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Maschinenbaupräsident Festge im Interview: "Russland kann uns runterziehen"

Reinhold Festge, Präsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau, erwartet Einbußen im Geschäft mit Russland und ärgert sich über die Sozialpolitik der Bundesregierung.

Herr Festge, im katholischen Seminar zu Münster haben Sie gelernt, „dass man sich sozial gerecht verhalten soll“. Wie macht man das denn?

Indem man fair miteinander umgeht, auf einzelne Personen eingeht und ihnen gibt, was sie brauchen. Also: Einfach menschlicher Umgang.

Geht das immer als Unternehmer?

Man muss es versuchen. Und die Mannschaft weiter entwickeln damit sie gerne und gut arbeitet. Jeder Unternehmer hat eine soziale Aufgabe.

Das Soziale, also der Ausgleich in der Gesellschaft, obliegt der Politik.

Die Politik macht heute doch etwas, was eher unsozial ist. Die Rente mit 63 ist doch nicht sozial gerecht. Zum Leben gehört Arbeit, und die macht doch durchaus Spaß. Auch über 63 hinaus.

Es gibt jede Menge Menschen, die 45 Jahre gearbeitet haben und nicht mehr können. Da ist kein Spaß.

Heute schon gibt es niemanden mehr, der mit 65 auf Gerüsten arbeiten muss. Dachdecker zum Beispiel oder Maurer machen dann eine andere Tätigkeit. Was wir brauchen, ist eine tarifliche Absicherung der Alten, die womöglich anders und weniger arbeiten und dann aber auch ein bisschen weniger verdienen.

Wer Jahrzehnte am Band gestanden hat, der ist spätestens mit 63 fertig und will nur noch raus.

Als ich während des BWL-Studiums in München nebenbei als Arzt gearbeitet habe, kam eine Frau zu mir. „Herr Doktor, ich brauche unbedingt eine Kur.“ Seit 17 Jahren entfernte diese Frau den überflüssigen Kleber an den Frontscheiben von BMWs. Natürlich hat die sofort die Kur gekriegt. Solche Arbeitsplätze wollen wir nicht.

Die gibt es aber reichlich.

Es ist die Aufgabe von uns Unternehmern, die Arbeitswelt so flexibel und abwechslungsreich zu gestalten, damit die Menschen sich entwickeln und verschiedene Tätigkeiten machen können. Dann bringt auch die Arbeit mit 65 noch Spaß. Bei mir im Unternehmen gibt es niemanden, der mit 60 Jahren noch dieselbe Arbeit macht wie zu Beginn des Beruflebens. Und das ist durchaus typisch für den Maschinenbau.

Dann dürfte es ja keine Nachwuchsprobleme geben.

Die habe ich ja auch noch nicht. Bei uns in Oelde gibt es ein Abiturfach Technik am Gymnasium, das hilft uns, weil es die jungen Leute an unsere Berufe heranführt.

Wie kann es sein, dass die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze deutschlandweit auf einem Tiefstand ist?

Wir Maschinenbauer haben auch ein Überangebot an Ausbildungsplätzen. Aber es gibt regional erhebliche Unterschiede. Viele junge Leute kommen nicht ausbildungsreif von der Schule. Dennoch: Es ist unsere Aufgabe, für den eigenen Nachwuchs zu sorgen, durchaus mit unterschiedlichen Instrumenten. In meiner Firma kostet die Ausbildung eines Mitarbeiters 38 000 Euro - das kann nicht jede kleine Firma leisten. Deshalb unterstützen wir auch die Verbundausbildung: bei Haver & Boecker bilden wir für 14 Unternehmen in der Region, im Bereich der Pneumatik aus.

Wie hat sich die Jugend verändert in den vergangenen Jahrzehnten?

Die jungen Leute sind weniger neugierig, mal etwas anderes auszuprobieren und auch mal in anderen Ländern zu arbeiten. Das ist sehr schade, denn sie verpassen viel.

Ihre Leute wollen nicht reisen?

Jedes Jahr schicken wir jeweils ein Zweierteam von Auszubildenden für sechs Wochen nach China, Brasilien, Indien und in die USA. Wir machen das in der Hoffnung, dass sie auf den Geschmack kommen und Land und Leute schätzen lernen. Das kostet uns natürlich Geld, aber wir sehen das als Investition in die Globalisierung. Wir brauchen eine weltoffene Haltung unserer Mitarbeiter, damit die irgendwann Leitungsfunktionen im Ausland wahrnehmen können.

Was hat Ihnen Ihr erster Auslandsaufenthalt Anfang der 80er Jahre in Brasilien gebracht?

Wir hatten damals 320 Leute in Brasilien und haben enorme Verluste gemacht. Eigentlich sollte ich die Firma zumachen, aber das wollte ich natürlich nicht als Juniorchef. Wir haben also gearbeitet und auch Glück gehabt mit einem großen Auftrag.

Lief das sauber ab mit dem Auftrag?

