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Das Logo der Agentur für Arbeit beim Arbeitsamt im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg

© dpa/Susann Prautsch

Update

Mehr Menschen ohne Job: Vor welchen Herausforderungen der Arbeitsmarkt steht

Der deutsche Arbeitsmarkt schwächelt langsam – und die Probleme dürften in diesem Jahr noch größer werden. Müssen sich die Menschen ängstigen?

Die Zeit der Beschäftigungsrekorde ist vorbei. Zwar sind hierzulande im vergangenen Jahr so viele Menschen arbeiten gegangen wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Im Dezember stieg die Zahl der Arbeitslosen jedoch um 47 000 auf 2,3 Millionen. Die Arbeitslosenquote betrug damit 4,9 Prozent. Eine Entwicklung, die es lange nicht gab.

Ein Anstieg ist zu dieser Jahreszeit wegen der Winterpause zwar üblich. Doch erstmals seit sechs Jahren waren auch mehr Menschen im Vergleich zum Vorjahresmonat ohne Job. Das ist zuletzt während der EU-Finanzkrise vorgekommen. "2019 war ein anderes Jahr als 2018. Wir haben erstmals gesehen, dass die Bäume nicht mehr in den Himmel wachsen“, sagte Detlef Scheele, Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA) bei der Vorstellung der aktuellen Zahlen.

Was bedeutet das für dieses Jahr? Müssen sich die Menschen ängstigen? Werden etliche ihren Job verlieren? Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung geht davon aus und rechnet 2020 mit einer Trendwende – allerdings nur in geringem Maße. Das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) rechnet weiterhin mit einem stabilen Arbeitsmarkt. Dort wird erwartet, dass die Zahl der Erwerbslosen in den nächsten Monaten wegen der konjunkturellen Schwäche leicht steigen wird.

Angesichts fehlender Fachkräfte werde die Arbeitslosigkeit aber mittelfristig weiter sinken. Die Industrie bereitet den Experten die meisten Sorgen, da sie schon seit längerem unter der flauen Weltwirtschaft und internationalen Handelskonflikten leidet. All das wirkt sich bereits auf die Bereitschaft vieler Unternehmen aus, neue Mitarbeiter einzustellen. In der Automobilbranche häufen sich Nachrichten von Entlassungen und Kurzarbeit.

Die Sorge vor dem Jobverlust wird größer

Laut einer Umfrage der Beratungsgesellschaft Ernst & Young (EY) halten deswegen nur noch 43 Prozent der Deutschen ihren Arbeitsplatz für sehr sicher. Das sind sechs Prozentpunkte weniger als vor einem Jahr. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt sei weiterhin „sehr günstig“, doch die wirtschaftlichen Probleme und „die immer häufiger angekündigten Stellenstreichungspläne namhafter Unternehmen“ führen laut EY zu Verunsicherung. „Viele Unternehmen haben zuletzt Gewinnwarnungen herausgegeben oder sogar den Abbau von Arbeitsplätzen verkündet“, erklären die Berater.

Bundesagentur-Chef Scheele sieht in diesem Jahr allerdings ein weitaus größeres Problem beim Fachkräftemangel. Aktuell werden bundesweit Klempner genauso gesucht wie Altenpfleger und Physiotherapeuten, Fachkräfte in der Energietechnik ebenso wie Lkw-Fahrer. Zum ersten Mal seit langem werde es aus Scheeles Sicht ohne Zweifel keinen Zuwachs bei der erwerbstätigen Bevölkerung mehr geben. Der Grund ist die demografische Entwicklung. Deutschland hat nach Japan schon jetzt die zweitälteste Gesellschaft der Welt. Im kommenden Jahrzehnt geht zudem die Generation der Babyboomer in Rente – und viel zu wenig junge Menschen kommen nach, die arbeiten, Steuern zahlen und Versicherungsbeiträge. Unter dieser Entwicklung droht der Sozialstaat zu kollabieren.

Was dagegen versucht wird? Noch mehr Frauen und Ältere sollen arbeiten gehen. Das Problem ist nur, dass diese Potenziale in den vergangenen Jahren schon ziemlich ausgeschöpft wurden. Außerdem müsste die Vereinbarkeit von Familie und Beruf deutlich verbessert werden. Deswegen konzentriert sich die Politik auf Fachkräfte aus dem Ausland. Vor kurzem hatte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung berechnet, dass bis 2060 jedes Jahr 260 000 Menschen nach Deutschland einwandern müssten, um den Mangel an Mitarbeitern auszugleichen. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das im März in Kraft tritt, soll qualifizierten Arbeitnehmer aus Nicht-EU-Staaten den Weg nach Deutschland erleichtern. Viele EU-Mitgliedstaaten durchlaufen ähnliche oder noch gravierendere demographische Entwicklungen als Deutschland.

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Noch bilden sich viel zu wenige weiter

Eine weitere Herausforderung für den Arbeitsmarkt wird die Digitalisierung. Laut IAB werden in Deutschland bis zum Jahr 2035 etwa genauso viele Jobs durch die Digitalisierung verloren gehen, wie neue Arbeitsplätze geschaffen werden – ungefähr 2,7 Millionen. Vor einem Jahr brachte die Bundesregierung daher das Qualifizierungschancengesetz auf den Weg. Die Idee: Die Arbeitsagentur berät mehr über berufliche Weiterbildungen von Beschäftigten – und übernimmt die Kosten. Die Höhe der Zuschüsse für Berufsabschlüsse oder Teilqualifikationen ist von der Größe des Betriebs abhängig – je kleiner, desto höher. Vor einigen Wochen teilte die Behörde mit, dass erst 26 000 Menschen von der Möglichkeit bisher Gebrauch gemacht haben. Sie kommen vor allem aus der Altenpflege und dem Transportgewerbe. Das verarbeitende Gewerbe sei noch zögerlich. „Die können keinen zur Weiterbildung schicken, weil die alle am Band stehen oder im Betrieb stehen und arbeiten“, sagte Scheele.

Die Grünen fordern ein Recht auf Weiterbildung. „Gute Qualifizierung darf weder am Geld noch an Zeit oder Information scheitern“, heißt es in einem Beschluss der Bundestagsfraktion. In der heutigen Zeit sei dies eine „Schlüsselaufgabe der Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik“. Das Weiterbildungsgeld soll 200 Euro höher als das individuelle Arbeitslosengeld I und „mindestens 200 Euro höher als Arbeitslosengeld II“ ausfallen. Es sollen Menschen erhalten, die arbeitslos oder von Arbeitslosigkeit bedroht sind, sowie Erwerbstätige, die sich für einen „Engpassberuf“ umschulen lassen.

Auf deutsche Beschäftigte kommen zwiespältige Jahre zu: Einerseits werden sie knapper. Unternehmen müssen mit höheren Gehältern und flexibleren Arbeitsbedingungen um sie werben. Andererseits werden die Ansprüche an sie enorm wachsen. Ihre Tätigkeiten werden sich verändern und in vielen Fällen komplexer sein, da Maschinen immer mehr einfache Aufgaben übernehmen. Neues dazulernen wird zum Dauerzustand.

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