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Wirtschaft: Mit 70 ist noch lange nicht Schluss

Länger arbeiten, weniger kassieren: Die Rentenversicherung steht vor einer Jahrhundertreform – wieder einmal

Die Reform sei ein „Jahrhundertwerk“, befand Bundeskanzler Konrad Adenauer im Jahr 1957, als die deutsche Rentenversicherung von einem Ansparmodell auf das so genannte Umlageverfahren umgestellt wurde, bei dem die jeweils Erwerbstätigen die Bezüge der aktuellen Rentner bezahlen. Seitdem werden für die in etwa fünfjährigen Abständen stattfindenden Reformen nicht weniger vollmundige Komplimente gefunden. Dem „guten Tag für alle Rentner“ (Norbert Blüm) im Dezember 1997 folgte das SPD-Wahlversprechen, alles wieder zurückzunehmen und durch „eine gerechte Reform“ (Gerhard Schröder) zu ersetzen. Die wurde dann von Bundeskanzler Schröder mit der Überschrift „dauerhaft und generationengerecht“ versehen. Die nächste Reform wird spätestens 2004 fällig.

Zu spät, zu wenig, zu unentschieden: Dieses Etikett verpasst die Sozialwissenschaftlerin und frühere FDP-Politikerin Gisela Babel allen Rentenreformen in der Bundesrepublik. Alle Jahrhundertreformen seit dem Jahr 1957 seien kurze Zeit später wieder schwer reformbedürftig geworden – weil sich niemand traue, das wirkliche Desaster der Rentenfinanzen offen zu legen, das System durch Leistungseinschränkungen zu stabilisieren und ehrliche Prognosen für die Entwicklung zu geben.

Anders als andere europäische Länder hat sich Deutschland entschieden, im staatlichen Rentenversicherungssystem nicht nur eine Grundsicherung, sondern die Sicherung des Lebensstandards zu garantieren. Das Versprechen: Die jeweils erwerbstätige Generation sorgt über ihre Rentenbeiträge für den Lebensstandard der jeweiligen Rentnergeneration. Und sie sorgt durch die eigenen Kinder dafür, dass auch für sie selbst später genügend Beitragszahler zur Verfügung stehen. Für ein stabiles System würde es ausreichen, wenn ein Paar zwei Kinder bekäme. Die erwerbstätige Generation muss für ein anständiges Bevölkerungswachstum sorgen.

Zu wenig Nachwuchs

Müsste. Genau das aber tut sie nicht. Nicht einmal mehr zwei Kinder werden im Durchschnitt pro Familie geboren. Immer mehr und immer älteren Alten stehen immer weniger Junge gegenüber, die immer höhere Rentenversicherungsbeiträge bezahlen (und verdienen) müssen, um den Lebensstandard der Alten zu sichern.

Deshalb wird reformiert, seitdem es das Umlageverfahren gibt. Schon 1957 beispielsweise sei das Rentensystem keineswegs sicher gewesen, argumentieren Sozialwissenschaftler. Die steigende Lebenserwartung hätten die Konstrukteure der Rentenreform genau so außer Acht gelassen wie jüngst Walter Riester. Das ist keine Kleinigkeit: Würden die Menschen heute nicht älter als 1957, könnte der Rentenbeitrag immer noch bei rund zwölf Prozent liegen.

Jetzt ist es schon zu spät, mahnt der Chef des Bonner Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft, Meinhard Miegel. Wenn der Staat nun nicht die Kraft finde, das umlagefinanzierte Rentensystem komplett abzuschaffen, die Sicherung des Lebensstandards im Alter den Erwerbstätigen selbst zu überlassen und nur für eine Grundsicherung gerade zu stehen, dann drohe in wenigen Jahren „der Aufstand der Jungen gegen die Alten“, der Krieg der Generationen.

Acht Prozent Wachstum bräuchte die deutsche Wirtschaft im Jahr, um die jetzt schon gegebenen Rentenversprechen zu einigermaßen erträglichen Versicherungssätzen einlösen zu können, schätzen die Unternehmensberater von McKinsey. Davon aber ist Deutschland weit entfernt. Nicht einmal die mageren Durchschnitte der 90er Jahre würden in den kommenden Jahren noch erreicht, mahnt der Kieler Wirtschaftswissenschaftler Horst Siebert. Mehr als ein Prozent Wachstum sei im Schnitt kaum noch drin. Und das nicht nur wegen der abgabenbedingten Wachstumsschwäche, sondern auch, weil die Zahl der Erwerbstätigen schon jetzt altersbedingt deutlich sinkt. Und weil ältere Arbeitnehmer weniger dynamisch und erfindungsreich sind und deshalb das Produktivitätswachstum zurückfällt.

Doch Reformen werden immer schwerer. Denn der Diskurs zwischen den Generationen über eine vernünftige Reform ist schon lange nicht mehr durch die Absicht geprägt, zu einer für alle vernünftigen Lösung zu kommen. Je älter die Gesellschaft wird, desto stärker wird sie auch politisch von den Interessen derer geleitet, die vom Status Quo profitieren. Schon jetzt ist eine Rentenreform kurz vor einer wichtigen Wahl nicht mehr denkbar – weil die Zahl derer, die davon Negatives zu befürchten haben, wächst. Schlimmer noch: Diejenigen, die vom Jahr 2050 an die größte Last zu tragen haben, sind heute noch gar nicht stimmberechtigt.

Ob sich die Rentenreform-Kommission des Wirtschaftswissenschaftlers Bert Rürup zu politisch durchsetzbaren einschneidenden Reformen durchringen wird, ist mehr als zweifelhaft. Dabei ist völlig klar, wohin die Reform gehen muss. Die jetzt Erwerbstätigen müssen länger arbeiten und mehr privat sparen. Die heutigen Rentner müssen durch einen so genannten demographischen Faktor an der Generationenlast beteiligt werden: mindestens so stark, dass sie einen Teil der steigenden Lebenserwartung ausgleichen. Und die Jungen und Jüngsten? Die werden verdammt viel und verdammt hart arbeiten müssen, wenn sie auch nur die Grundsicherung für ihre Eltern und Großeltern bezahlen wollen. Auch nach der nächsten und der übernächsten und der dann folgenden Jahrhundertreform der Rentenversicherung.

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