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Wirtschaft: Masse gegen Klasse „Volkswagen setzt auf Spritfresser“ Umweltminister Trittin kritisiert Pischetsrieder

Die Produktion von Massenautos kommt am Standort Deutschland unter Druck/Jetzt könnten bei VW bis zu 10000 Stellen gefährdet sein

„Um die Lethargie bei Volkswagen zu bekämpfen, müssen die Mitarbeiter gefordert werden.“ Was Ferdinand Piëch und Bernd Pischetsrieder – die beiden Männer an der Spitze des Konzerns – mit diesem Satz meinten, wird nun deutlich: Offenbar will VW 10000 seiner insgesamt 103000 Arbeitsplätze in Deutschland abbauen. Wie der „Spiegel“ berichtet, sollen so Überkapazitäten bei dem Autokonzern beseitigt werden, der sechs Millionen Fahrzeuge im Jahr herstellen könne, aber nur fünf Millionen verkaufe.

Beim Stellenabbau wird Pischetsrieder wohl auf Entlassungen verzichten, weil der Zukunftstarifvertrag von November vergangenen Jahres ihm wenig Spielraum lässt. Bis 2011 hat VW den Beschäftigten verbindlich zugesichert, dass Entlassungen ausgeschlossen und abgeschlossene Tarifverträge einzuhalten sind.

„Der Konzern hat mehrfach erklärt, dass Stellen gestrichen werden müssen, um den Personalüberhang abzubauen“, sagte ein VW-Sprecher dem Tagesspiegel am Sonntag. Die Zahl 10000 wollte VW nicht kommentieren. „Es macht keinen Sinn, sich an Zahlenspekulationen zu beteiligen“, sagte der Sprecher. Klar ist, dass Pischetsrieder die Schließung des Passat-Werkes in Emden mit mehr als 9000 Beschäftigten in Erwägung zieht, sofern in Deutschland nicht billiger produziert werden könne. Und dann traf Wolfgang Bernhard, der Chef der Marke VW, noch die Vorentscheidung, einen neuen Geländewagen nicht in Wolfsburg, sondern in Portugal zu bauen. An dem Auto hängen 1000 Stellen.

Die IG Metall reagierte geschockt und erinnerte an eine Vereinbarung, wonach der Geländewagen in Wolfsburg gebaut wird, sofern sich das auch rechnet. „Herr Bernhard muss zur Kenntnis nehmen, dass hier nicht Verhältnisse wie im Wilden Westen herrschen“, grummelte der niedersächsische IG-Metall-Chef.

Bernhard, der gern den Knallharten gibt, lässt Zahlen sprechen. „Eine Fertigung in Portugal ist aus heutiger Sicht gut 1000 Euro pro Fahrzeug günstiger als am Alternativstandort Wolfsburg.“ Albrecht Denninghoff, Autoanalyst bei der HypoVereinsbank, freut sich über die neuen, forschen Töne. Der Vorstand sei endlich „in der Realität angekommen“.

Passend zur Diskussion in Wolfsburg veröffentlichte der Nürtinger Autoprofessor Willi Diez in der vergangenen Woche eine Studie, wonach VW in Deutschland keine Perspektive hat. Aufgrund der hohen Produktionskosten und des internationalen Standortwettbewerbs werde sich die Produktion immer stärker nach Osteuropa und Südostasien verlagern. „Massenautomobile haben am Produktionsstandort Deutschland langfristig gesehen keine Zukunft“, sagt Diez. Deutschland rechne sich nur noch für die Premiumhersteller, also Mercedes, Audi, Porsche und BMW. Bereits heute ist jedes zweite in Deutschland gebaute Auto ein Premiumfahrzeug. VW mit seiner breiten Produktpalette sei ein Massenhersteller, der zwar auch Premiumautos anbietet, aber keine Premiumpreise durchsetzen könne. In den nächsten Jahren helfe den Wolfsburgern deshalb nur eins: sparen.

Die Expertise von Diez kam den VWChefs gerade recht. Auch Piëch zeigte sich überzeugt, „dass langfristig in Deutschland nur noch die Luxusklasse mit vernünftiger Rendite zu produzieren ist“. Also hat nur die gläserne Fabrik in Dresden, wo VW mit ein paar hundert Leuten den Phaeton baut, eine Perspektive? Und alle anderen Werke mit insgesamt weit über 100000 Beschäftigten machen dicht?

Auch Premium schützt nicht vor Problemen, wie Mercedes und Smart zeigen. Qualitätsmängel haben das Image schwer beschädigt. Und der Verlustbringer Smart soll mit Sanierungsmaßnahmen, die in diesem Jahr 1,1 Milliarden Euro kosten, so aufgestellt werden, dass er 2007 schwarze Zahlen abwirft.

Für Mercedes ist vor allem die E-Klasse ein Problem, deren Absatz im ersten Halbjahr um ein Drittel zurückging. „Lange Zeit war bei Mercedes die Marke besser als die Produkte, jetzt ist es umgekehrt“, beschreibt Diez das Problem der Stuttgarter. Die Autos, die jetzt verkauft werden, sind in Ordnung, aber das Image ist lädiert. Vor allem bei den vielen Taxifahrern, die unendliches Theater mit ihren E-Klasse-Autos hatten.

