zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Mehr als eine Spielerei

Arbeitgeber locken Bewerber neuerdings mit Online-Spielen auf ihren Karriereseiten. Dahinter verbergen sich oft Einstellungstests.

Wer es bis in den „geheimen Raum“ am Ende des letzten Levels schaffen will, muss erst mal für den virtuellen Kollegen Kaffee kochen: Die Deutsche Telekom schickt angehende Nachwuchskräfte in einem Online-Spiel durch eine virtuelle Version ihrer Bonner Unternehmenszentrale. Dort gilt es, teils recht profane, teils anspruchsvolle Aufgaben aus dem Arbeitsalltag der virtuellen Telekom-Mitarbeiter zu lösen: Mal müssen die Spieler Milch für den Kaffee organisieren, mal Kabel richtig an einem Laptop anschließen, einen HTML-Code vervollständigen oder Mathe-Aufgaben lösen.

Auf die erfolgreichen Kandidaten wartet am Ende dann auch kein furchteinflößender Gegner – sondern ein gemütlich aussehender grauhaariger Herr mit Brille: Marc-Stefan Brodbeck, Personalmanager der Deutschen Telekom, lädt die erfolgreichen Spieler persönlich zum nächsten Level des Online-Bewerbungsverfahrens ein. Denn die Telekom wirbt mit ihrem Recruiting-Spiel um Schulabgänger von Realschulen und Gymnasien, die auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz sind. Die können sich so per Mausklick die Chance auf einen realen Ausbildungsplatz oder ein duales Studium bei dem Bonner Konzern erspielen.

Virtuelle Karrierespiele und bunt animierte Online-Einstellungstests finden sich mittlerweile auf vielen Karriereseiten von Arbeitgebern. Der Konsumgüterkonzern Unilever zum Beispiel lässt Bewerber eine virtuelle Eisfabrik der bekannten Marke Ben & Jerry´s leiten. Bei der Commerzbank und der Targobank übernehmen die Spieler die Rolle von Kundenberatern. Das Handelsunternehmen Tchibo peppt klassische Einstellungstest-Fragen durch eingespielte Videos und einen virtuellen Unternehmensrundgang auf. Kosmetikhersteller L'Oréal lässt Schüler und Studenten online in die Rolle eines Management-Trainees schlüpfen und ein neues Beauty-Produkt entwickeln.

Auch auf der Karrierespiel-Plattform Fliplife präsentieren sich inzwischen neben fiktiven Arbeitgebern reale Unternehmen: Neben dem Job als Gangster oder Journalist sind in dem Online-Spiel jetzt auch Karrieren als Wissenschaftler bei der virtuellen Zentrale des Bayer-Konzerns oder als Ingenieur bei Autohersteller Daimler beliebte Spiel-Optionen.

„Recrutainment“ haben Spieleentwickler und Personaler den Trend getauft. Gemeinsames Ziel: Der Bewerbungsprozess soll unterhaltsamer werden. „Die Unternehmen wollen mit diesen Karrierespielen gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen“, erklärt Johannes Stärk, der Nachwuchs- und Führungskräfte bei der Vorbereitung auf Einstellungstests und Assessment-Center berät. „Die Firmen informieren Bewerber über Karrieremöglichkeiten, werben für sich als Arbeitgeber, sortieren unpassende Kandidaten frühzeitig aus – und das alles auf eine unterhaltsame Weise, die dem Unternehmen einen sympathischen Anstrich gibt.“

Bewerber sollten sich von den sympathisch bunten virtuellen Welten und unterhaltsamen Animationen also nicht täuschen lassen: „Nüchtern betrachtet, kombinieren die Spiele oft verschiedene Fragebogenmodule zur Datenerhebung – genauso wie klassische Einstellungstests“, sagt Stärk. Hinter den harmlos daherkommenden Online-Spielchen können sich knallharte Analyseverfahren verbergen. „Das Besondere daran ist lediglich die Einbettung in ein Spieldesign. So erscheinen die sonst eher abschreckend wirkenden Testbatterien viel positiver und erzeugen eine höhere Teilnahmemotivation.“

Generell gilt: Online-Spiele und Online-Tests sind meist nur der erste Schritt in einem mehrstufigen Bewerbungsverfahren. Wer besteht, qualifiziert sich für die nächste Stufe und wird zum realen Vorstellungsgespräch oder Assessment-Center eingeladen.

„Bei den Spielen geht es den Unternehmen einerseits darum, gute Kandidaten auf ihr Unternehmen aufmerksam zu machen. Ein ebenso wichtiges Ziel ist es aber auch, ungeeignete Bewerber gleich zu Beginn auszusortieren“, sagt Stärk. Vor allem große Konzerne, bei denen sich für Einstiegspositionen oft viele Hundert oder sogar Tausende Kandidaten bewerben, wollen durch die Spiele den Aufwand bei der Bewerberauswahl reduzieren. Mal werden knallhart nur die besten „Spieler“ zum realen Auswahltest eingeladen. Mal sollen die Nachwuchskräfte durch die Spiele von allein darauf kommen, dass sie für einen bestimmten Job womöglich nicht die nötigen Fähigkeiten mitbringen.

„Selbst-Selektion“ nennt das Frank Schmith, der bei Lufthansa für Personalmarketing und Bewerberauswahl zuständig ist. Seit Jahresbeginn können Schüler und Schulabgänger auf der Lufthansa-Karriere-Website „be Lufthansa“ und über die Facebook-Seite des Luftfahrtkonzerns in einem sogenannten Berufsorientierungsspiel herausfinden, für welche Ausbildung sie geeignet sind – oder eben auch nicht.

Beim Online-Spiel stellen virtuelle Mitarbeiter der Fluggesellschaft Fragen über ihre Stärken und Schwächen und schlagen am Ende konkrete Jobs vor, für die sich Nachwuchskräfte auf der Karriereseite bewerben können. „Das Spiel soll jungen Bewerbern dabei helfen, ein realistisches Bild von den 40 Ausbildungsberufen und dualen Studiengängen zu bekommen, die wir anbiete“", sagt Schmith. Oft würden sich Nachwuchskräfte nämlich sonst gleich auf zehn verschiedene Ausbildungen bewerben – ohne wirklich zu wissen, was hinter den Ausschreibungen steckt und ob sie überhaupt die nötigen Fähigkeiten für die Jobs mitbringen. „Wenn wir durch das Spiel erreichen, dass sich Kandidaten nur noch auf diejenigen Stellen bewerben, für die sie wirklich geeignet sind, spart das unserer Personalabteilung viel Arbeit“, sagt Schmith. Wer sich durch das Orientierungsspiel der Fluglinie geklickt hat, wird gleich zu den passenden Stellen auf der Bewerbungs-Homepage weitergeleitet. Und dann ist erst mal Schluss mit lustigen Spielchen.

In verschiedenen Online-Tests werden die für die Stelle geforderten Kenntnisse und Fähigkeiten abgefragt – ganz ohne spielerische Elemente, erklärt Schmith. Bei den Tests gebe es höchstens kleine Videos mit Erklärungen zum weiteren Testverfahren. „Ich will nicht, dass die Kandidaten durch bunte Bildchen abgelenkt werden, wenn sie zum Beispiel eine Integralrechnung lösen sollen.“ Würde man das gesamte Testverfahren mit spielerischen Elementen gestalten, würde womöglich mancher Bewerber erst zu spät realisieren, dass es am Ende um etwas Ernstes gehe: um einen Ausbildungs- oder Arbeitsvertrag. (HB)

Sarah Sommer

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false