiten: „Jeder macht anfangs schlimme Fehler. Die sollten besser auf Kosten anderer gehen“, rät Tillessen.

Auch wenn ein junger Designer eine großartige erste Kollektion präsentiert, mit der er auf Anhieb lukrative Kunden erreicht, ist er noch nicht auf der sicheren Seite. Wenn ihm in der Produktion etwas misslingt, hat er verloren: „Man hat nur eine Chance“, sagt Tillessen. In der Branche kennt man sich, wenn etwas schief läuft, spricht sich das herum. Es wieder in Ordnung zu bringen, ist da nicht drin.

Mit seiner Partnerin Daniela Biesenbach gründete Carl Tillessen 1997 das Label Firma. Vor 14 Jahren, als die Stadt noch weit davon entfernt war, mit einer jungen, aufstrebenden Designerszene in Verbindung gebracht zu werden, wurde den beiden oft die Frage gestellt: Mode aus Berlin? Was soll das sein? Sie haben eine Antwort gefunden, die sich auf dem Markt durchgesetzt hat: zum Beispiel technische Akkuratesse und bodenständige Funktionalität. Heute ist Firma national wie international bekannt für Anzüge, Hosen und Jacken, die als schlicht und raffiniert gelten.

Wenn es um das Designerleben geht, würden gerne Märchen verbreitet, sagt Tillessen. „Manche reden vom Talent, das man braucht. Andere vom Glück. Oder vom Geld. Oder von Disziplin. Man braucht aber alles“, sagt er.

Besonders die Finanzierungsplanung bereitet vielen Probleme. So haben einige hochgelobte Berliner Labels wie Sisi Wasabi, Macqua oder Scherer Gonzalez bereits wieder aufgegeben. Bei manchen gab es Ärger mit dem eigenen Investor, anderen fehlte das finanzielle Durchhaltevermögen. „Die Finanzierungsplanung eines Labels wird oft als Sprint dargestellt, in Wirklichkeit aber läuft man einen Marathon“, sagt Tillessen. Es sei eigentlich nicht zu schaffen, seine zweite oder dritte Kollektion durch die vorherigen Verkäufe bereits zu refinanzieren.

Das liegt daran, dass es auch heute noch enorm schwierig für junge Berliner Designer ist, Einkäufer schnell von sich zu überzeugen. Im Gegensatz zum modeverrückten Japan stehen Händler hierzulande Neugründungen zunächst skeptisch gegenüber: Wird es das Label im nächsten Jahr noch geben? Man wartet ab, bevor man investiert. So müssen Jungdesigner für die ersten Kollektionen beachtliche Geldsummen aufbringen. Allein die Kosten, die für Stoffe anfallen, können sich bei einer Kollektionsgröße von 20 Teilen schnell auf mehrere Tausend Euro belaufen. Hinzu kommen Ateliermiete, Messekosten, Telefon, Strom – von der eigenen Arbeitskraft ganz abgesehen.

Tillessen rät dazu, mit wenigen Kollektionsgrößen zu starten, „mit vielleicht zwei Hosenmodellen oder nur Hemden“. So übernimmt man sich finanziell nicht und kann sich darauf konzentrieren, in Technik, Schnitt und Produktion das richtige Know-how zu erwerben und außerdem ein Alleinstellungsmerkmal herauszuarbeiten: „Jeder Designer muss etwas Besonderes können, eine seltsame Strick- oder Batiktechnik, etwas, das andere nicht können.“ Bei Firma war es das Maßschneidern, das die beiden Gründer von Anfang an beherrschten.

Schaut sich Tillessen Bewerbungen an, die auf seinem Schreibtisch landen, stellt er oft fest: „Einige Hochschulabsolventen weisen die besten Noten vor, in Schnitt und Technik aber sacken sie ab. Das ist schade. Als Designer benötigt man unbedingt Demut vor dem Handwerk.“

Ähnlich wie die Kollegen Kostas Murkudis und Stephan Schneider, sieht auch Tillessen hier ein Versäumnis der Berliner Modeschulen. Zu gering sei das Wissen der Absolventen über die Risiken des Gründens. „Schüler werden regelrecht zur Selbstständigkeit gedrängt. Die Markenneugründungen dienen den Schulen schließlich als wichtige Referenz“, sagt Tillessen. Für ihn spricht das für einen verantwortungslosen Umgang mit den Träumen der Studenten.

Heute arbeiten elf Personen bei Firma, das Label betreibt ein Musteratelier in Friedrichshain. Seit fünf Jahren gibt es das eigene Geschäft in Mitte. Dass die Gründer diesen Schritt erst so spät wagten, war eine bewusste Entscheidung. „Wir wollten sicher sein, dass wir am Ende nicht selbst im Laden stehen und dort nähen müssen. Dann schafft man es nicht mehr, ganze Kollektionen zu entwerfen, auf Messen präsent zu sein, Schauen zu organisieren. Und das bedeutet: Stagnation“, sagt Tillessen.

Ist aber der Zeitpunkt gut gewählt, bietet ein eigenes Geschäft viele Vorteile. Man erhält direktes Feedback von den Käufern, was gut läuft, was nicht und warum. Produzierte Ware, die nicht zur Auslieferung kommt, kann dort verkauft werden. Und – das ist vielleicht mit das Wichtigste – man kann den Stil der eigenen Marke im Zusammenhang präsentieren.

Trotz vieler desillusionierenden Tatsachen würde Carl Tillessen niemanden abraten, ein Label zu gründen: „Wenn man die angesprochenen Punkte beachtet, warum denn nicht?“

Franziska Kluen

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