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Haftung für manipulierte Software? Zehntausende Kunden haben bereits auf eigene Faust geklagt. Jetzt folgt die Massenklage.

© imago/Christian Ohde

Ab Montag Massenklage gegen VW: Im Dieselskandal steht die gesamte Konzernführung unter Verdacht

Rund 450.000 Menschen haben sich der Musterfeststellungsklage gegen VW angeschlossen. Wer noch mitmachen will, muss sich bis zu diesem Sonntag anmelden.

Vier Jahre ist es her, da musste Volkswagen einräumen, in den USA bei Abgasmanipulationen erwischt worden zu sein. Dass daraus der größte Skandal werden würde, den der Autobauer je zu verantworten hatte, war damals noch nicht klar. Am 20. September 2015 klang es so: „Wir bei Volkswagen werden alles daran setzen, das Vertrauen, das uns so viele Menschen schenken, vollständig wiederzugewinnen und dafür alles Erforderliche tun, um Schaden abzuwenden“, versprach der damalige Konzernchef Martin Winterkorn. „Die Geschehnisse haben für uns im Vorstand und für mich ganz persönlich höchste Priorität.“ 

VW-Führung steht unter Generalverdacht

Drei Tage später trat Winterkorn zurück. Heute steht die Konzernführung unter Generalverdacht. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat am Dienstag in der Dieselaffäre Anklage gegen den amtierenden Konzernchef Herbert Diess, Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch und Winterkorn erhoben. Sie sollen bereits im Juli 2015 über die illegalen Abschalteinrichtungen informiert gewesen sein, ohne die Anleger zu warnen.

Gegen Winterkorn haben die niedersächsischen Staatsanwälte zudem bereits Anklage wegen schweren Betrugs erhoben, ihre Kollegen aus München haben Ex-Audi-Chef Rupert Stadler wegen Betrugs angeklagt. Stadler habe den Absatz der manipulierten Autos nicht gestoppt, obwohl er von den Manipulationen Kenntnis gehabt habe, heißt es. 

Hunderttausende VW-Kunden wollen ihr Geld zurück

Während sich die Führungsmannschaft strafrechtlich vor Gericht verantworten muss, versuchen Hunderttausende VW-Kunden, ihr Geld zurück zu bekommen. Rund 450.000 Menschen haben sich der Musterfeststellungsklage angeschlossen, die der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) in Kooperation mit dem ADAC eingereicht hat. An diesem Montag findet die erste Verhandlung vor dem Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig statt. Wer noch mitmachen will, muss sich beeilen. An diesem Sonntag endet die Anmeldefrist, danach geht nichts mehr. Zuständig ist das Bundesamt für Justiz.

Was passiert bei der Verhandlung?

Zunächst dürfte es um Verfahrensfragen gehen, aber für alle Beteiligten ist das Neuland. Denn VW ist der erste Anwendungsfall für die neue Klageart. Jahrelang hatten Verbraucherschützer dafür gekämpft, dass Verbraucher bei Streit mit Unternehmen ihre Kräfte bündeln dürfen – erfolglos. Aus Angst, dass in Deutschland eine Klageindustrie nach US-Vorbild entstehen könnte, hatte die Union sämtliche Vorstöße blockiert. Dann kam der Dieselskandal. 

Weil zum Ende 2018 zahlreiche Ansprüche von VW-Kunden zu verjähren drohten, gab es plötzlich Bewegung. Der Gesetzgeber machte den Weg frei für die Musterfeststellungsklage. Am 1. November 2018 trat das neue Instrument in Kraft, noch in der Nacht zum 1. November faxte der VZBV seine 240 Seiten starke Klageschrift. „Danke, VW“, sagt VZBV-Chef Klaus Müller im Nachhinein. Er weiß, ohne den Dieselskandal stünden die Verbraucherschützer wahrscheinlich noch immer mit leeren Händen da.  Möglicherweise kommt bald auch noch Rückenwind aus Brüssel. Denn die EU-Kommission arbeitet an einem „new deal“ für Verbraucher und will den Weg für Sammelklagen in der EU frei machen.

Worum geht es bei der Klage?

Die Verbraucherschützer wollen gerichtlich festgestellt wissen, dass VW die Dieselkäufer mit dem Einbau der Manipulationssoftware vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt hat. Dazu haben sie zwei der bei Dieselklagen erfolgreichsten Kanzleien engagiert: die Kölner Kanzlei Rogert & Ulbrich und die Schwarzwälder Kanzlei Dr. Stoll & Sauer, die sich zur Russ Litigation GmbH zusammengeschlossen haben. VW wird vertreten von der internationalen Großkanzlei Freshfields. 

Das Verfahren beginnt vor dem OLG Braunschweig, wird aber ziemlich sicher auch den Bundesgerichtshof beschäftigen. Am Ende könnte ein Urteil stehen, das grundsätzliche Fragen rund um die Haftung von VW klärt. Verbraucher, die Geld von Volkswagen sehen wollen, können sich darauf berufen – müssen aber in einem zweiten Schritt noch einmal selbst Klage erheben.

Die Klägeranwälte Ralph Sauer und Marco Rogert halten es auch für möglich, dass VW zwischenzeitlich einen Vergleich anbietet. Dieser würde dann für alle Menschen gelten, die sich in das Klageregister beim Bundesjustizamt eingetragen haben. Völlig unklar ist, wie lange sich das Verfahren hinzieht. Das Braunschweiger Oberlandesgericht hat für den 18. November einen zweiten Termin angesetzt, in dem es wohl verstärkt um inhaltliche Fragen gehen wird. Vielleicht fällt danach schon das Urteil, glaubt Sauer. Dann könnte der Bundesgerichtshof bereits 2020 übernehmen. VW rechnet damit, dass das Urteil frühestens in vier Jahren fällt. 

Gibt es noch andere Musterklagen?

Ja. Der Mieterverein München klagt gegen Modernisierungen und Mieterhöhungen der Max-Emanuel-Immobilien GmbH, die Verbraucherzentrale Sachsen gegen Zinsanpassungsklauseln der Stadt- und Kreissparkasse Leipzig. Gleich mehrere Verfahren hat die Schutzgemeinschaft für Bankkunden eingereicht. 

Allerdings haben sowohl das Oberlandesgericht Braunschweig als auch das Oberlandesgericht Stuttgart dem Verband bislang die Klagebefugnis abgesprochen. Welche Musterklagen es gibt, erfährt man beim Bundesamt für Justiz. Um sich solchen Klagen anzuschließen, muss man sich in das jeweilige Klageregister eintragen. Das Verfahren ist für Verbraucher kostenlos.

Klagen auch die Anleger?

Bereits seit mehr als einem Jahr läuft in der Abgasaffäre ein Kapitalmusterverfahren (Kapmug) von Aktionären gegen VW und Porsche. Investoren verlangen Schadensersatz in Milliardenhöhe, weil VW ihrer Meinung nach die Märkte zu spät informiert hat. Die jüngsten Anklagen der Staatsanwaltschaft könnten den Klägern in die Hände spielen. Wie bei der Musterfeststellungsklage ist auch hier das OLG Braunschweig zuständig, allerdings ein anderer Senat. Was beide Prozesse eint: Weil im Oberlandesgericht nicht genug Platz ist, finden beide Verfahren in der Stadthalle Braunschweig statt. 

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