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Wirtschaft: Mehr für Spiele, weniger für Brot

Die Deutschen lassen sich ihre Freizeit im Schnitt 250 Euro im Monat kosten / Auch sehr teure Veranstaltungen sind beliebt

Düsseldorf - Für einen Platz beinahe auf dem Schoß von Mick Jagger greifen echte Fans schon mal etwas tiefer in die Tasche. Wer die Rolling Stones im Stadion nicht nur von den gewöhnlichen Plätzen aus zujubeln möchte, erwirbt für 450 Euro ein so genanntes On-Stage-Ticket. Einige hundert Plätze sind bei den Auftritten der Stones in die Bühne integriert, dafür erleben Fans den Rock ’n’ Roll aus nächster Nähe. Und haben all denen etwas voraus, die auf den billigen Plätzen für 100 Euro sitzen.

Vorbei die Zeiten, als etwa der Stehplatz in der Fußball-Fankurve für zehn Mark einen unterhaltsamen Nachmittag im Stadion verhieß und die Thüringer mit Toastbrot die Messlatte der Gaumenfreuden war. Immer neue Höhen erklimmen Preise für Eintrittskarten, ob für Rock-Konzerte, Wagner-Festspiele oder Fußballmatches. Doch die Kalkulation der Veranstalter geht meist auf, denn den Deutschen ist ihre Freizeit immer mehr Geld wert. „Die Deutschen stehen mittlerweile auf teure Events“, sagt Freizeitforscher Ulrich Reinhardt vom Hamburger BAT-Institut. Und sie bezahlen dafür einen immer höheren Anteil ihres Einkommens. Noch 1962 wendete der durchschnittliche bundesdeutsche Haushalt laut Statistischem Bundesamt lediglich 53 D-Mark im Monat für Freizeit, Unterhaltung und Kultur auf – das waren gut sieben Prozent des privaten Verbrauchs. Bis 2003 schnellten die Ausgaben im gesamtdeutschen Schnitt auf 261 Euro, das waren bereits zwölf Prozent des privaten Konsums.

Wie wenig die Deutschen bereit sind, Abstriche an ihrer Freizeitgestaltung zu machen, zeigt ein Blick in die ostdeutschen Bundesländer: Obwohl dort weniger Geld für den privaten Konsum zur Verfügung steht, geben die Haushalte im Schnitt fast genauso viel für ihre Freizeit aus wie im Westen, der Anteil am privaten Konsum beträgt dort mit 244 Euro im Monat deshalb sogar mehr als 13 Prozent.

„Heutzutage identifizieren sich die Menschen zu einem großen Teil über ihre Freizeitaktivitäten“, sagt Freizeitforscher Reinhardt. „Wer beim Rolling-Stones-Konzert war, kann im Büro erzählen, dass Mick Jagger immer noch so fit ist wie vor 20 Jahren. Die Musik ist da gar nicht so wichtig.“ Gespart wird offenbar woanders. Für Nahrungsmittel, Getränke und Tabak gaben die Deutschen vor 44 Jahren noch mehr als jede dritte Mark aus, 2003 war es nur noch jeder siebte Euro. Auch Discounter wie Lidl und Aldi machen es möglich.

Die Deutschen geben nach Ansicht von Reinhardt auch deshalb mehr Geld für Freizeit aus, weil sie in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr davon zur Verfügung hatten. So wurde der Sonnabend vom Arbeits- zum Freizeittag. Gleichzeitig ließ die steigende Nachfrage die kommerziellen Freizeit-Angebote anwachsen.

„Dabei kommt es auf die Inhalte immer weniger an“, sagt Freizeitforscher Reinhardt. Mit „Erlebnissen von der Stange“ verdient die Freizeitindustrie seiner Ansicht nach immer mehr Geld. Sobald aus einem Zoo ein Erlebnis-Zoo mit einigen zusätzlichen Angeboten werde, locke das die Leute an und treibe die Marge der Betreiber in die Höhe, Gleiches gelte für Schwimmbäder.

Das immer weiter wachsende Angebot an Events, Festen und Freizeitparks führt aber offensichtlich auch dazu, dass die meisten das Erlebte gar nicht mehr schätzen können, hat Reinhardt festgestellt. „Obwohl wir einen immer größeren Teil unseres Geldes in die Freizeit investieren, haben wir das Gefühl, dass wir uns immer mehr von dem Angebotenen nicht mehr leisten können.“

Nils-Viktor Sorge

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