Ja sicher. Bestechung und Korruption gibt es  in privatwirtschaftlichen Strukturen   nur sehr wenig bis gar nicht.

Wie läuft es jetzt in Brasilien?

Gut. In den vergangenen Jahren hatten wir und viele andere Unternehmen das Problem, dass wir wegen Fachkräftemangel nicht mehr produzieren konnten. Aufträge gab es genug, aber nicht genügend Personal, um die Aufträge abzuarbeiten. Jetzt haben es die Brasilianer verstanden und stecken mehr Geld in die Ausbildung.

Auch Ihre Firma?

Ja, das ist sozusagen der ausländische Aspekt der Ausbildung: Die Kunden müssen die Maschinen, die wir bauen und verkaufen wollen, auch bedienen können. Sehr groß ist der Bedarf in Afrika. Wenn wir die Leute schulen, wirkt das am besten gegen Armut. Und wir haben auch etwas davon, weil wir unsere Produkte verkaufen.

Zurück ins Inland. Sie bezeichnen sich als „leidendes CDU“-Mitglied. Was tut denn so weh im Moment?

Die CDU ist ja  nur wenig sichtbar in dieser Regierung, das nimmt  alles sehr einheitliche Züge an. Welche Gründe gibt es zum Beispiel für die Mütterrente?

Die Gesellschaft erkennt die Erziehungsleistung an.

Eltern werden doch belohnt, indem sie weniger Steuern zahlen. Warum muss es noch eine Mütterrente geben? Und von welchem Geld? Das ist doch auf Dauer nicht seriös zu finanzieren. Und bei der Rente mit 63: Natürlich sind 45 Jahre Arbeit genug, aber dann müssen wir das System ändern und die Beitragszahlungen entsprechend anpassen. Spätestens Ende der Legislaturperiode ist die Rentenkasse leer. Wir haben leider Berufspolitiker, die die Lebenswirklichkeit nichtsehen wollen.

War das früher anders?

Ja, da saßen mehr Leute im Bundestag, die vorher schon im Arbeitsprozess waren  und auch Erfahrung in einem Unternehmen hatten. Als Bürger habe ich heute doch das Gefühl, dass die Berufspolitiker nur in Wahlstrategien denken.

Immerhin wird jetzt das Erneuerbare Energien Gesetz reformiert.

Ja, der Scherbenhaufen, den die völlig überzogene Subventionierung des Ökostroms angerichtet hat, wird jetzt endlich aufgeräumt. Bei Wirtschaftsminister Gabriel habe ich den Eindruck, dass er in seinem Amt angekommen ist und bei diesem Thema die Belange der Wirtschaft versteht.

Auch im Falle Russlands? Wie schwer trifft es den Maschinenbau, wenn es weitere Sanktionen gibt?

Die Bundesregierung agiert hier bisher mit Augenmaß und lässt sich auch nicht von den Amerikanern unter Druck setzen. Russland ist für uns der fünftgrößte Exportmarkt, im vergangenen Jahr haben wir dort für knapp acht Milliarden Euro Maschinen verkauft. Das wird dieses Jahr deutlich weniger. Es ist Sand im Getriebe, die Russen wissen nicht, was wird, und wir Maschinenbauer wissen das auch nicht. Was zusätzlich bedrückt: Anrainerstaaten wie die Türkei legen wegen der Unsicherheit der Gesamtsituation  auch schon einzelne Investitionen bzw. Projekte auf Eis.

Dann gibt es keine drei Prozent Produktionswachstum in diesem Jahr, wie sie bislang erwartet wurden?

Abwarten. Europa entwickelt sich gut und hat die Rezession überstanden. Meine Firma zum Beispiel hatte über zwei Jahre keinen Auftrag aus Spanien bekommen, Frankreich war in Schockstarre. Diese Länder kommen jetzt wieder. Aber ganz klar: Russland hat die Kraft, uns nach unten zu ziehen. Vor allem auch stimmungsmäßig.

ZUR PERSON

Reinhold Festge, 1945 im westfälischen Oelde geboren, wollte Arzt werden. Das wurde er auch, doch nach dem Studium fragte ihn der Schwiegervater, ob er nicht in dessen Firma einsteigen wolle. Der Dr. med. sagte Ja und studierte zur Vorbereitung noch BWL. Dann ging er für die Firma, die alle möglichen Drahtgewebe und Verpackungsmaschinen produziert, erst mal nach Brasilien und in die USA. Heute hat Haver & Boecker fast 3000 Mitarbeiter und 52 Tochtergesellschaften in aller Welt.

DER VERBAND

Im letzten Oktober wurde Festge zum Präsidenten des Verbandes Deutscher Maschinenbau (VDMA) gewählt, in dem rund 3000 Firmen organisiert sind. Der Maschinenbau ist mit knapp einer Million Beschäftigter und einer Exportquote von 78 Prozent eine der wichtigsten Wirtschaftsbereiche. Nach einen Minus 2013 soll die Produktion in diesem Jahr um drei Prozent zulegen.

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