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Ausgangspunkt. Gut 1000 Flüge gehen täglich von Istanbul in alle Welt. Und es werden immer mehr. 2023, zum 100. Geburtstag der türkischen Republik, soll der neue Flughafen in Betrieb gehen. Dann sind 2000 Flüge am Tag möglich.

© REUTERS

Luftverkehr: Der fliegende Koch ist wieder da

Mit gutem Service, günstigen Preisen und dem Drehkreuz Istanbul ist Turkish Airlines extrem erfolgreich. Eine enge Kooperation mit der Lufthansa ist in Arbeit.

Europas Fluggesellschaften fürchten die wachsende Konkurrenz vom Persischen Golf oder verbünden sich mit den Wettbewerbern. Doch von der Öffentlichkeit fast unbemerkt ist ihnen jetzt bereits auf halber Strecke nach Abu Dhabi, Doha oder Dubai ein neuer Wettbewerber entstanden. Turkish Airlines steuert auf Wachstumskurs, fliegt kräftige Gewinne ein und ist dabei, Istanbul zum größten Luftverkehrsdrehkreuz Europas auszubauen.

Seit 2005 ist Temil Kotil Chef der teilprivatisierten Fluggesellschaft (Staatsanteil 49,12 Prozent). Als er kurz nach seiner Amtsübernahme verkündete, er wolle Turkish zur besten Airline der Welt machen, wurde er in der Branche belächelt. Heute hat der 53-jährige Flugzeugbau-Ingenieur große Teile seiner Vision verwirklicht. Das Passagieraufkommen ist kontinuierlich gestiegen, allein in diesem Jahr um 23 Prozent auf 40 Millionen Reisende. Der Umsatz wird 2012 bei umgerechnet 8,1 Milliarden Dollar liegen, gut eine Milliarde über dem Vorjahr. Kam man 2011 wegen hoher Investitionen nur auf einen Nettogewinn von elf Millionen Dollar, waren es bis Ende September dieses Jahres bereits 484 Millionen.

Seit 2006 hat sich die Flotte auf 201 Flugzeuge verdoppelt. Allein 2012 wurden 31 neue Verbindungen eröffnet, das Streckennetz umfasst 216 Ziele in 96 Ländern, darunter elf Städte in Deutschland. 2013 werden auch hier die Frequenzen weiter erhöht, Friedrichshafen kommt als zwölftes Ziel dazu. Anders als bei den Golfstaaten gibt es im Flugverkehr zwischen der Bundesrepublik und der Türkei keine Restriktionen.

Dennoch spricht man über eine engere Kooperation mit der Lufthansa. Der ist Turkish bereits durch die Mitgliedschaft in der Star Alliance und die gemeinsame Tochterfluggesellschaft Sun Express verbunden. Sogar von einer gegenseitigen Beteiligung ist die Rede, doch Kotil will sich nicht zu den Verhandlungen äußern. Es handele sich um ein „aktives Projekt“, das aber „noch nicht entwickelt“ sei.

Rund 1000 Flüge pro Tag verbinden Istanbul mit dem Rest der Welt. Jeder fünfte Fluggast steigt mittlerweile in der Bosporus-Metropole um. In diesem Jahr stieg der Anteil der Transitpassagiere um 30 Prozent auf 8,1 Millionen. 34 neue Ziele sind für 2013 geplant, für die Hälfte davon stehen die Daten der Eröffnungsflüge schon fest.

„Was wir machen, mag verrückt erscheinen“, sagte Kotil dem Tagesspiegel bei einem Besuch in Istanbul auf Einladung von Turkish Airlines. „Wir wachsen aggressiv, aber wir stellen sicher, dass wir dabei Gewinn machen, und investieren in die Zukunft.“ Istanbul sei ein natürliches Drehkreuz, Europa, der Mittlere Osten sowie weite Teile Asiens und Afrikas liegen von dort in der Reichweite von Mittelstreckenjets.

Entscheidend für den Erfolg ist neben einem umfangreichen Streckennetz und günstigen Preisen das Wohlbefinden der Fluggäste, so Kotil. „Wir lieben unsere Passagiere.“ Die seien seine „40 Millionen Vorgesetzten“. Turkish verzichtet auf den Verkauf zollfreier Waren an Bord, für viele Wettbewerber eine zusätzliche Einnahmequelle. Die Flugbegleiter sollen nicht damit belastet werden, Geld für die Firma verdienen zu müssen, sondern sich voll auf den Service konzentrieren.

