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Wirtschaft: Mehr Arbeit, mehr Geld

Am Montag beginnen in Potsdam die Verhandlungen – Leistung soll sich künftig auszahlen. Doch es gibt noch viel Streit

Berlin - Jetzt bloß kein Risiko mehr eingehen. Otto Schily (Bund), Thomas Böhle (Kommunen) und Frank Bsirske (Verdi) haben sich Schweigen verordnet. Ein falsch verstandener Satz könnte ja die Arbeit der letzten zwei Jahre gefährden und die Akteure kurz vor dem Ziel noch aus der Bahn werfen. Am Montag treffen sich die Tarifpolitiker in Potsdam, um die letzten offenen Punkte in der Reform des öffentlichen Tarifrechts zu lösen. Und kurz vor der Entscheidung steigt die Spannung. Werden die Kommunen und der Bund mit der Forderung nach längeren Arbeitszeiten die Gewerkschaft provozieren? „Das wäre für uns ein K.o.-Punkt“, sagt die nordrhein-westfälische Verdi-Chefin Gabriele Schmidt. „Dann sind die Verhandlungen schnell beendet.“ Doch ein Scheitern der „Jahrhundertreform“ (Böhle) können sich die Beteiligten nicht leisten.

Um was geht es?

Das Tarifsystem, im Kern steht der Bundesangestelltentarif (BAT), ist undurchschaubar geworden. Alles in allem gibt es rund 600 Tarifverträge, nur die wichtigsten davon füllen schon 3000 Seiten. Künftig sollen die bedeutendsten Regeln in eine Broschüre mit 100 Seiten passen. Der Regelungswust ist schon deshalb nicht mehr zeitgemäß, weil der öffentliche Dienst zunehmend vom Wettbewerb geprägt wird. Deshalb gibt es für Bereiche wie Entsorgung oder Nahverkehr bereits so genannte Spartentarifverträge, die sich an den Arbeitsbedingungen privater Unternehmen orientieren.

Wie wird künftig bezahlt?

Um die notwendige Akzeptanz der Reform zu gewährleisten, haben sich Kommunen, Bund und die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi auf das Prinzip der Besitzstandswahrung geeinigt: Keiner der heute Beschäftigten verliert Geld. Damit der öffentliche Dienst für den Nachwuchs attraktiver wird, verdienen Jüngere künftig mehr und Ältere weniger. Über das ganze Erwerbsleben gesehen soll das Einkommen gleich bleiben. Die Trennung in Arbeiter und Angestellte wird aufgehoben und statt sieben Entgelttabellen gibt es nur noch eine mit 15 Entgeltgruppen; die Einordnung in den Gruppen hängt ab von der Qualifikation. Bemerkenswert: In den unteren Lohngruppen können die Entgelte gesenkt werden, wenn das in einem Haustarif geregelt wird und sich der Arbeitgeber dabei verpflichtet, den betroffenen Bereich nicht auszugründen. Das könnte zum Beispiel wichtig sein für Wäschereien oder Küchen in Krankenhäusern.

Wer bekommt weniger?

Die niedrigste Entgeltgruppe beginnt künftig bereits bei 1286 Euro, das sind gut 300 Euro weniger als bislang und entspricht einem Stundenlohn von 7,86 Euro. Verdi hat sich auf dieses Zugeständnis eingelassen, weil der öffentliche Dienst im Verhältnis zu vielen Wettbewerbern zu teuer ist. Mit dem neuen Niedriglohn will Verdi dem Trend zum Outsourcen und Privatisieren stoppen.

Was passiert mit Ortszuschlägen?

Das so genannte Absitzen von Gehaltserhöhungen gibt es künftig nicht mehr, Einkommenserhöhungen allein auf Grund des Alters gehören dann also der Vergangenheit an. Ebenso entfällt der Zuschlag für Verheiratete und für Kinder. Grundsätzlich sollen die Beschäftigten also stärker danach bezahlt werden, was sie tatsächlich tun und wie sie es tun.

Welche Leistungsprämie gibt es?

