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Wirtschaft: Lipobay und die Folgen: Wettlauf mit dem Tod

Der Schock sitzt tief: 52 Tote weltweit, allein sieben in Deutschland und über 1000 weiter Fälle von schweren Nebenwirkungen sollen auf das Konto des Bayer-Medikaments Lipobay gehen. Das lässt nicht nur Patienten und Ärzte, sondern auch die forschende Arzneimittelindustrie ins Grübeln geraten.

Der Schock sitzt tief: 52 Tote weltweit, allein sieben in Deutschland und über 1000 weiter Fälle von schweren Nebenwirkungen sollen auf das Konto des Bayer-Medikaments Lipobay gehen. Das lässt nicht nur Patienten und Ärzte, sondern auch die forschende Arzneimittelindustrie ins Grübeln geraten. "Das der Vorfall Betroffenheit in der Branche hervorruft, ist selbstverständlich", sagt die Hauptgeschäftsführerin des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller (VfA), Cornelia Yzer.

Fast noch schwieriger als die Ursachenforschung ist die Antwort auf die Frage, ob und wie tragische Fälle wie Lipobay in Zukunft verhindert werden können. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) setzt auf einen obligatorischen Arzneimittelpass. Das sei nichts als "oberflächlicher Aktionismus", kritisiert Thomas Isenberg, im Bundesverband der Verbraucherzentralen zuständig für Gesundheit und Ernährung. Dass Problem der Arzneimittelsicherheit sei doch, sagt Isenberg, "dass die Medikamente zu schnell auf den Markt kommen". Der Verbraucherschützer fordert daher, die Zulassungsbestimmungen für neue Medikamente weiter zu verschärfen.

Davon wollen die forschenden Arzneimittelhersteller nichts wissen. "Nationale Alleingänge können nur wenig bewirken", sagt VfA-Hauptgeschäftsführerin Yzer, deren Verband zwei Drittel der deutschen Pharmaumsätze repräsentiert. Stattdessen schlägt Yzer vor, ein europaweites Frühwarnsystem für Arzneimittelnebenwirkungen aufzulegen - für die Zeit nach der Zulassung. Eine europäische Datenbank für Arzneimittelüberwachung soll mehr Transparenz herstellen. "Das wichtigste in der Branche ist das Vertrauen", sagte Yzer. "Dass auch ökonomische Gesichtspunkte bei diesen Dingen eine Rolle spielen, ist klar."

Wie böse Forderungen nach einer schärferen Zulassung die Pharmaindustrie - und die Patienten - treffen können, zeigt das Beispiel USA. Ein 1992 eingeführtes beschleunigtes Prüfverfahren der Zulassungsbehörde FDA hatte Ende der neunziger Jahre dazu geführt, dass viele Medikamente wegen schwerer Nebenwirkungen zurückgezogen werden mussten. Die FDA zog die Konsequenz - und verschob die Risiko-Abklärung in die Zeit vor die Marktzulassung.

Die Pharmakonzerne stellt das vor ein riesiges Problem: Durch die intensivere Prüfung verlängert sich die Zulassungszeit für neue Medikamente - und das ist teuer. Schon jetzt vergehen bis zu zwölf Jahre, bis ein Arznei-Kandidat aus dem Labor auf den Markt kommt. Die Entwicklung eines einzigen Medikaments verschlingt nach Angaben von Boston Consulting mittlerweile bis zu 800 Millionen Dollar.

Bei einem Umsatzziel von weltweit 300 bis 600 Millionen Mark pro Jahr schlägt jeder Tag an Verzögerung mit ein bis zwei Millionen Mark zu Buche. Ein Aufschub der Zulassung um ein halbes Jahr würde den kalkulierten Gesamtgewinn um fast ein Drittel mindern.

Pharmaunternehmen wie Pfizer, Merck, Asta Zeneca, aber auch Bayer tendieren daher dazu, sich auf wenige umsatzstarke Medikamente ("Blockbuster") zu konzentrieren, diese so schnell wie möglich zur Marktreife zu treiben und nach der Zulassung aggressiv zu vermarkten.

Der Gedanke an eine längere Zulassungszeit auf nationaler Ebene treibt Pharmavertretern wie Andreas Bahner, Forschungs-Vorstand von Boehringer Ingelheim, Sorgenfalten auf die Stirn. "Wir bräuchten mindestens 300 000 Patienten zusätzlich, um in klinischen Studien seltene oder tödliche Nebenwirkungen frühzeitig zu erkennen", sagt Bahner. "Das ist nicht zu bezahlen." Hinzu kommt, dass Patienten mit bislang unheilbaren Krankheiten wie Rheuma oder Krebs so schnell wie möglich auf neue Medikamente angewiesen sind. "Es wäre unrealistisch, länger zu prüfen", sagt Jürgen Frölich, klinischer Pharmakologe an der Medizinischen Hochschule Hannover. "Das wäre innovationsfeindlich."

Bis zu 25 000 Todesfällen werden nach Angaben Frölichs jährlich durch Arzneimittel-Nebenwirkungen verursacht. Etwa die Hälfte davon sind nach seiner Schätzung auf Fehldosierungen zurückzuführen. Frölichplädiert daher nicht nur für bundesweite Informationsstellen über Arzneimittel, sondern auch für eine bessere Ausbildung der Mediziner. "Die Ausbildung für Ärzte in Deutschland", sagt er, "ist katastrophal."

Maren Peters

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