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Lokal am Berliner Mehringdamm: In der Destille gibt's Hochprozentiges aus Bayern

Der Erdgeist lebt: Für einen Brenner aus Bayern wird die Berliner „Destille“ zum Glücksfall. In Brandenburg kämpft ein anderer ums Überleben.

Berlin - Wie Kneipen im alten West-Berlin aussahen – in der „Destille“ am Mehringdamm kann man es noch sehen. Holzvertäfelte Wände, Hertha-Fahnen und hinter dem Tresen ein Arsenal an Alkohol: Dutzende Likörflaschen hängen kopfüber an der Wand, sie geben der „Destille“ ihren Namen. Bis in die 80er Jahre brannte der damalige Wirt seine Liköre selbst. Josef Rieß, der die „Destille“ beliefert, hat eines der alten Rezepte übernommen: den Erdgeist – einen Magenbitter. „Der hat 1937 die Goldmedaille bei der Weltausstellung in Paris gewonnen“, sagt der 61-Jährige. Neben der Kreuzberger Kneipe beziehen in Berlin auch die „Dicke Wirtin“ in Charlottenburg und einige andere Lokale Hochprozentiges von Rieß. Ein bayerischer Brennereibetreiber, der Ur-Berliner Kneipen beliefert.

Was merkwürdig klingt, entpuppt sich für Rieß nach dem Ende des Branntweinmonopols als Glücksfall. Er beliefert nicht nur Berliner Kneipen; insgesamt bietet er deutschlandweit 170 Kunden rund 40 Liköre und 30 Brände an. Durch die Vermarktung des selbst produzierten Alkohols ist Rieß mit seiner Abfindungsbrennerei vom Wegfall des Branntweinmonopols überhaupt nicht betroffen. Den Rohalkohol veredelt er zu Likören und Bränden – an die Bundesmonopolverwaltung für Branntwein (BfB) verkauft er ihn, wenn überhaupt, nur sehr selten.

Komplizierter ist die Lage bei der Brennerei Sellendorf in Brandenburg. Im Oktober 1998 kaufte Klaus Neumann den ehemaligen Treuhandbetrieb, seitdem brennen sie in der Verschlussbrennerei Rohalkohol aus Getreide. Zwar vertreiben auch sie alkoholische Endprodukte, das Sellendorfer Korn zum Beispiel. Doch die Firma steht dabei in einem ungleich stärkeren Konkurrenzkampf mit großen Unternehmen als Rieß mit seinen exklusiven Tropfen.

Als zweites Standbein diente daher bisher der Verkauf von Rohalkohol zu festgelegten Preisen an die BfB. Bei den Brandenburgern lagen zuletzt allein die Produktionskosten deutlich über dem Verkaufswert für Rohalkohol auf dem freien Markt. Neumann rechnet damit, dass durch den Wegfall des Monopols ein Viertel des Umsatzes wegbricht. „Uns bleiben nur drei Möglichkeiten“, sagt er. „Wir verschrotten den ganzen Laden, wir erhöhen die Kapazitäten oder wir konzentrieren uns auf die Vermarktung von fertigen Produkten.“ Letzteres wird wohl die Strategie der Sellendorf Brennerei sein. Damit steht der Brandenburger Betrieb zumindest nicht vor dem Aus.

Josef Rieß profitiert im Grunde genommen sogar von der Entwicklung: Viele kleinere Mitbewerber verschwinden vom Markt, so dass sein Kundenstamm möglicherweise noch wächst. Und so kann er auch in Zukunft weiter Liköre und Brände an Lokale in ganz Deutschland liefern – auch an die „Destille“ am Mehringdamm.

Fritz Zimmermann

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