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Wirtschaft: Lieber einen alten Westwagen als einen Russen frisch vom Band

MOSKAU .Ein erster Aufschrei ging bereits Anfang März durch die Öffentlichkeit: Gerüchten zufolge plane Rußland, künftig nur noch Gebrauchtwagen ins Land zu lassen, die nicht älter als acht Jahre sind.

MOSKAU .Ein erster Aufschrei ging bereits Anfang März durch die Öffentlichkeit: Gerüchten zufolge plane Rußland, künftig nur noch Gebrauchtwagen ins Land zu lassen, die nicht älter als acht Jahre sind.Doch die Wirklichkeit überholte die Gerüchteküche noch um Längen: Nach der neuen Verordnung darf der Zoll ab dem 1.September nur noch Oldies freigeben, die weniger als fünf Jahre auf dem Buckel haben.

Begründet wurde die Maßnahme mit Umweltproblemen.Hiesige Autofahrer können darüber aber nur lachen.In Rußland, wo bisher nur eine von zehn Familien überhaupt einen fahrbaren Untersatz ihr Eigen nennt, hauchen auch schrottreife Vehikel meist erst nach 25 Jahren und mehr auf der Müllkippe ihr Leben aus.Immer wieder wird die "Maschinka" frisch lackiert, notdürftig in eigener Regie repariert und in Anzeigenblättern zum Verkauf angeboten.Selbst dann, wenn sie nur noch zum Ausschlachten taugt.Der eigentliche Sinn der neuen Anordnung zielt denn auch eher darauf ab, die Interessen der einheimischen Automobilhersteller zu bedienen, die in Gebrauchtwagen aus dem Westen ihre schärfste Konkurrenz sehen.Zu recht: Die Ladas oder Schigulis, wie der russische Kleinwagen heißt, waren schon bei der Projektierung des neuen Modells Lada 10 technisch hoffnungslos veraltet.Klimaanlage, leistungsfähige Motoren, elektrische Fensterheber, Autoradio oder Schiebedach - bei westlichen Kleinwagen meist Standard - sind in Rußland nur gegen horrendes Aufgeld erhältlich.Für die klobigen Wolgas sind allein bei der Grundausstattung 13 000 DM zu berappen: fast soviel wie für einen nagelneuen VW-Passat.Dazu kommen hoher Verschleiß, häufige Werkstattbesuche sowie hoher Benzinverbrauch.Lieber eine siebenjährige "Inomarka" - ein Westwagen - als ein frisch vom Band gelaufener Einheimischer, lautet daher das vernichtende Urteil des Normalverbrauchers.Die einheimische Industrie bekam die Skepsis bereits zu spüren: Ganze 15 200 Pkws wurden im letzten Jahr in Rußland hergestellt.

Der Gebrauchtwagenhandel indessen ist eine der wenigen Branchen, die schwarze Zahlen schreibt.Viele darbende Wissenschaftler und Ärzte haben den weißen Kittel an den Nagel gehängt und durchsuchen deutsche Gebrauchtwagenmärkte nach älteren Billigangeboten, die sie dann gen Rußland kutschieren und an Zwischenhändler verhökern.Diese - meist ehemalige Ingenieure und Kfz-Techniker - haben kleine Werkstätten aufgemacht, wo die Importe für den Weiterverkauf aufgemotzt werden.Ihre Existenz ist durch das neue Gesetz bedroht.Auch die Mafia muß mit empfindlichen Einbußen rechnen.Sie fordert von den "peregonschtschiki" - Landsleuten, die mit ihrer Neuerwerbung auf dem Rückweg nach Rußland sind - Wegezoll von mindestens 150 Dollar.Auch Airlines und die Eisenbahn rechnen mit einem deutlichen Rückgang der Buchungen bei one-way-tickets.Vor allem aber die großen finnischen Reedereien klagen: 80 Prozent der Plätze auf den Autofähren, die mehrmals wöchentlich zwischen Lübeck und Helsinki verkehren, buchten bislang Russen.

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