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Wirtschaft: Mit Milliardenaufwand ans europäische Netz

Die Verkehrstechnik ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Region, diewieder zum Knotenpunkt wirdVON MARGARITA CHIARIBerlin preist sich als Verkehrskompetenzzentrum.Der Ausbau derInfrastruktur lockt die Industrie in die Region, doch die Ansiedlung gehtlangsamer voran als erwartet.

Die Verkehrstechnik ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Region, diewieder zum Knotenpunkt wirdVON MARGARITA CHIARI

Berlin preist sich als Verkehrskompetenzzentrum.Der Ausbau derInfrastruktur lockt die Industrie in die Region, doch die Ansiedlung gehtlangsamer voran als erwartet.Die Prognosen sind beeindruckend - undverwirrend zugleich.Denn befragt, wie sich denn das Verkehrsaufkommen inund um Berlin in den nächsten Jahren entwickeln wird, überbieten sich dieGutachter mit Superlativen.So soll sich die Zahl der Fernreisenden, diemit der Bahn in die Stadt kommen, bis zum Jahr 2005 von heute 25 Mill.auf50 Mill.verdoppeln.Andere Gutachter gehen gar von einer Verdreifachungauf 80 Mill.Passagiere aus.Ähnliche Zuwachsraten werden für denRegionalverkehr vorausgesagt, der Güterverkehr soll sich gar verdrei- odervervierfachen.Doch ob sich all dies über die Straßen wälzen wird oder - so die Hoffnungder Berliner Senatsverwaltung - auf die Schiene umgelenkt werden kann,darüber streiten die Gutachter.In der Tendenz aber sind sich alle einig:In kaum einer Region Europas wird es in den nächsten Jahren ähnlich großeZuwächse im Verkehrsaufkommen geben wie im Großraum Berlin-Brandenburg, inkaum einer Region wird soviel in den Aus- und Neubau der Infrastrukturinvestiert.Mit einem Aufwand von rund 20 Mrd.DM soll die Stadt in den nächsten Jahrenwieder an das europäische Verkehrsnetz angebunden werden und ihre alteKnotenpunktfunktion zurückgewinnen.Vier der neun Schienenverkehrsprojekte"Deutsche Einheit" führen nach Berlin, für den Transrapid - sollte ertatsächlich einmal schweben - sind weitere Milliardeninvestitionenveranschlagt, und der Aufbau eines funktionstüchtigen Regionalnetzes fürden gerade erst geschaffenen Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg werdenebenfalls Milliardensummen benötigt.Gut 10 Mrd.DM investiert die Deutsche Bahn, um die Verkehrsströmeinnerhalb der Stadt zu vernetzen, Schienenwege aus- oder neuzubauen unddrei Fernbahnhöfe einzurichten - darunter das Zentralstück Lehrter Bahnhof.Noch einmal soviel investiert sie in der Region.Rund um die Stadtentstehen darüberhinaus drei Güterverkehrszentren.All dies erfordert gewaltige Investitionen in neue Züge und U-Bahnen, zumaldie beiden regionalen Verkehrsbetriebe, BVG und S-Bahn, auch Nachholbedarfhaben.Laut einer Studie der Deutschen-Bank-Tochter Deutsche Gesellschaftfür Mittelstandsberatung (DGM) ist in den nächsten zehn Jahren allein fürdie Bahntechnik ein jährliches Investitionsvolumen von einer Mrd.DM in derRegion zu erwarten; Baumaßnahmen nicht inbegriffen.Einiges versprechensich Vertreter der Industrie auch von der Tatsache, daß hier einBallungsraum mit demnächst mehr als fünf Millionen Einwohnern und den damitverbundenen Verkehrsproblemen heranwächst.Für Siemens-Vorstand WolframMartinsen könnte Berlin jedenfalls ein "exzellentes Exerzierfeld fürInfrastrukturinnovationen" werden.Vieles davon ist noch Zukunftsmusik.Lufthansa-Chef Jürgen Weber ist nichtder einzige, der davor warnt, daß die Berliner "Ambitionen" schnell zu"Illusionen" mutieren könnten, wenn sich die Entscheidungen weiterhin somühsam gestalten wie bisher.Der Streit um den Großflughafen ist dafür nurein Beispiel.Auch für den Bereich Verkehrssteuerung und Telematik hat sichdas Netzwerk von Universitäten, Forschungsinstituten und den in Berlinansässigen Automobil- und Elektronikherstellern von Daimler-Benz bisVW-Gedas als guter Nährboden für Entwicklungen erwiesen - umgesetzt wirdaber beispielsweise das von Daimler-Benz/Debis und Bosch entwickelteNavigationssystem ITGS (Intelligent Traffic Guidance System) nun vorerst inTokio.Ähnliches gilt für die "fahrerlose U-Bahn", die in Berlin von der Technikher startbereit wäre, vorerst aber nur in anderen Städten besichtigt werdenkann.Der Verkehrsexperte der Berliner Industrie- und Handelskammer,Christian Wiesenhütter, beklagt denn auch, daß den Investoren klareVorgaben der Politik fehlten, weil die Absprache der verschiedenenzuständigen Senatsverwaltungen zu wünschen übrig läßt.Jüngsten Äußerungenzufolge scheint die Politik dieses Problem aber nun zumindest erkannt zuhaben.Die Voraussetzungen, Berlin zu einem "Kompetenzzentrum für Verkehrstechnik"auszubauen, sind durchaus günstig.Neben den beiden großen AuftraggebernDeutsche Bahn und BVG haben sich mittlerweile maßgeblicheSchienenfahrzeughersteller in der Region angesiedelt.Dazu zählen vor allemdie international tätigen Konzerne Adtranz, Siemens und die DeutscheWaggonbau AG (DWA), die in der Region allein 5000 Mitarbeiter beschäftigen.Hennigsdorf, vor den Toren der Stadt, ist mit 3000 Beschäftigten dasweltweit größte Werk von Adtranz.Hier werden unter anderem der ICE 2.2,Neigetechnik-Regionaltriebzüge oder die Metros für Schanghai und Guangzhougefertigt.Dieser Tage eröffnete der Konzern zudem in Pankow ein neues, hochmodernesWerk für Nahverkehrszüge und -busse.Siemens hat in Treptow die frühereVEB-Fabrik für Sicherungs- und Signaltechnik mit Millionenaufwandmodernisiert und baut sie zu einem Zentrum für Steuerungssysteme aus.Darüberhinaus haben sich einige potente mittelständische Produzenten undZulieferer in der Region etabliert, wie etwa die Elpro Leit- undEnergietechnik GmbH, die Knorr Bremse Berlin AG, die A.S.T.Leistungselektronik GmbH oder die Bosch Telecom GmbH.Hinzu kommt einenicht unbeträchtliche Zahl von Forschungsinstituten undBeratungsunternehmen.Alles in allem sind nach Angaben der DGM rund 260 Unternehmen derVerkehrstechnik mit insgesamt 40 000 Beschäftigten in der Region ansässig,davon 54 Betriebe allein im Bereich Bahntechnik.Lücken sehen Experten, wieJohannes Kleinsorg von der DGM, vor allem im Bereich "sytemfähigerZulieferer".Doch die Anfänge sind gemacht.Einrichtungen wie etwa dasTechnologiezentrum Verkehr (TZV) in Hennigsdorf, das ProduktionstechnischeZentrum Berlin (PTZ) oder der Forschungs- und AnwendungsverbundVerkehrssystemtechnik (FAV) betätigen sich als Vermittler zwischenForschung und Praxis."Das Experimentierfeld für die Verkehrstechnik", glaubt auch PTZ-LeiterProfessor Günter Spur, "ist in Berlin-Brandenburg ideal." Dazu zählt er dieVerbindung von Ballungszentrum und flachem Land, die Nähe zu Osteuropa mitseinem gewaltigen Nachholbedarf und das in der Region vorhandeneForschungspotential.Für Spur steht fest: "Wenn es nicht klappt, Berlin zueinem Zentrum für Verkehrstechnik auszubauen, dann haben wir uns blamiert."

MARGARITA CHIARI

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