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Wirtschaft: Massenflucht vor der Rente mit 67

Zehntausende Menschen haben im vergangenen Jahr eine Altersteilzeitvereinbarung unterschrieben, viele auf den letzten Drücker

Berlin - Zehntausende Arbeitnehmer sind noch auf den letzten Drücker vor der Rente mit 67 geflohen. Nach Gewerkschaftsangaben hat es in den letzten Wochen des alten Jahres einen regelrechten Run auf die Altersteilzeit gegeben. Das bestätigen auch erste Meldungen aus den Unternehmen.

Die Regierung will das gesetzliche Rentenalter bis zum Jahr 2029 auf 67 anheben. Arbeitnehmern, die vor dem 1. Januar 1955 geboren sind, hat die Koalition jedoch einen Vertrauensschutz eingeräumt. Für sie gelten die bisherigen Altersgrenzen weiter, wenn sie bis zum 31. Dezember vergangenen Jahres mit ihrem Arbeitgeber eine Altersteilzeitvereinbarung geschlossen haben. Das heißt: Läuft die Altersteilzeit zum 65. Lebensjahr aus, gibt es die Rente ohne Abschläge.

Viele Beschäftigte haben von dieser Chance Gebrauch gemacht. Die Mitarbeiter hätten „großes Interesse“ gehabt, heißt es bei Daimler-Chrysler. Auch bei der Post ist das Angebot „gut angenommen“ worden, sagte ein Sprecher. In beiden Unternehmen hat es neue Altersteilzeitvereinbarungen im „vierstelligen Bereich“ gegeben. Im Versicherungssektor der Allianz haben knapp 50 Prozent der Berechtigten zugegriffen: Von rund 2900 Beschäftigten der „Generation 52 plus“ haben 2006 etwa 1400 eine Altersteilzeitvereinbarung unterschrieben, berichtete eine Sprecherin auf Anfrage.

Die Flucht vor der Rente mit 67 hat die ganze Republik erfasst. In den deutschen Opel-Werken haben rund 85 Prozent der 3000 Mitarbeiter, die unter die Vertrauensschutzregelung fallen, die Chance genutzt. Bei Volkswagen, BASF und der Degussa sieht es ähnlich aus. „Wir hatten vor Weihnachten 50 Prozent mehr Anfragen als sonst“, berichtet auch Karin Klopsch von der Deutschen Rentenversicherung. Judith Kerschbaumer, im Bundesvorstand der Gewerkschaft Verdi für Sozialpolitik zuständig, hat ähnliche Erfahrungen gemacht: „Wir hatten tausende Anfragen“, sagt sie.

Da Arbeitnehmer keinen Rechtsanspruch darauf haben, in Altersteilzeit zu gehen, haben vor allem die Konzerne zugestimmt, die ohnehin Personal abbauen wollen. „Die Unternehmen haben die Altersteilzeit als Personalabbauinstrument benutzt“, sagt Kerschbaumer. Bei der Altersteilzeit, die – je nach Unternehmen – fünf, sechs, sieben, aber auch bis zu zehn Jahre lang laufen kann, kann man seine Arbeitszeit halbieren. Möglich ist eine Verminderung der täglichen Stundenzahl, beliebter ist jedoch das Blockmodell: Der Arbeitnehmer arbeitet in der ersten Hälfte der Alterszeit voll und bekommt dafür mindestens 70 Prozent seines Gehalts, dann geht er in den bezahlten Vorruhestand, schließlich in Rente.

Forderungen nach einer Verlängerung des Vertrauensschutzes lehnt die Politik strikt ab. „Der Stichtag 31. Dezember 2006 war schon sehr weitgehend“, heißt es im Bundessozialministerium. Eigentlich hatte Bundessozialminister Franz Müntefering (SPD) den Vertrauensschutz bereits zum 29. November auslaufen lassen wollen, war dann aber von den Fraktionschefs Volker Kauder (CDU) und Peter Struck (SPD) zu einer Fristverlängerung überredet worden. Einen weiteren Nachschlag wird es nicht geben, auch wenn Verdi den Vertrauensschutz gern bis zum Frühling ausgedehnt sehen würde. „Wer in Altersteilzeit gehen wollte, hat inzwischen einen Vertrag geschlossen“, sagte der rentenpolitische Sprecher der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion, Peter Weiß, dem Tagesspiegel am Sonntag. In den Betrieben sei über dieses Thema breit informiert worden.

Weitgehend unbekannt ist dagegen eine Lücke bei zahlreichen Vorruhestandsregelungen. In vielen Bereichen, vor allem bei Banken und Versicherungen, sind Beschäftigte in den vergangenen Jahren bezahlt in den Vorruhestand geschickt worden, um anschließend in Rente zu gehen. Doch statt des geplanten Eintritts mit 62 können viele Betroffene künftig erst mit 63 Rente beantragen. „Auch diese Menschen müssen geschützt werden“, sagt Verdi-Expertin Kerschbaumer und verlangt eine Vertrauensschutzregelung wie bei der Altersteilzeit. In der SPD-Fraktion will man das Problem prüfen. Das Bundessozialministerium sieht jedoch seine Reform konterkariert und fährt eine harte Linie: „Wir haben uns bei der Erarbeitung des aktuellen Gesetzentwurfs aus triftigen Gründen entschieden, den Vertrauensschutz bei der Altersteilzeit nicht für den Vorruhestand zu übernehmen“, sagte ein Sprecher. „Es wird keine Korrektur geben.“

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