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Mein ERSTES Geld (92): Entschleunigung des Baguettes

Christoph Markschies Präsident der Humboldt-Universität

„Haste Paech-Brot im Keller, sterben dir die Ratten schneller.“ So drastisch wandelte man in der längst schon pleitegegangenen und inzwischen auch abgerissenen Berliner Brot-Bäckerei Paech die stadtbekannte Gebrauchslyrik um, die in U-Bahnen und Bussen der BVG die einen erfreute und die anderen nervte. In jener traditionsreichen Brotbäckerei habe ich mein erstes Geld (oder, um präziser zu sein, mein erstes richtiges eigenes Geld) verdient. Ich arbeitete dort nach dem Abitur, um mir etwas Geld für Reisen und eine Drehscheibe samt Ringlockschuppen für meine Modelleisenbahn zu verdienen, stand dazu mitten in der Nacht auf und radelte von Dahlem am Zoo vorbei nach Moabit. Meine Aufgabe bestand darin, Baguette-Brote in Tüten zu stecken – besser gesagt: zu werfen, denn alle paar Minuten warf die Maschine neue heiße Baguettes aus, ganz egal, ob ich die alten schon eingetütet hatte oder nicht. Ob sich die Läden über die vielen eingerissenen Tüten beschwert haben, weiß ich nicht. Nach einer Weile entdeckte ich jedenfalls den Schalter, mit dem sich die große Backstraße langsamer stellen ließ. Aber leider bemerkte die Aufsicht mein Entschleunigungsmanöver schnell und beschleunigte wieder. Also habe ich mich an das Tempo gewöhnt; wirklich gern aber esse ich seitdem industriell gefertigtes Baguette nicht mehr.

Aufgezeichnet von Young Sim-Song.

Christoph Markschies (47) ist seit 2006 Präsident der HU. Der Professor für Kirchengeschichte gibt das Amt Ende 2010 auf und will in die Lehre zurückkehren. Der Berliner ist ordinierter evangelischer Pfarrer.

Christoph Markschies Präsident der Humboldt-Universität

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