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Hoch hinaus geht es nur bei Arbeit. Ansonsten sind die Karrierechancen für geringfügig Beschäftigte schlecht.

© picture alliance / ZB

Minijobs: Arbeit mit Perspektive

400-Euro-Jobber haben kaum Chancen, eine reguläre Stelle zu finden. Ein neues Projekt in Berlin soll das ändern.

Berlin - Wenn Tanja Cujic-Koch über Minijobs spricht, fallen Begriffe wie Altersarmut und fehlende Arbeitnehmerrechte. „Minijobs gehören abgeschafft“, sagt die Berlinerin. Das Bemerkenswerte: Cujic-Koch vertritt keine Gewerkschaft oder Partei, sie ist Unternehmerin. 1999, nach dem Studium, übernahm sie die Gebäudereinigungsfirma ihres Vaters. Dort versucht sie, die Zahl der Minijobber – Arbeitnehmer, die maximal 400 Euro im Monat verdienen – so klein wie möglich zu halten. Müsste die Unternehmerin nicht eigentlich die Einsparmöglichkeiten preisen, die die „geringfügige Beschäftigung“ den Firmen bringen soll? Cujic-Koch hält das für ein Märchen. „Minijobs sind nur auf den ersten Blick vorteilhaft“, erklärt die Sprecherin der Berliner Brancheninnung. „Langfristig sind sie teurer für die Firmen.“ Denn der Anteil der Sozialabgaben, den die Firmen zahlen müssten, sei höher als bei regulär Beschäftigten, zudem entstünden hohe Einarbeitungskosten wegen der Fluktuation. Auch die Motivation und die Bindung an die Firma seien bei Minijobbern oft geringer, sagt Cujic-Koch.

Rund 7,5 Millionen Menschen in Deutschland arbeiten in einem Minijob, für fünf Millionen von ihnen ist er die einzige Einkommensquelle. Das Modell gibt es schon seit Jahrzehnten, den Begriff „Minijob“ aber prägte Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder im Zuge seiner Hartz-Reformen. Noch verdienen Minijobber maximal 400 Euro im Monat. Ab 2013 wird dieser Betrag auf 450 Euro angehoben (siehe Kasten).

Der Arbeitnehmer kann dieses Geld komplett behalten, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge entfallen. Der Arbeitgeber zahlt für Sozialabgaben und Steuern pauschal 30 Prozent; bei 450 Euro Lohn muss er also 135 Euro drauflegen. Auf dem Modell ruhten viele Hoffnungen: Den Firmen sollten die Minijobs Flexibilität bringen, um Produktionsschwankungen abzufedern, zugleich sollten sie für Arbeitslose oder Frauen ein Sprungbrett in den ersten Arbeitsmarkt sein.

Dass sich dieses Ziel insbesondere für Frauen, die knapp ein Drittel der Minijobber ausmachen, nicht erfüllt hat, zeigt eine neue Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums. „Minijobs pur entfalten eine schnell einsetzende und hohe Klebewirkung und keine Brückenfunktion“, schreibt Studienautor Carsten Wippermann. „Pur“ bedeutet, dass Frauen gemeint sind, für die der Minijob die einzige Einkommensquelle ist. Für Rentner, Studenten oder Menschen mit regulärer Arbeit, die sich lediglich etwas dazuverdienen wollen, sind Minijobs dagegen unproblematisch, weil sie nicht auf einen Wechsel in den ersten Arbeitsmarkt angewiesen sind.

Der Studie zufolge haben heute nur 14 Prozent der früher ausschließlich im Minijob beschäftigten Frauen eine Vollzeitstelle, 26 Prozent eine Teilzeitstelle. Mehr als die Hälfte ist nicht mehr im Arbeitsmarkt. Zudem scheint sich der Minijob für viele zur Dauerlösung entwickelt zu haben, im Schnitt behalten Frauen ihn gut sechs Jahre lang. Genau das ist aber der Teufelskreis für die Arbeitnehmerinnen: „Je länger der Minijob währt, desto unwahrscheinlicher wird ein Wechsel in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung“, schreibt der Soziologe Wippermann, der am Sozialforschungsinstitut Delta bei München die Studie erstellt hat.

