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Wirtschaft: Millionen ohne Strom

Wegen einer Panne bei Eon bricht das Energienetz Europas zusammen. Die Bundesregierung fordert die Konzerne zu Investitionen auf

Berlin - Nach dem Stromausfall in großen Teilen Europas hat die Bundesregierung die Energiekonzerne scharf kritisiert. „Stromausfälle dieser Art sind nicht nur für die Menschen ein Ärgernis, sondern stellen für die Wirtschaft ein erhebliches Risiko dar“, sagte Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU). Vom deutschen Energiekonzern Eon erwarte er eine „rückhaltlose Aufklärung“ des Vorfalls. Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) verlangte von den Unternehmen einen forcierten Ausbau der Stromleitungen. „Die Konzerne müssen ihre hohen Gewinne maßgeblich für Investitionen in das Netz einsetzen“, forderte er.

In der Nacht von Samstag auf Sonntag war es in Nordwestdeutschland zu einem Stromausfall gekommen, der sich in einer Kettenreaktion bis nach Spanien und Süditalien ausgebreitet hat. In Deutschland waren vor allem Nordrhein-Westfalen, Hessen und Teile Baden-Württembergs betroffen. Ab 22.10 Uhr waren hier Millionen Menschen für eine halbe Stunde ohne Strom. Auch in Belgien, Österreich und Teilen Frankreichs fiel der Strom aus, allein in Frankreich saßen fünf Millionen Menschen im Dunkeln. Sogar in der süditalienischen Region Kalabrien machten sich die Auswirkungen des Stromausfalls bemerkbar.

Die genaue Ursache blieb zunächst unklar. Der Eon-Konzern räumte jedoch ein, dass der Ausgangspunkt vermutlich in seinem Netz zu finden sei. Das Unternehmen hatte eine Höchstspannungsleitung über die Ems abgeschaltet, um einem Kreuzfahrtschiff die Durchfahrt auf dem Fluss zu ermöglichen. „Hier kann es möglicherweise einen Zusammenhang geben“, sagte ein Sprecher. „Es erklärt den Vorgang aber nicht, es muss noch weitere Ursachen geben.“

Ausgebreitet hat sich das Problem offenbar, weil sich auf den Ersatzleitungen zu viel Strom befand. „Dadurch geriet eine andere Hochspannungsleitung unter Überlast, mit einem Dominoeffekt für die umliegenden Länder“, sagte ein Sprecher des belgischen Netzbetreibers Elia. Um eine Überspannung zu verhindern, musste innerhalb von Sekunden eine Leitung nach der anderen abgeschaltet werden. Ähnlich äußerte sich das Vorstandsmitglied des französischen Zulieferers RTE, Pierre Bornard. Nach seinen Worten ist Europa nur knapp einem völligen Blackout entgangen. Ein Sprecher des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministeriums sagte, am Samstag sei zu viel Strom aus Windkraft in das Netz eingespeist worden.

Neben privaten Haushaltskunden waren auch industrielle Stromabnehmer von dem Ausfall betroffen. Das sagte der Geschäftsführer des Verbands der industriellen Kraftwirtschaft (VIK), Alfred Richmann, dem Tagesspiegel. Der Verband vertritt die Interessen von energieintensiven Unternehmen, zum Beispiel in der Aluminiumindustrie. Zwar gebe es noch keine Rückmeldungen von Mitgliedsfirmen über mögliche Schäden, sagte Richmann. Man müsse aber davon ausgehen, dass zahlreiche Produktionsprozesse unterbrochen wurden, vor allem im industriell dicht besiedelten Nordrhein-Westfalen. „Nur Unternehmen, die ein eigenes kleines Kraftwerk haben, sind nicht betroffen“, sagte Richmann. „Das sind aber die wenigsten.“

Der Zeitpunkt des Stromausfalls könnte allerdings größeren Schaden vermieden haben – schließlich steht die Produktion in der Nacht von Samstag auf Sonntag ohnehin oft still. „Der Gesamtschaden, der entstanden sein könnte, ist vermutlich gering“, sagte Richmann. Dies sei aber von Branche zu Branche verschieden: „Chemische Grundprozesse zum Beispiel laufen Tag und Nacht.“

Auch tausende Bahnkunden waren von dem Stromausfall betroffen. Einem Konzernsprecher zufolge fielen kurzzeitig mehrere hundert Züge aus. Zu Behinderungen sei es vor allem in Nordrhein- Westfalen und Hessen sowie im Großraum Berlin-Brandenburg gekommen.

In Berlin selbst kam es dagegen nach Angaben des Versorgers Vattenfall zu keinen Ausfällen. Allerdings musste das Unternehmen in seinem Netzgebiet in Ostdeutschland Gegenmaßnahmen ergreifen. „Die Störung in Westdeutschland führte auch in unserer Regelzone zu einem Stromüberschuss“, sagte ein Sprecher von Vattenfall Transmission dieser Zeitung. Vereinzelt mussten deshalb kleinere dezentrale Anlagen wie Blockheizkraftwerke vom Netz genommen werden, um eine Überlastung zu verhindern. Außerdem habe Vattenfall die Pumpen in seinen Thüringer Pumpspeicherkraftwerken angeworfen, um so Strom aus dem Netz zu ziehen. „Eine weitere Ausbreitung nach Osten konnte so vermieden werden“, sagte der Sprecher. Warum dies in den Netzen anderer Konzerne in Richtung Westen nicht funktioniert habe, könne er nicht sagen.

In den vergangenen Jahren war es mehrfach zu ähnlichen Stromausfällen gekommen, so in London, Skandinavien und Italien. Zuletzt brachen im November 2005 mehr als 80 Strommasten des RWE-Konzerns im Münsterland wegen starken Schneefalls zusammen. Damals waren tausende Menschen bis zu fünf Tage ohne Strom. Die Europäische Kommission hatte bereits im Jahr 2003 einen weiteren Ausbau der Netze angemahnt. „Ohne diese Investitionen entsteht ein immer größeres Risiko von Versorgungsunterbrechungen“, hieß es. Die Energiewirtschaft hingegen warnte davor, die Lage zu dramatisieren. „Wir haben eines der stabilsten Netze weltweit“, sagte ein Sprecher von RWE. Eine Störung sei ein „absolut ungewöhnliches Ereignis“.

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