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Wirtschaft: Maria Milde

Geb. 1921

Von David Ensikat

Sie glaubte, ihr Problem sei ihre Nase. Dabei war es ihr Geliebter. Greta Garbo war fast 40. Höchste Zeit also für eine neue Garbo. Maria Milde sollte zum Gesichtschirurgen gehen, der würde alles richten. „Du könntest eine junge Garbo werden, wenn dieser Knubbel nicht wäre“, sagte die Schauspiellehrerin und zeigte auf Marias Nase.

„Was für ein Knubbel? Ich hab doch keinen Knubbel!“

„Na, die Spitze.“

„Ich will, dass sie so bleibt, wie sie ist!“

„Es wäre gut. Glaube mir.“

Was blieb Maria übrig? Sie war blond, begabt und schön, sie konnte schmachtend in die Ferne gucken, sie sah ein wenig aus wie Greta Garbo, Verehrer hatten ihr das oft bestätigt. Doch sie hatte ein „Promi-Problem“. „Promi“ klingt nur lieb. „Promi“ nannten sie damals das Propagandaministerium von Joseph Goebbels. Das bestimmte, welcher Schauspieler in Filmen spielen durfte und welcher nicht. Maria durfte nicht. Sie bekam einfach keine „Promi-Genehmigung“, und niemand konnte ihr sagen, woran das lag. Einmal hat ein Ministeriumsmensch, ganz nebenbei, bemerkt: „Sie sind der proletarische Typ.“ Das war der einzige Hinweis. Das 23-jährige Mädchen stand danach lange vorm Spiegel. Sieht so der proletarische Typ aus?

Mit proletarischen Typen hatte Maria nie so viel zu tun gehabt. Sie war in Leipzig zur Ballettschule gegangen, hatte als Hiller-Girl die Beine in die Luft geworfen und war bei der Deutschen Filmakademie in Berlin gelandet. Frauen wie sie brauchte der deutsche Film damals: hübsch, heiter, diszipliniert.

Der Gesichtschirug saß am Olivaer Platz. Als Maria dort anlangte, heulten die Sirenen. Bombenalarm. Sie atmete auf und fuhr zurück, ihre Nase blieb, wie sie war. Dass die Nase ausgesprochen knubbelig gewesen wäre, kann man wirklich nicht behaupten.

Der Grund fürs „Promi-Problem“ war, so darf man vermuten, ein ganz anderer: Es gab da ein Verhältnis zu einem Mann, einem Schauspielstar. Der war verheiratet, doch auch das hätte kaum jemanden gestört. Raimund Schelcher war außerdem noch Kommunist und hatte ein paar Schillersätze auf der Bühne falsch betont. Deshalb hatten ihn die Nazis im Strafbataillon an die Front geschickt. Konnte man einer jungen Frau, die so einen liebte, trauen? Die Bomben fielen auf das Land, da sollten nur die Zuverlässigsten heiter gegen anfilmen.

Am 20. Juli 1944, am Tag des Hitler-Attentats, lernte Maria, wie banal die Liebe enden kann. „Dich nur zu sehn, das wär’ mein größtes Glück!“, hatte sie Raimund Schelcher an die Front geschrieben. Nun war er für ein paar Stunden in Berlin auf Fronturlaub, er kam hinaus zu ihr, zur Schauspielschule und drückte sie fest an seine Brust. So fest, dass er ihre Nase am Uniformknopf schmerzhaft eindrückte. Sie dachte nur an den dummen Knubbel: Nicht dass der größer wird! Dann saßen sie beisammen, der Star von einst, dem eine Granate das schöne Gesicht zerstört hatte, und das Mädchen, das so gerne Star werden wollte und gar nicht ahnte, dass sie es seinetwegen nicht werden durfte, sie saßen im Ufa-Gartenlokal, löffelten Kohlrüben und wussten nicht, was sie sich sagen sollten.

Nach dem Krieg hatte Raimund Schelcher als Defa-Schauspieler großen Erfolg. Mit seinem kriegsgeschundenen Gesicht war er der perfekte proletarische Held.

Für Maria sah es noch vor Kriegsende aus, als würde das Künstlerglück sie doch ereilen. Trotz des „Promi-Problems“ durfte sie in zwei Filmen mitspielen, „Frühlingsmelodie“ und „Wir beide liebten Katharina“. Die Rollen in den beiden Filmen waren wohl die größten Rollen ihres Lebens – nur dass die Filme niemals fertig wurden. Immer wieder wurden die Dreharbeiten vom Bombenalarm unterbrochen, und schließlich war der Krieg zu Ende und damit auch die Dreharbeiten.

Nach dem Krieg gab es kein „Promi“ mehr, die Probleme sahen jetzt ganz anders aus. Maria Milde hatte eine neue große Liebe, es war wieder ein Verheirateter, wieder einer aus der Filmbranche, doch diesmal einer, der Drehbücher schrieb, sogar welche speziell für sie. Aber die Produzenten ließen sich nicht überzeugen, die Hauptrollen mit einer Unbekannten zu besetzen. Sie nahmen lieber welche, die schon Stars waren. Dann lernte Maria noch Fritz Lang kennen, was für ein Glück! Der wollte sie in seinem nächsten Film groß rausbringen – aber einen weiteren Film machte er nicht mehr.

Nur winzig kleine Rollen durfte sie spielen, und man könnte meinen, dass sie ganz unglücklich darüber wurde. Aber Maria freute sich über jedes Engagement. Sie war froh, dazuzugehören zu dieser schönen Welt. Wen sie da kennen lernen durfte, was man da erleben konnte! „Ich habe das Dornröschen im Disney-Film synchronisiert, eine wunderbare Arbeit!“

Man mag es für ein immer wiederkehrendes Missverständnis halten, dass sie das Unwichtige für wichtig hielt; aber es war doch eine wunderbare Gabe, im kleinen Glück das große zu entdecken.

Auch dass das mit den Männern nicht so gut geklappt hatte in ihrem Leben, verbitterte sie nicht. Wozu gibt es Freunde? Und war es nicht schön, so viele wunderbare Männer überhaupt gekannt zu haben?

Auch als sie schon sehr alt ist und immer mal wieder ins Krankenhaus muss, da spricht sie über eines nie: den Tod. Sie besucht gerne Friedhöfe, das ja. Aber nur, um die Gräber derer zu besuchen, die sie erleben durfte. Als sie das letzte Mal am Grab von Raimund Schelcher sitzt, da erzählt sie viel von ihm und auch von seiner Frau. Wie auch immer das Leben war: Was bleibt, sind die Geschichten.

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