Die Gründe hierfür lassen sich klar benennen. Oftmals werden die Minijobberinnen von den Betrieben nicht als qualifizierte Fachkräfte, sondern als Aushilfen betrachtet und bei Stellenangeboten daher nicht berücksichtigt. Für viele Frauen scheint sich zudem auf den ersten Blick der Wechsel in eine reguläre Arbeit nicht zu lohnen. Warum, zeigt folgender Fall einer Minijobberin, die über eine Leiharbeitsfirma einen 400-Euro-Job im Lager eines Kaufhauses bekam, 18 Stunden pro Woche für 5,50 Euro die Stunde. „Ich habe keine Ausbildung, würde aber gerne mehr arbeiten“, sagt sie. Der Arbeitgeber bot ihr zwar an, auf 30 Stunden für sechs Euro pro Stunde aufzustocken. „Das Angebot habe ich abgelehnt“, sagt sie. Denn nach Abgaben wären ihr nur 580 Euro geblieben. Im Verhältnis dazu hat sie beim Minijob erst einmal mehr in der Tasche, erwirbt aber kaum Rentenansprüche im Vergleich zu einer regulären Arbeit. „Gerade im Alter und bei Trennungen sind Minijobberinnen von Armut betroffen“, kritisiert die Berliner Arbeits- und Frauensenatorin Dilek Kolat. Zudem landeten sie in einer „Qualifizierungssackgasse“, die „Durchlässigkeit des Arbeitmarktes“ sei gering. Studienautor Wippermann drückt es noch drastischer aus. Der „Minijob pur“ sei letztlich „ein Programm zur Erzeugung lebenslanger ökonomischer Ohnmacht und Abhängigkeit von Frauen".

Ein Modellprojekt in Berlin soll nun dabei helfen, aus den Minijobs das zu machen, was sie eigentlich sein sollten: ein Sprungbrett in eine reguläre Beschäftigung. Das Projekt „Joboption“, das zunächst bis Ende 2014 laufen soll, bietet geringfügig beschäftigten Frauen Beratung und Weiterbildung an und tritt zugleich an die Firmen heran. „Wir loten mit den Frauen ihre Potenziale und Chancen für einen regulären Job aus“, sagt Projektleiterin Viveka Ansorge. In den Beratungen, an denen bisher 30 Frauen teilgenommen haben, geht es auch um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Den Firmen bietet „Joboption“ ebenfalls Unterstützung bei Themen wie Personalpolitik, Weiterbildung und staatlicher Förderung an. „Denn für viele Unternehmen ist der Einsatz von Minijobbern zur Dauerlösung geworden“, sagt Ansorge – allen voran in den Branchen Handel und Pflege. So sind bei der Supermarktkette Netto-Marken-Discount 15 000 der bundesweit 64 000 Mitarbeiter Minijobber, 2010 waren es sogar noch 30 000.

Das Projekt, das aus EU-Mitteln, vom Bundesarbeitsministerium und von Kolats Senatsverwaltung finanziert wird, ist in Berlin am richtigen Platz: In der Stadt arbeiten rund 215 000 Minijobber, rund ein Viertel von ihnen verdient zu wenig, um davon leben zu können und muss sich zusätzlich ans Jobcenter wenden. In Berlin kämen mehr neue Jobs hinzu als im Bundesschnitt, sagt Senatorin Kolat. Ein Großteil der neuen Beschäftigungsmöglichkeiten seien aber „prekäre und atypische Jobs“.

Tanja Cujic-Koch hofft, dass der Fachkräftemangel die Unternehmen zwingt, weniger Minijobber zu beschäftigen. „In unserer Branche finden wir kaum Personal“, erzählt sie. „Deshalb müssen wir uns noch mehr Mühe geben und den Mitarbeitern gute und anständige Arbeitsplätze anbieten.“

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