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Wirtschaft: Mit dem Wetter rechnen

Immer mehr Unternehmen sichern sich gegen Wetterrisiken ab– Echtes Klima-Management ist aber selten

Kaum hat Europa die Hitzewelle überstanden, denken immer mehr Unternehmen über eine Absicherung der Wetterrisiken nach. Dabei schauen Landwirtschaft, Freizeitindustrie, Baubranche oder Textilunternehmen vor allem auf so genannte Wetterderivate, um sich gegen die finanziellen Schäden zu schützen. „Die Aufmerksamkeit für Klimarisiken ist in den letzten zwei Monaten zweifellos gestiegen“, sagt Hector Freitas von der Abteilung Produktstruktur und Verkauf der Deutschen Bank. Mit derartigen Derivaten können sich die Unternehmen in ähnlicher Weise vor Klimagefahren schützen wie dies bereits für Währungs- und Zinsrisiken üblich ist.

Als Instrumente dienen vor allem Optionsgeschäfte. Die Verkäufer der Optionen übernehmen dabei gegen eine Optionsgebühr das Risiko einer negativen Wetterentwicklung. Oft verkaufen sich zwei Unternehmen mit entgegengesetzten Wetterinteressen auch gegenseitig solche Optionen. Es wird dann ein bestimmter Wetterwert festgelegt, bei dem das vom Klima begünstigte Unternehmen dem Vertragspartner Ausgleichszahlungen zu leisten hat.

Besonders Energielieferanten nutzen diesen Mechanismus, weil sie häufig besonders stark betroffen sind. In Frankreich etwa hatte der heiße Sommer das Wasser der Flüsse so stark erwärmt, dass die Reaktoren der Atomkraftwerke nicht mehr ausreichend gekühlt werden konnten. Der Energieversorger EdF musste die Leistung der Reaktoren zurückfahren und dann teuren Strom einführen. Versorgungsunternehmen wie EdF trifft es im Übrigen auch, wenn die Winter zu warm werden.

Auch Brauereien sind betroffen

Doch auch anderen Branchen kann launisches Wetter die Bilanz verhageln. Den Freizeitparks etwa brechen in regnerischen Zeiten die Besucherzahlen ein. Selbst Brauereien, die sich bei warmem Wetter eigentlich die Hände reiben, müssen Hitzewellen fürchten, denn bei extrem hohen Temperaturen greifen die Kunden zu nichtalkoholischen Alternativen. Einige Brauereibetriebe auf Münchens Oktoberfest sichern sich bereits gegen schweren Regen ab. Im letzten Jahr scheuten viele Besucher wetterbedingt den Weg in die Zelte, so dass sich diese Optionen schon bezahlt machten. Eiskremhersteller werden bei kalten Sommern schnell zum Opfer des Wetters, während Suppenproduzenten vor allem Wintermonate fürchten müssen, die zu warm geraten.

Trotzdem gibt es nur in wenigen Unternehmen ein funktionierendes Klima-Management. Die meisten lassen die Wetterschäden über sich ergehen und versuchen daraus gelegentlich sogar Kapital zu schlagen. „Viele Firmen nutzen das schlechte Wetter als Entschuldigung für schwache Ergebnisse“, sagt Diego Wantiers, CEO der Coriolis Capital Ltd. Die Londoner Gesellschaft übernahm im Juni von Societé Générale das Geschäft mit den Wetterderivaten. Anders als Versicherungen, die auf einen umfassenden Schutz abzielen, will man mit Wetterderivaten lediglich das Risiko absichern, dass sich aus Abweichungen von dem im Vertrag festgelegten Durchschnittswert ergibt. Der Großteil der Derivate bezieht sich heute auf Temperaturschwankungen, doch auch Regen-Derivate sind immer mehr gefragt. Laut einer Studie von PricewaterhouseCoopers wurden zuletzt in einem Zeitraum von zwölf Monaten 11756 Verträge unterzeichnet, und damit dreimal so viele wie im Jahr zuvor.

Gehandelt wird in Chicago

Die Mehrheit der Geschäfte geht an der Chicago Mercantile Exchange (CME) über die Bühne. Auch der europäische Börsenbetreiber Euronext NV erwägt den Einstieg in das Geschäft mit dem Wetter. Die diesjährige Hitzewelle dürfte die Nachfrage noch weiter angetrieben haben. „Erst durch diese Klimaextreme wird den Unternehmen bewusst, wie sehr sie dem Wetter ausgesetzt sind“, sagt Duncan Wilson, Berater für Wetterrisiken bei Weather Xchange. Didier Marteau, Dozent an der Pariser Ecole Supérieure de Commerce, kennt Gründe für die langsame Entwicklung der Wetter-Absicherungen: Die Unternehmen haben keinen Zugang zu den historischen Wetterdaten und können das Risiko nicht richtig bewerten.

„Es ist wesentlich schwieriger als eine Abschätzung des Währungs- oder Zinsrisikos“, sagt Marteau. „Wie soll man zum Beispiel den Einfluss einer zehnprozentigen Temperatursteigerung auf den Absatz verlässlich voraussagen?“ Hinzu kommt, dass die komplizierte Wirkungsweise der Wetterderivate nur selten verstanden wird. Seitens der Banken muss viel in den Beratungsaufwand investiert werden, wobei der richtige Ansprechpartner in den Unternehmen erstmal gefunden werden muss. „Diese Absicherung ist so neu, dass keiner weiß, ob der Finanzvorstand, die Strategieabteilung, oder die Risikomanager zuständig sind“, sagt Marteau.

Auch die Kosten wirken abschreckend. Die Wetter-Vorsorge kann kräftig zu Buche schlagen und viele Unternehmen scheuen die Ausgaben. Ein aktuelles Beispiel bietet Masterfoods France, eine Tochter des US-Nahrungsmittelkonzerns Mars Inc. Um den Absatz von Eiskrem zu fördern, bot man für Verkäufe zwischen dem 15. Mai und dem 15. August eine vollständige Rückzahlung des Kaufpreises für den Fall an, dass die Temperatur auf dem Pariser Flughafen Orly am 31. August den Wert von 31 Grad Celsius übersteigt. Das Unternehmen hatte zwar die Absicherung des damit verbundenenen Geschäftsrisikos erwogen, das auf bis zu sechs Prozent des Jahresumsatzes oder 30 Millionen Euro geschätzt wurde.

Letztlich wurde die Idee aber verworfen, da die Vorsorge zu kostspielig gewesen wäre, sagt der Masterfood-Sprecher Daniel Noury. In diesem Sommer stiegen die Temperaturen in Frankreich bereits auf 40 Grad Celsius. Wenn das Thermometer auch am 31. August noch über den kritischen Wert von 31 Grad klettert, wird Masterfoods den Eis-Abnehmern kräftige Erstattungen auszahlen müssen. Dem Marketingetat wird das dann teuer zu stehen kommen.

David Pearson

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