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Wirtschaft: Londoner Luftschlösser

Der Traum vom Hausbesitz hat die Preise in der Metropole nach oben getrieben – jetzt droht ein Crash

Von Markus Hesselmann

Henning Wehn, ein deutscher Komiker in London, bringt das Problem so auf den Punkt: „My English friends are owned by a house“ (Meine englischen Freunde gehören einem Haus). Auf ausländische Beobachter wirkt es tatsächlich so, als ob sich auf der Insel die Verhältnisse umgekehrt haben: Der Immobilienbesitz beherrscht das Leben der Briten. Wer zur Miete wohnt, muss sich fast als Bürger zweiter Klasse fühlen. Für ihre eigenen vier Wände legen die Briten sich krumm. Umso härter wirken sich Preisschwankungen auf dem Immobilienmarkt in diesem Land der Hausbesitzer aus.

Jahrelang kannte der Markt im Vereinigten Königreich nur eine Richtung: nach oben. Dominic White, Analyst der ABN-Amro-Bank und früher im britischen Finanzministerium tätig, warnt schon länger vor einer Überhitzung und deren Folgen. „In Großbritannien sind die Hauspreise in den vergangenen zehn Jahren um 180 Prozent gestiegen“, rechnet White vor. Zum Vergleich: In den USA stiegen die Preise im selben Zeitraum um 105 Prozent, in Deutschland blieben sie vergleichsweise stabil. White ist der Überzeugung, dass der extreme Anstieg in Großbritannien mit herkömmlichen Gründen wie erhöhter Nachfrage, zum Beispiel durch Einwanderung, oder zu geringem Angebot, weil zu wenig gebaut wird, nicht hinreichend zu erklären ist. Für ihn gibt vor allem Spekulation den Ausschlag: die Aussicht, durch An- und Verkäufe möglichst schnell möglichst viel Geld zu verdienen.

Das hat fatale Folgen für ganze Bevölkerungsgruppen: „Erstkäufer werden aus dem Markt gedrängt“, sagt White. Wenn Spekulanten die Preise in die Höhe treiben, ist es für Normalbürger – vor allem für junge Familien, Berufseinsteiger, Existenzgründer – fast unmöglich, überhaupt „den Fuß auf die Immobilien-Leiter zu bekommen“. Das Bild vom „foot on the property ladder“ ist auf der Insel zurzeit eines der populärsten geflügelten Worte in Fernsehkommentaren, Wirtschaftsanalysen und Politikerreden. White gibt der Bank of England einen Teil der Schuld an der Überhitzung. Durch ihre Politik der vergangenen Jahre, die Zinsen zu senken, sobald der Immobilienmarkt etwas abkühlt, habe sie den Anschein erweckt, die Hauspreise in jedem Fall stützen zu wollen. Dadurch seien Erwartungen auf weiter steigende Gewinne geschürt und Spekulationen befördert worden.

Die weltweite Kreditkrise, ausgelöst im vorigen Jahr in den USA, wirkt sich jetzt in Großbritannien in anderer Richtung auf die Preise aus: nach unten. Der Beinahe- Crash des englischen Bankkonzerns Northern Rock hat dazu geführt, dass vorsichtiger Geld verliehen und dadurch weniger investiert wird. Die Nachfrage auf dem Immobilienmarkt sinkt, die Preise fallen. In London ging der durchschnittliche Verkaufswert von Immobilien nach einem Bericht der Zeitung „Evening Standard“ zuletzt innerhalb eines Monats von rund 615 000 auf rund 570 000 Euro zurück. Für angehende Erstkäufer ist das eine gute Nachricht, für Hausbesitzer eine schlechte – vor allem für die, die ihre Immobilie in den zurückliegenden Zeiten hoher Preise gekauft haben. Ohnehin sind viele britische Haushalte aufgrund der horrenden Lebenshaltungskosten bei gleichzeitiger hoher Konsumlust überschuldet. Als einzige Sicherheit schlägt bei vielen Briten das eigene Haus zu Buche – oft auch als wichtige Altersvorsorge. Wenn der sauer erarbeitete Besitz, abgestottert mit hohen Hypothekenraten, an Wert verliert, geraten ganze Lebensentwürfe ins Wanken. „Was wir jetzt erleben“, so sagt Dominic White, „ist noch nicht einmal der Anfang einer Marktkorrektur.“ Sieht er etwa Signale für einen bevorstehenden Crash? Als vorsichtiger Analyst will sich White da lieber nicht festlegen. „Solche Entwicklungen sind sehr schwer vorherzusagen.“

Kaufwütige britische Investoren schauen indes immer häufiger auf den Kontinent. Berlin gehört inzwischen zu ihren bevorzugten Zielgebieten. Auf speziellen „Berlin-Messen“ werden in britischen Großstädten Immobilien aus Prenzlauer Berg, Mitte, Schöneberg und anderen Bezirken angeboten. Ein Zeitungskommentator hat unlängst die Lage auf dem Immobilienmarkt in Berlin mit London in den Neunzigerjahren verglichen. In der deutschen Hauptstadt seien demnächst ähnliche Gewinnsprünge zu erwarten wie in der britischen in den vergangenen Jahren, hieß es da. Wenn das arme Berlin da mal nicht schwer überschätzt wird.

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