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Wirtschaft: Mit neuer Kaufkraft

Verbraucherschutz schafft Nachfrage – die Konsumenten-Lobby fordert eine andere Wirtschaftspolitik

Berlin - Verbraucherschützer könnten mit ihrer Ministerin eigentlich zufrieden sein: Ob dicke Kinder, verspätete Züge, billige Lebensmittel oder teure Handy-Tarife für Jugendliche – es gibt kaum ein Thema, das Renate Künast (Grüne) in den vergangenen vier Jahren ausgelassen hätte. Und trotzdem glaubt Edda Müller, Chefin des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (VZBV), dass die rot-grüne Regierung eine große Chance vertan hat. „Bei aller positiven Beurteilung der Aktivitäten des Bundesverbraucherministeriums“, sagte Müller dem Tagesspiegel am Sonntag, „ist es der Regierung nicht gelungen, deutlich zu machen, dass Verbraucherpolitik etwas mit Wirtschaftspolitik zu tun hat – und nicht nur mit karitativen Dingen und der Bevormundung von Verbrauchern.“

Das müsse nach der Bundestagswahl anders werden, fordert Müller. „Die Verbraucherpolitik in der Legislaturperiode 2005 bis 2009 muss einen deutlichen Schub für die Nachfragepolitik geben.“ Das Hauptproblem der deutschen Wirtschaft sei die lahmende Binnenkonjunktur. Eine Stärkung der Binnennachfrage sei aber ohne eine Stärkung des Verbraucherschutzes nicht möglich. An diesem Montag will der VZBV, der Dachverband aller deutschen Verbraucherorganisationen, seine detaillierten Wahlprüfsteine für eine neue Regierung vorlegen.

Die rot-grüne Bundesregierung trifft ein schwerer Vorwurf. Schließlich hatte sie dem Verbraucherschutz mit der Umbenennung und Umorganisation des früheren Ernährungsministeriums und der Schaffung eines eigenen Verbraucherschutzministeriums einen zentralen Stellenwert eingeräumt. Das war im Januar 2001, als nach dem Skandal um verseuchtes Tiermehl und wahnsinnige Rinder die Grünenpolitikerin Künast angetreten war, nicht nur Gefahren für die Gesundheit und Sicherheit der Verbraucher abzuwenden, sondern auch ihre wirtschaftlichen Belange zu schützen. Doch allzu oft, zuletzt in der Diskussion um stärkere Werbebeschränkungen für die Ernährungsindustrie, musste sie Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) klein beigeben.

Die Verbraucherschützer erkennen die Bemühungen an. „Verbraucherschutz hat mit der Einrichtung eines eigenen Ministeriums endlich einen Namen bekommen“, sagt Edda Müller. Gleichzeitig habe aber die Bundesregierung, und insbesondere das Wirtschaftsministerium die Meinung vertreten, dass Verbraucherschutz schädlich für die Wirtschaft sei. Bei der Erhöhung der Strom- und Gaspreise etwa habe sich Clement um das Wohlergehen der großen Kraftwerksbetreiber mehr Sorgen gemacht als um die Auswirkungen der Preiserhöhungen auf die Nachfrage. „Das ist eine falsche Optik“, sagte Müller. „Sie wird uns nicht aus dem wirtschaftlichen Tal herausbringen.“

Die VZBV-Chefin forderte eine neue Regierung auf, die Belebung der Binnennachfrage in den Mittelpunkt ihrer Politik zu stellen. „Die Politik muss bei der zentralen Schwachstelle der Konjunktur ansetzen – der fehlenden Kaufkraft.“

Es gebe noch großen Handlungsbedarf. Wenn man sich die Haushaltsausgaben der Verbraucher anschaue, stelle man fest, dass vom Versicherungs- und Bauvertragsrecht über die Strompreise und Abfallgebühren bis hin zum Zahlungsverkehr in der EU Intransparenz und mangelnder Wettbewerb den Markt beherrschten, kritisiert Müller. Dies zu verbessern, sei eine wesentliche Voraussetzung für die Stärkung der Nachfrage.

Die von der Union geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer lehnen die Verbraucherschützer ab. „Ich bin strikt gegen die Erhöhung der Mehrwertsteuer“, sagte Müller dieser Zeitung. „Das ist Gift für die Konjunktur.“ Die Nachfrageseite werde dabei völlig außer Acht gelassen. Die Union hatte angekündigt, die Mehrwertsteuer im Falle eines Wahlsieges auf 18 Prozent zu erhöhen und die Mehreinnahmen zur Senkung der Sozialabgaben zu verwenden.

Auch im Falle eines Regierungswechsels im September rechnet der Bundesverband der Verbraucherzentralen nicht mehr damit, dass das Verbraucherministerium aufgelöst wird. Zuvor hatte es Gerüchte gegeben, wonach der Verbraucherschutz dann dem Justiz- oder Wirtschaftsministerium zugeordnet werden könnte – was eine klare Abwertung bedeutet hätte. „Ich gehe davon aus, dass es ein eigenständiges Verbraucherministerium auch nach einem möglichen Regierungswechsel geben wird“, sagte Müller.

Maren Peters

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