Der neue Mercedes-Chef Dieter Zetsche erinnerte zu seinem Dienstantritt am 1.September die Mitarbeiter in einem Brief daran, dass „letztendlich immer unsere Produkte, ihre Qualität und ihre Attraktivität für unsere Kunden im Mittelpunkt stehen“. Nicht zuletzt weil sich die Qualität „maßgeblich verbessert hat“, zeigte sich Zetsche „außerordentlich zuversichtlich, dass der Weg für die Mercedes Car Group zügig nach oben geht“. Doch erst mal muss er über die Hürde Sindelfingen. Im größten Mercedes-Werk mit rund 40000 Beschäftigten werden S- und E-Klasse gebaut. Und weil die E-Klasse nicht läuft, gibt es Überkapazitäten – angeblich 5000 Arbeitsplätze. In den nächsten Wochen, gewissermaßen parallel zu VW, stehen Verhandlungen mit dem Betriebsrat an.

Siegfried Roth, Autoexperte der IG Metall, bezeichnet vor allem die öffentliche Kostendiskussion bei VW als „Wahlkampfgetöse“. Nach der Lustreisen-Affäre sei der dortige Betriebsrat geschwächt und der Vorstand versuche, das auszunutzen.

Ulrich Jürgens, der sich am Wissenschaftszentrum Berlin mit der Autoindustrie beschäftigt, sieht das ganz ähnlich. Die Drohung mit der Verlagerung von Massenfahrzeugen sei „Schwarzmalerei“ und das Kostenproblem nur eine von mehreren Ursachen für die VWKrise. Im Übrigen belege die Fertigung des Minivans Touran in Wolfsburg, dass sehr wohl auch Volumenmodelle wirtschaftlich am Standort Deutschland gebaut werden könnten.

Neben den Kosten nennt Jürgens die geringe Modellpalette und den Mangel an sparsamen Autos als Gründe für die Krise. Zu wenig Cabrios, zu wenig Coupés, zu wenig Crossover-Fahrzeuge. Und VW habe „nur auf Diesel gesetzt und die Potenziale des Hybrid nicht gesehen“. Nicht zuletzt wegen der Spritpreisentwicklung ist Toyota außerordentlich erfolgreich mit dem Hybridantrieb, einer Kombination aus Verbrennungs- und Elektromotor. Dass VW noch immer keinen Partikelfilter für Dieselautos anbietet, ist für Jürgens schlicht „irre“. Die „gravierenden Managementfehler werden beiseite geschoben“ und nun einseitig auf das Kostenproblem hingewiesen. Ein Art Ablenkungsmanöver. Von Piëch ist in der Tat nicht bekannt, dass er schon mal einen Fehler eingeräumt hätte.

Herr Trittin, für die VW-Chefs Pischetsrieder und Piëch ist „das Wichtigste“, dass Sie nach der Wahl nicht mehr Minister sind. Was haben Sie angestellt?

Diese Äußerung zeigt, wie wenig strategisch manche Unternehmensführer denken. In einer Zeit, in der China gesetzliche Obergrenzen für den Spritverbrauch einführt und in Neu Delhi nur noch Erdgastaxis zugelassen werden, setzen sie auf Spritfresser. Das ist der Kern der Krise von VW. Vermutlich habe ich mir den Zorn der Herren zugezogen, weil die EU auf meine Initiative Grenzwerte für den Ausstoß von Partikeln festgelegt hat. Es ist unverständlich, dass VW zum Beispiel den neuen Jetta ohne Filter auf den Markt bringt.

Gegen diese Partikel gibt es Filter, die steuerlich gefördert werden sollen. Wann kommt das entsprechende Gesetz?

Der von der Bundesregierung beschlossene Gesetzentwurf liegt seit Monaten im Bundesrat. Ich hoffe, dass wir bis Ende des Jahres die Förderung haben – auch im Interesse der Autoindustrie, die einen hohen Diesel-Anteil braucht, um den Flottenverbrauch zu senken.

Nach Angaben des Verbands der Autoindustrie sind 80 Prozent aller Diesel-Pkw mit Partikelfilter „deutsche“ Marken.

Es gibt jede Menge hübscher Berechnungen. Fakt ist, dass sich die deutschen Hersteller aus ideologischen Gründen dem Filter sehr lange widersetzt haben. Der Imageschaden ist enorm. Es ist doch beschämend, wenn unter den zehn umweltfreundlichsten Autos nur ein „deutsches“ ist. Früher waren die Autos unserer Industrie bei Effizienz und Sauberkeit führend. Weil das nicht mehr der Fall ist, ärgern sich Pischetsrieder und Piëch und laden ihren Ärger bei mir ab.

Bis 2008 will die Industrie den durchschnittlichen Verbrauch auf 5,5 Liter reduzieren. Ist das machbar?

Heute liegt der Durchschnittsverbrauch bei 6,8 Litern. In drei Jahren auf 5,5 zu kommen, ist ein sehr ambitioniertes Ziel.

Und wie geht es nach 2008 weiter, wenn die Kyoto-Phase beginnt?

Es ist zur Erreichung der Klimaschutzziele unabdingbar, dass auch die Automobilbranche einen verbindlichen Beitrag liefert. Wir schlagen vor, am Instrument der Selbstverpflichtung festzuhalten. Die Branche, inklusive der europäischen Hersteller und aller Importeure, sollte sich das Ziel setzen, bis 2012 den Durchschnittsverbrauch auf fünf Liter zu senken. Die Politik könnte dann im Gegenzug darauf verzichten, den Autosektor in den Emissionshandel einzubeziehen. Wenn die Branche das Ziel verfehlt, muss sie Mittel in Höhe der CO2-Vermeidungskosten in einen Fonds zahlen, der für Klimaschutzprojekte genutzt wird.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

Jürgen Trittin ,

Bündnis 90/Die Grünen, ist Bundesumweltminister und der Lieblingsfeind der Autoindustrie. Er will den Durchschnittsverbrauch bis 2012 auf fünf Liter drücken.

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