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Wirtschaft: Mehr als mehr Geld

Weil in vielen Branchen Fachkräfte fehlen, haben Chefs ausgefallene Ideen. Gewerkschaften warnen, dass das nicht reicht

Für die Mitarbeiter von Hochtief sind die Grenzen zwischen Job und Privatleben nahezu fließend. Denn wer für den Essener Baukonzern arbeitet, wird in fast allen wichtigen Lebensfragen betreut. „Wir helfen unseren Leuten zum Beispiel, das passende Kindermädchen zu finden, wenn es einmal einen Engpass gibt“, sagt Konzernsprecher Christian Gerhardus. „Selbst wenn es vorkommt, dass die Eltern der Mitarbeiter plötzlich altersbedingt betreut werden müssen, dann bezahlen wir unseren Angestellten einen Beratungstermin, damit sie die neue Situation in den Griff bekommen.“

Babysitting, Familienberatung, Weiterbildung, Dienstwagen oder sogar die Mitfinanzierung von Häusern – immer mehr Unternehmen sind bereit, viel Geld auszugeben, um langjährige Mitarbeiter an sich zu binden oder neue zu gewinnen. Der Grund: Weil in vielen Branchen Tausende von Fachkräften fehlen, hat dort ein Wettbewerb um die besten Köpfe begonnen. „Nur weil wir Schwierigkeiten haben, manche Stellen zu besetzen, heißt das noch lange nicht, das wir jeden nehmen“, erklärt Gerhardus von Hochtief.

Wie angespannt die Lage auf dem Fachkräftemarkt jetzt schon ist, zeigen die Zahlen. So hat im verarbeitenden Gewerbe bereits mehr als die Hälfte der Firmen gravierende Probleme, offene Stellen zu besetzen, berichtet der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Zusammengenommen fehlten rund 43 000 IT-Fachleute und Ingenieure bundesweit, klagen auch die beiden Branchenverbände Bitkom und VDI. Die Situation werde sich in den kommenden Monaten weiter verschärfen, heißt es beim DIHK. So werde bei bestimmten Berufen der Bedarf der Unternehmen deutlich höher sein als die Zahl der am Arbeitsmarkt verfügbaren Kräfte. „Jede Stelle, die nicht besetzt werden kann, bedeutet nicht nur einen Verlust für das Unternehmen, sondern auch für die Volkswirtschaft“, warnt Oliver Heikaus, Referatsleiter Arbeitsmarkt beim DIHK. Deshalb müssten die Arbeitgeber weit mehr für sich werben als bislang. „Unternehmen, die sich als besonders attraktive Arbeitgeber präsentieren, haben im Wettstreit um qualifizierte Köpfe bessere Chancen.“ So ließen sich Arbeitnehmer nicht nur über ein höheres Gehalt, sondern auch über flexible Arbeitszeiten oder Weiterbildungsangebote anlocken, rät Heikaus.

Christina Grubendorfer geht da noch weiter. Sie ist Gründerin der Employer Branding Akademie in Berlin, einer Firma, die Betriebe bei der Darstellung nach außen berät. „Nur wenn die Firmen in die Zufriedenheit der bereits bestehenden Mitarbeiter investieren, gelingt es ihnen, durch eine positive Außenwirkung auf sich aufmerksam zu machen und gute Leute anzuziehen“, erklärt sie. Die Firmen müssten dabei vorgehen wie bei der Entwicklung einer Konsumgütermarke, sagt Grubendorfer, und letztlich eine eigene Firmenmarke – ein Employer Branding – entwickeln. „Wenn sich ein Unternehmen darüber im Klaren ist, wen genau es mit seiner Marke ansprechen will, kann es seinen Verkaufsvorteil richtig nutzen“, sagt sie. Grubendorfers Angaben zufolge gehen bereits alle Großkonzerne einer solchen Strategie nach. „Aber die Mittelständler hinken noch deutlich hinterher.“

Kurzfristig um die besten Kräfte zu buhlen, löse das Problem nicht, kritisieren dagegen die Gewerkschaften. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels müsse man vielmehr ältere Arbeitnehmer fördern und zugleich der schulischen Ausbildung deutlich mehr Aufmerksamkeit schenken, fordert Wilhelm Adamy, Leiter der Abteilung Arbeitsmarktpolitik beim DGB-Bundesvorstand. Und nicht zuletzt müssten Unternehmen bereit sein, mehr zu zahlen. „Wer qualifizierte Arbeitskräfte halten oder anwerben will, kommt nicht umhin, bei den Löhnen kräftig nachzulegen.“

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