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Wenn nichts mehr geht. Autofahrer haben Angst, das neue Benzin mit dem höheren Ethanolanteil zu tanken. Von Ökoplörre ist die Rede. Auch Experten sind nicht einer Meinung. Von tatsächlichen Schäden ist allerdings bisher nichts bekannt.

© ddp

Meister Ratlos: Vertragswerkstätten raten Autofahrern von E10 ab

Das Chaos scheint perfekt: Auch wenn der Hersteller keine Bedenken hat, raten Vertragsverkstätten ihren Kunden vom E10-Benzin ab.

Sicher ist sicher, dachte Otto Jeske (Name von der Redaktion geändert), und nahm die Bundesregierung beim Wort. Beim „Benzin-Gipfel“ Anfang März hatten gleich drei Minister bekräftigt, der neue Biosprit E10 sei für die allermeisten Autos unschädlich – Tankstellen, Hersteller und Werkstätten müssten nur besser darüber informieren. Also schrieb Otto Jeske einen Brief an seine VW-Vertragswerkstatt, um sich zu informieren: „Kann ich ohne Bedenken E10 tanken?“, fragte der Fahrer eines drei Jahre alten VW Golf. Das Modell Baujahr 2007 hatte der Berliner nicht auf der DAT-Liste zur E10-Verträglichkeit von Kraftfahrzeugen gefunden. Kein Problem mit E10, versichert Volkswagen. Doch Jeske wollte sichergehen.

Der Golf sei für den neuen Biosprit geeignet, bestätigte auch das Berliner VW-Autohaus. Aber: „Wir raten Ihnen davon ab, diesen Kraftstoff zu tanken und empfehlen, weiterhin Super oder Super Plus zu verwenden.“ Zur Begründung verwies die Vertragswerkstatt auf fehlende Langzeitstudien des Herstellers, „ob dieser Kraftstoff Bauteile des Kraftstoffsystems bis hin zum Motor auf Dauer angreift beziehungsweise beschädigt.“ Lapidar fügte die Werkstatt hinzu: „Volkswagen spricht von geeignet.“

Was gilt also? Das Wort der Regierung und der Hersteller, die in einer gemeinsamen Erklärung garantiert hatten, die Angaben in der DAT-Liste seien „rechtsverbindlich“. Oder die Angaben der Werkstatt, laut Zentralverband des deutschen Kraftfahrzeuggewerbes (ZDK) der „geeignete Ansprechpartner für Autofahrer, die sich nicht sicher sind“?

Golf-Fahrer Jeske ist sich alles andere als sicher. Er hat den Überblick verloren – wie vermutlich viele andere Autofahrer auch. Eine Stichprobe des Tagesspiegels bei Berliner Vertragswerkstätten anderer Automarken ergab: Auch bei BMW, Mercedes, Renault oder Fiat rät man von E10 ab – bei Fahrzeugen, die nach Herstellerangaben bedenkenlos E10 tanken könnten.

„Ich würde es nicht tun“, warnt etwa der Kfz-Meister eines großen Renault-Autohauses. E10 sei aggressiv und habe eine korrodierende Wirkung, greife also langfristig Motor und Metallteile an. Auch E10-taugliche Modelle sollten besser weiterhin mit herkömmlichen Super-Kraftstoffen betankt werden. „Definitiv“, sagt der Meister. Die sieben oder acht Cent, die Super Plus an der Tankstelle mehr kostet, seien gut investiert, meint man auch bei BMW. „Der Wagen zieht besser, er läuft ruhiger, es macht einfach mehr Spaß“, heißt es unverblümt in einer großen Berliner Vertragswerkstatt. E10-Freigabe hin oder her: „Mit herkömmlichem Sprit geht man auf Nummer Sicher“, sagt der BMW-Servicemann. Er verweist auf einen Vergleichstest, den eine Boulevardzeitung unlängst mit zwei BMWs unternommen hat – der eine mit E10 im Tank, der andere mit Super Plus. „Der Mehrverbrauch mit E10 summiert sich auf knapp 190 Euro im Jahr.“ Beim Wettbewerber Mercedes stellt der Mann an der Service-Hotline zunächst klar: „Wenn Mercedes-Techniker Fahrzeuge für E10 zulassen, gibt es keinen Hintergedanken, dass es vielleicht doch schädlich sein könnte.“ Die Antwort auf die Nachfrage, was nun zu tun sei, fällt weniger klar aus: „Das muss jeder für sich entscheiden, keiner kann etwas über die langfristigen Wirkungen von E10 sagen.“ Der Bioethanol-Anteil im neuen Sprit sei „so hoch, dass Schäden durchaus entstehen könnten“. Und das heißt konkret? „Ich persönlich tanke aus Prinzip kein E10“, gibt der Mercedes-Mitarbeiter zu. Am Ende müsse man wohl selber testen, ob der neue Biosprit gut oder schlecht sei für den E10-zugelassenen Wagen, rät eine Fiat-Werkstatt. „Wir können keine Empfehlung geben – wir haben auch nur die DAT-Liste.“

Das Chaos scheint perfekt. „Vertragswerkstätten, die ihre Kunden vor E10 warnen, erzeugen nur Verwirrung“, kommentiert ADAC-Sprecher Maximilian Maurer. „Das ist echt ein Übel“. Die Autofahrer wüssten nicht mehr, wem sie glauben sollen – dem Hersteller oder der Werkstatt. „Im Zweifel vertraut man dem Mann aus der Werkstatt, den man seit Jahren kennt, eher als einem gesichtslosen Konzern“, erklärt Maurer die Skepsis der Kunden. Und das kann teuer werden: Der Preis für einen Liter Superbenzin E10 liegt nach Berechnungen des ADAC im bundesweiten Durchschnitt derzeit bei rund 1,562 Euro. Super Plus kostet rund acht Cent mehr.

Der Kfz-Verband ZDK reagiert überrascht auf die Berliner Werkstatt-Stichprobe. „Wir haben alles getan, um die Werkstätten aufzuklären“, sagte ein Sprecher dem Tagesspiegel. Nach widersprüchlichen Äußerungen von Autoherstellern zum Thema E10 gebe es aber wohl eine „ganze Menge Verunsicherung in der Branche“. Auch die Werkstätten seien offenkundig irritiert. „Viele Kfz-Meister wollen ihren Kunden bloß nichts Falsches sagen – und empfehlen dann das teurere Super-Benzin.“

Beim Automobilclub häufen sich inzwischen die Beschwerden von Autofahrern, die glauben, dass der Biosprit ihrem Auto schadet. Bisher habe sich dieser Verdacht aber in keinem Fall bestätigt, sagt Maximilian Maurer. Der ADAC sieht keinen Grund, den Empfehlungen der Autohersteller zu misstrauen. „Wenn die Hersteller ein Modell für E10 freigeben, dann kann man das auch glauben.“ Allerdings weiß bislang niemand so ganz genau, was passiert, wenn der Motor den Sprit nicht verträgt. Um das herauszufinden, betreibt der ADAC seit Wochen Feldforschung und lässt ein Testauto mit dem für ihn unverträglichen Sprit fahren. Der Test soll zeigen, welche Teile kaputtgehen und wie lange es dauert, bis der Schaden eintritt. Noch ist nichts passiert. „Das Auto ist schon 10 000 Kilometer gefahren und läuft noch immer wunderbar“, berichtet Maurer. Mitarbeit: Heike Jahberg

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