Im Jahr 2006 werden zwei Prozent der Lohn- und Gehaltssumme eines öffentlichen Arbeitgebers nach Leistung gezahlt. Wenn eine Kommune Personalkosten von einer Million Euro im Jahr hat, muss sie also im nächsten Jahr 20000 Euro als Leistungsprämie an ihre Beschäftigten ausgeben. Wie sie das tut, regeln die Betriebsparteien; das Leistungsentgelt kann für alle oder aber auch nur für ein paar Arbeitnehmer ausgegeben werden. Langfristig soll der leistungsbezogene Anteil am Entgelt von zwei auf acht Prozent steigen. In welchen Zeiträumen das passiert, soll in den Tarifrunden der kommenden Jahre geklärt werden. Am Ende, wenn die acht Prozent erreicht sind, würde das immerhin der Höhe eines Monatsgehalts entsprechen.

Wie wird die Leistung gemessen?

Das bisherige Beurteilungssystem im öffentlichen Dienst lehnt Verdi als willkürlich ab. Denkbar sind stattdessen Zielvereinbarungen, etwa über die Anzahl von Vorgängen je Mitarbeiter, den Erfolg des Betriebs, Projektarbeit oder die Anzahl der Vermittlungen, zum Beispiel in den Agenturen für Arbeit. Den genauen Katalog der Leistungskriterien wollen die Tarifparteien festlegen.

Wer bezahlt die Reform?

Die Reform kostet Geld. Sie darf aber kein Geld kosten, weil allein die Kommunen unter einem Milliardendefizit leiden. Im Prinzip gibt es zwei Varianten des Kostenausgleichs: Die Arbeitgeber präferieren die Anrechnung der Zuschläge (Verheiratete, Kinder, Alter) und des Weihnachts- und Urlaubsgelds. Verdi möchte die Einkommenserhöhungen der nächsten Jahre verrechnen. Ferner setzt die Gewerkschaft auf einen demografischen Faktor: Die Hälfte der öffentlich Bediensteten ist älter als 50 Jahre, altersbedingt scheiden 30 Prozent der Beschäftigten bis 2010 aus. Die Besitzstände fallen dann also weg mit entsprechenden Einspareffekten für die Arbeitgeber. Verdi beziffert den Effekt jährlich auf 0,5 Prozent der Personalkosten.

Wie lange wird gearbeitet?

Die tarifliche Arbeitszeit liegt im Westen bei 38,5 Stunden und im Osten bei 40 Stunden. Eine Arbeitszeitverlängerung kommt für Verdi nicht in Frage. Stattdessen wird die Zeit über das Instrument von Korridoren und Konten flexibler und kostengünstiger eingesetzt. So kann künftig 45 Stunden die Woche ohne Überstundenzuschläge gearbeitet werden. In Bereichen, die im Wettbewerb mit Privaten stehen (zum Beispiel Flughäfen), sind bis zu 48 Stunden möglich. Die Arbeitgeber sparen also Geld und können das Personal zielgenauer einsetzen. In Freibädern kann etwa im Sommer länger gearbeitet werden oder in Kfz-Zulassungsstellen im Frühjahr. Binnen eines Jahres müssen die Arbeitszeitkonten ausgeglichen werden.

Was ist noch strittig?

Über Urlaubs- und Weihnachtsgeld ist noch nicht abschließend verhandelt worden. Offen ist auch, ob die Unkündbarkeit nach 15 Dienstjahren abgeschafft wird, und wie Bereitschaftsdienste zu bewerten sind. Schließlich muss die Tarifrunde 2005 in das Reformpaket passen. Verdi wird sich nicht auf eine Nullrunde einlassen, die Arbeitgeber lehnen eine prozentuale Einkommenserhöhung ab. Denkbar wäre also eine Einmalzahlung für 2005 und für 2006 vielleicht eine zweiprozentige Erhöhung, von der dann wiederum ein Prozent nicht ausgezahlt würde, sondern mit den Kosten der Leistungsprämie zu verrechnen wäre.

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