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Wirtschaft: Lückenbüßer

Gewerkschaften fordern eine Tariferhöhung für Staatsdiener – im Gegensatz zur Politik sehen sie noch Spielraum

Die Positionen liegen weit auseinander. „Gutes Geld für gute Arbeit“ reklamiert die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. „Die Forderung der Gewerkschaft richtet sich gegen die Bürger“, wehren die Arbeitgeber ab. Am kommenden Freitag machen sich die Tarifpartner auf die Suche nach der goldenen Mitte. Auf der einen Seite Verdi-Chef Frank Bsirske, der erstmals die Verhandlungen führt und entsprechend unter Erwartungsdruck steht. Bsirske weiß, dass der letzte Abschluss im öffentlichen Dienst vor zwei Jahren den Anfang vom Ende des damaligen ÖTV-Chefs Herbert Mai markierte. Die Mehrheit der ÖTV-Funktionäre nahm Mai die relativ bescheidene Einkommenserhöhung übel, ein paar Monate später trat er zurück. Bsirske übernahm die schwierige ÖTV und führte sie in die vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Jetzt ist er am Zug, ein Abschluss unter drei Prozent dürfte Bsirske, der im kommenden Jahr wieder gewählt werden will, eine Menge Ärger einbringen.

Bloß kein Streik vor den Wahlen

An Krawall haben auch die öffentlichen Arbeitgeber um Bundesinnenminister Otto Schily kein Interesse. Aller Voraussicht nach wird sich die Tarifrunde ins neue Jahr hinziehen, dann ist Wahlkampf in Niedersachsen und Hessen. Streikende Müllmänner oder Krankenschwestern kann da niemand brauchen. Doch geräuschlos wird der Poker um mehr Geld für die Staatsdiener gewiss nicht. Die Arbeitgeber argumentieren mit den leeren Kassen, eine Erhöhung um mindestens drei Prozent würde nach ihren Berechnungen die Personalkosten um sechs Milliarden Euro erhöhen. In dem Fall seien Kündigungen unvermeidbar. Bochums Oberbürgermeister Ernst-Otto Stüber, der für die Kommunen verhandelt, argumentiert geschickt mit Volkes Stimme: „Wir können nicht den Bürgern höhere Steuern abnehmen und in die Taschen der Beschäftigten stecken.“

Erhard Geyer, Chef des Beamtenbundes, sieht das natürlich anders. Während die Einkommen aller Arbeitnehmer hier zu Lande seit 1975 um gut 30 Prozent gestiegen seien, habe der öffentliche Dienst „lediglich eine Steigerung von 10,6 Prozent verzeichnet“. Und überhaupt: „Mindestens 1,6 Milliarden Euro werden bis 2008 einbehalten, indem das Weihnachtsgeld (für Beamte) mit Festschreibung auf dem Stand von 1993 auf jetzt 86,3 Prozent im Westen und 64,7 Prozent in den neuen Bundesländern abgesenkt wurde.“ Mehr als 1,7 Milliarden Euro würden durch Änderungen im Versorgungsrecht und 870 Millionen Euro durch Änderungen im Beihilfebereich „in die Kassen gespült“. Dass die Staatsdiener von der Einkommensentwicklung abgekoppelt wurden, wie Geyer für die letzten 27 Jahre berechnet hat, dementiert das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Nach dessen Angaben sind die Tarifverdienste im Westen seit 1991 um 30 Prozent gestiegen, der öffentliche Dienst legte knapp 27 Prozent zu. „Im Osten gibt es für die Staatsdiener überhaupt keinen Grund zu meckern“, weil der Staat bei den Einkommensentwicklung dort „mehr Tempo“ als die gesamte Wirtschaft gemacht habe. In der aktuellen Runde wollen Verdi und Beamtenbund übrigens eine Angleichung der Osteinkommen an Westniveau bis spätestens 2007 verabreden.

Das IW schlägt vor, als Orientierungsgröße für den öffentlichen Dienst die gesamtwirtschaftliche Produktivität heranzuziehen, die von den arbeitgebernahen Ökonomen für 2003 bei zwei Prozent veranschlagt wird. „Abzüglich eines Abschlags für die kleinen und großen Privilegien“ kommt das IW auf einen Tarifabschluss von 1,5 Prozent. Mehr nicht. Zu den Privilegien zählt das Senioritätsprinzip, wonach die Beschäftigten im öffentlichen Dienst alle zwei Jahre eine Lohnerhöhung bekommen, weil sie älter werden. Ferner werden das vergleichsweise geringe Beschäftigungsrisiko und die Altersvorsorge unter Privilegien verbucht. Beamte kriegen im Ruhestand 71,75 Prozent ihrer letzten Brutto-Bezüge als Pension, sofern sie 40 Dienstjahre absolviert haben. Ein westdeutscher Arbeitnehmer, der 40 Beitragsjahre auf dem Buckel hat, kommt bei seiner Rente auf 66,6 Prozent des durchschnittlichen Nettoentgelts. Bei den „normalen“ Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes sieht es sogar unter Umständen noch besser aus als bei den Beamten. Nach IW-Angaben wird die Rente der Arbeiter und Angestellten bei den über 55-Jährigen auf bis zu 91,75 Prozent des letzten Nettoentgelts angehoben.

Rüdiger Parsche, beim Münchner Ifo Institut für den öffentlichen Sektor zuständig, veranschlagt die Privilegien der Staatsdiener mit 0,5 Prozent. Anders gesagt: Wenn die diesjährigen Tarifabschlüsse in der Privatwirtschaft im Schnitt bei drei Prozent liegen, sei für die öffentlichen Arbeitnehmer 2,5 Prozent angemessen, eine Nullrunde nicht. „Man kann wegen der Haushaltslücken nicht die Beschäftigten prügeln“, meint der Ifo-Ökonom. Schließlich werde auch nicht von den Bergarbeitern, die seit 20 Jahren von Kohlesubventionen lebten, der Verzicht auf Lohnerhöhungen verlangt.

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