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Wirtschaft: Mehr Risiken als Chancen

Bis zu 20 Unternehmen wollen 2011 an die Börse, darunter GSW aus Berlin

Während der Finanzkrise traute sich niemand. Inzwischen wagen wieder mehr Unternehmen den Gang an die Börse. In diesem Jahr könnten es 15 bis 20 werden, schätzen Experten. Privatanlegern raten sie dabei zur Vorsicht. „Bei einem Börsengang gibt es für die Anleger oftmals mehr Risiken als Chancen. Die Aktienpreise sind in vielen Fällen viel zu hoch, so dass gar keine Luft mehr nach oben bleibt, um von Steigerungen zu profitieren“, sagt Michael Kunert von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger. Der Tagesspiegel stellt drei Börsenneulinge vor.

GSW

Nach einem gescheiterten Versuch im vergangenen Jahr ist es am morgigen Freitag soweit: Der Berliner Immobilienkonzern GSW geht an die Börse. Mit einem erwarteten Volumen von über 500 Millionen Euro ist es der bislang größte Börsengang des Jahres – und er könnte erfolgreich sein. Denn der Wert deutscher Immobilien ist in den vergangenen Jahren stabil geblieben und vor allem der boomende Berliner Immobilienmarkt zieht zahlreiche Investoren an. Genau davon könnte die GSW mit ihren 65 000 Wohnungen, wovon knapp 50 000 im eigenen Bestand sind, profitieren.

Michael Kunert gibt zu bedenken, dass die Qualität der Immobilien oftmals niedrig ist. „Sehr viele Filetstücke der GSW wurden nach der Übernahme durch die amerikanischen Investoren als Eigentumswohnungen verkauft. Jetzt sind noch Wohnungen im Bestand, die durchaus großen Sanierungsbedarf haben. Ob da die erwarteten Mietsteigerungen möglich sind, ist fraglich.“ Mit einer Preisspanne von 19 bis 23 Euro sei die Aktie zu hoch bewertet, sagt Kunert. „23 Euro liegen fern jeglicher Realität. Da sind Finanzinvestoren wieder einmal viel zu gierig.“ Die Zeichnungsfrist für die Papiere ist ohnehin schon abgelaufen.

SCHIESSER

Mehr Zeit können sich Anleger bei Schiesser lassen: Der Wäschehersteller verschiebt seinen für das zweite Quartal geplanten Börsengang auf das Jahresende. Das Unternehmen wolle sich „etwas mehr Zeit geben und abwarten, inwieweit die Kapitalmärkte die aktuellen Neuemissionen aufnehmen“, teilte die Schiesser AG am Mittwoch mit. Die Traditionsmarke war 2009 zahlungsunfähig geworden, jetzt soll der Börsengang, mit dem der ehemalige Insolvenzverwalter Volker Grub die Gläubiger auszahlen will, die Auferstehung vorantreiben. Als neuer Termin sei Ende November oder Anfang Dezember geplant, hieß es bei Schiesser. Als begleitende Banken stehen die Equinet Bank und die BHF-Bank fest.

Schiesser scheint sich von der Pleite erholt zu haben: Seit einiger Zeit werden wieder schwarze Zahlen geschrieben. Der Insolvenzverwalter hatte verlustbringende Lizenzverträge gekündigt, die Belegschaft wurde verkleinert. Auch ein Outlet-Verkauf trieb den Neubeginn voran. Ein Börsengang aus der Insolvenz heraus ist dennoch ein ungewöhnlicher Schritt. „Der Gang an die Börse sollte immer Teil eines überzeugenden Geschäftsmodells sein. Dann kann das Unternehmen auch eine langfristige Perspektive für Investoren bieten“, sagt Zafer Rüzgar, Analyst bei Independent Research aus Frankfurt am Main. Ein gesundes Unternehmen könne das Geld, das es bei einem Börsengang einsammelt, investieren. „Geschieht der Börsengang allerdings als Reaktion auf eine Insolvenz, ist das Ganze mit Skepsis zu betrachten. Wenn durch den Börsenerlös vor allem Altschulden beglichen werden sollen, wäre ich als Kleinanleger sehr zurückhaltend.“

HAPAG-LLOYD

Fast fünf Millionen transportierte Container, knapp 7000 Mitarbeiter in mehr als 100 Ländern, ein Umsatz in 2010 von 6,2 Milliarden Euro: Die Eckdaten von Hapag-Lloyd können sich sehen lassen. Auch die fünftgrößte Container-Reederei der Welt soll in diesem Jahr an die Börse gehen, auch wenn manche Analysten noch zweifeln. „Momentan spricht mehr dagegen als dafür“, sagt Oliver Drebing, Analyst bei Alster Research. Die jüngsten Entwicklungen sehen eher nach einem Ausverkauf der Reederei aus. Das Touristikunternehmen TUI, das derzeit noch knapp 50 Prozent an Hapag-Lloyd hält, bestätigte unlängst Gespräche mit möglichen Investoren über Anteilsverkäufe. Hauptinteressenten: das Sultanat Oman sowie die chinesische Logistikgruppe HNA. „Wenn wirklich beide Parteien einsteigen sollten, würde auf TUI keinerlei Finanzdruck mehr lasten“, sagt Drebing. „Ein Börsengang von Hapag-Lloyd wäre dann sicher ausgeschlossen.“

MEHR BÖRSENKANDIDATEN

Weitere Kandidaten in diesem Jahr sind die Adler-Modemärkte, die Siemens- Tochter Osram und der Chemiekonzern Evonik. Der Börsengang von Adler wird hauptverantwortlich von der Commerzbank organisiert. Vor allem institutionelle Investoren aus Deutschland und Großbritannien will das Textilunternehmen, das in 2010 einen Umsatz von 445 Millionen Euro erwirtschaftet hat, erreichen. Auch Siemens hat angekündigt, die Lichttechniktochter Osram noch in diesem Jahr an die Börse bringen zu wollen. Osram beschäftigt weltweit 40 000 Mitarbeiter an 46 Standorten und setzte zuletzt 4,7 Milliarden Euro um. Auch der Chemiekonzern Evonik schmiedet Pläne für einen Börsengang. Im Herbst soll entschieden werden, ob es noch in diesem Jahr klappt. Bei einem Börsengang würde der gesamte Konzern wohl mit deutlich mehr als zehn Milliarden Euro bewertet. Damit dürfte Evonik ein heißer Anwärter für eine Mitgliedschaft im deutschen Leitindex Dax sein.

Anne Hansen

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