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Wirtschaft: Martin Schwab

(Geb. 1964)||Vielseitig begabt, doch unfähig zum Stillhalten. Er hatte es eilig.

Vielseitig begabt, doch unfähig zum Stillhalten. Er hatte es eilig. Einundzwanzig Jahre war Martin alt, als der Husten, der ihn schon seit Wochen plagte, so heftig wurde, dass ihm zwei Rippen brachen. Im Krankenhaus stellte man fest, dass ein Virus sein Herz befallen hatte. „Der wird das Bett nicht mehr verlassen“, sagte einer der Ärzte. Er kannte Martin Schwab schlecht.

Martin war vielseitig begabt, doch eines konnte er nicht: stillhalten. Martin hatte es eilig. Von Anfang an.

Gerade noch so hat die Mutter es mit ihm in den Kreißsaal geschafft. Im Kindergarten haben die Erzieherinnen ihn mit seinen Hosenträgern am Stuhl festgebunden. Und kaum, dass er seinen Führerschein unterschrieben hatte, brauste er für die Johanniter-Unfallhilfe über die Landstraßen der süddeutschen Provinz. Nur mit dem Sterben ließ er sich Zeit.

Fluchthelfer zurück ins Diesseits war das Herz einer jungen Frau. Man hat es ihm im neu gegründeten Berliner Herzzentrum eingepflanzt. Schon drei Wochen nach der Operation durfte er das Krankenhaus verlassen. Allerdings musste er jetzt das Stillsitzen lernen.

Jede Woche saß er zwischen anderen Patienten mit transplantierten Herzen in einem Raum des Herzzentrums und wartete darauf, dass ein Arzt in der Tür erschien wie ein Engel des Todes oder des Lebens, der die Patienten in zwei Gruppen sortierte: Die, die gehen durften, und die, die bleiben mussten. Wer bleiben musste, hatte schlechte Blutwerte, das Spender-Organ wurde abgestoßen.

Martin durfte gehen, jedes Mal, und aus dem Gehen wurde ein Rennen. Er war davongekommen. Wer dachte, dass er jetzt ruhiger leben würde oder vorsichtiger, der hatte sich getäuscht.

Zwei Mal spielte er auf dem Tennisplatz der „World Transplant Games“ und holte Bronze. Er boxte im Polizeisportverein und flog am Fallschirm durch die Luft.

Er trug meist einen knapp sitzenden Anzug, den ihm noch seine Mutter gekauft hatte, denn er mochte seine Lebenszeit nicht in Umkleidekabinen lassen. Ebenso wenig wollte er seine Tage damit zubringen, sich in irgendeinem Betrieb hochzudienen.

Seine eigene Firma, „Divikom“, die Farbdrucker und Dia-Belichter vertrieb, hatte bald mehr als zehn Mitarbeiter. „Darf man denn so leben, wenn man eine Herzoperation hatte?“, fragte sich manchmal eine Kollegin.

Martin steuerte sein Auto mit den Knien, weil er die linke Hand zum Telefonieren brauchte und die rechte, um etwas aufzuschreiben. Er arbeitete Nächte durch, unterbrochen von ein paar Schlummerstündchen auf dem Fußboden der Firma, die zusammengerollte Lederjacke unter dem Kopf.

„Ja, ja“, hörte man ihn am Telefon klagen, „auch bei uns regnet es schon seit Tagen. Äh, Moment, meine Sekretärin sagt gerade: Bei uns scheint seit gestern die Sonne.“

Nur in ganz seltenen Augenblicken wagte Martin es, von einem anderen Leben zu träumen, davon, wie er eines Tages mit einem netten Freund oder einer tollen Frau am Kaminfeuer sitzen würde.

Aber eigentlich, so glauben seine Freunde, liebte er die Hektik und das Chaos, denn traurig wirkte er nie. Es war seine Art, das Leben zu feiern.

Mit 34 Jahren lernte er sie dann kennen, die tolle Frau. Er zog zu ihr nach Süddeutschland und arbeitete in Köln bei einem größeren Betrieb, mit dem seine Firma fusioniert hatte.

Kurz vor der Geburt seines zweiten Kindes in diesem Jahr bekam er einen Herzinfarkt. Im Krankenhaus stellte man fest, dass sein Körper das geschenkte Herz jetzt abzustoßen begann. Wieder wurde Martin auf die Liste für ein Spenderherz gesetzt, höchste Dringlichkeitsstufe.

„Ich habe alles erreicht und vieles erlebt“, sagte er. Doch falls er noch mal ein neues, ein drittes Leben beginnen dürfe, dann wolle er mit Jugendlichen arbeiten, bei den Pfadfindern vielleicht, wo man das Überleben lernt, und mehr Zeit mit seiner Familie verbringen.

„Zwanzig Jahre mit einem fremden Herzen“, sagen die Ärzte, „das ist eigentlich ein kleines Wunder.“

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