Einen Partner in Sachen Wohlfühlerlebnis hat Kotil in Attila Dogudan gefunden. Der ist Chef der Wiener DO-&-CO-Gruppe, die neben Event-Catering, unter anderem für die Formel 1 und Restaurants wie die Hofbäckerei Demel, auch Flughafen-Lounges und Luftverkehrs- Großküchen betreibt. Seit 2006 kümmert sich das Joint Venture Turkish DO & CO um die Bordverpflegung der Fluggesellschaft. Das nennt Dogudan nicht schnöde Catering, sondern Gourmet Entertainment. Alle Speisen würden mit frischen Zutaten zubereitet, Tiefgefrorenes ist ebenso verpönt wie vorkonfektionierte Lebensmittel. Den fliegenden Koch aus der Zeit der Propellerflugzeuge hat Dogudan einst für die Business Class auf der Langstrecke von Austrian Airlines wiedererfunden. Bei Turkish Airlines gibt es ihn jetzt selbst auf Kurzstreckenflügen. Der Koch kümmert sich um das fachgerechte Erwärmen und Servieren der Speisen, die klassischen Flugbegleiter haben mehr Zeit, sich den Passagieren zu widmen.

Bei Turkish kümmern sich die fliegenden Chefs auch um die Economy-Passagiere im hinteren Teil der Kabine. Denn die machen 90 Prozent der Kunden aus, werden von vielen anderen Airlines aber sträflich vernachlässigt, so Dogudan. Gerade arbeitet er an einem völlig neuen Bordprodukt, das im Frühjahr eingeführt wird. Ein weiterer Schritt auf dem Weg zu Kotils ambitioniertem Ziel, Turkish zur ersten Fünf-Sterne-Fluggesellschaft Europas zu machen.

Auch am Boden setzt man Zeichen. Die Vielfliegerlounge in Istanbul ist eine Erlebniswelt für sich. Auf 3000 Quadratmetern gibt es ein Kino, eine Bibliothek, einen Olivengarten mit Konzertflügel, einen Kinderspielplatz, ein Demel-Café und mehrere Stationen, an denen türkische Spezialitäten frisch zubereitet und Säfte frisch gepresst werden. Weil viele Passagiere deshalb extra früher zum Airport kommen, wird es in Spitzenzeiten bereits eng. Deshalb entsteht jetzt eine zweite Lounge.

Der größte Fehler vieler europäischer Fluggesellschaften ist es, am Service zu sparen, sagt Attila Dogudan. Manche Airline glaube, ihr Angebot so lange zurückfahren zu können, bis die Zahl der Beschwerden spürbar ansteigt. Dabei sei die Verpflegung die billigste Investition in die Kundenzufriedenheit. Aber auch wer in wirtschaftlich schwierigen Zeiten den Kopf in den Sand steckt, ist auf der Verliererseite, betont Temel Kotil. Er vergleicht das mit der sibirischen Kälte. „Wer trotzdem nach draußen geht und läuft, der produziert Körperwärme und friert nicht.“ Mit dieser Philosophie trotze Turkish jeder Krise.

Anders als manche europäische Airline kann das Management darauf bauen, dass Politik und Bevölkerung den Luftverkehr unterstützen. Schließlich gilt die Airline als Stolz der Nation und Botschafter einer modernen Türkei. Die europäischen Regierungen dürften die Fluggesellschaften nicht als Goldesel betrachten, sondern müssten für angemessene Infrastrukturen sorgen und – wie vor Jahren in der Türkei – die Luftverkehrssteuern abschaffen, so Kotil.

Wie es geht, will man in Istanbul der Konkurrenz auch weiterhin vormachen. Bereits 2017 soll die erste Stufe des neuen Flughafens in Betrieb gehen, obwohl dessen Bau überhaupt noch nicht begonnen hat. Bis zum 100. Geburtstag der Türkischen Republik 2023 soll hier Europas größter Hub entstehen, mit fünf Startbahnen und einer Jahreskapazität von 150 Millionen Passagieren – das ist mehr als London Heathrow und Paris Charles de Gaulle zusammen. Dann will Turkish Airlines jeden Tag 2000 Flüge zu 300 Zielorten bieten und jährlich 90 Millionen Fluggäste befördern. Auch diese Vision Kotils könnte wahr werden.

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