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Wirtschaft: Mit Plan in die Pleite

Kosten spielten keine Rolle – warum das System der Volkseigenen Betriebe scheitern musste

Von Antje Sirleschtov

Es war der 29. September 1989, als am späten Vormittag die Akte „b5-1111/89“ auf dem Schreibtisch von Günter Mittag landete. Deren Inhalt war dem Wirtschaftsminister der DDR in groben Umrissen bereits seit Jahren bekannt. Doch die detaillierte Analyse mit dem Titel „Schuldenlage und Beherrschbarkeit“ verschlug selbst ihm den Atem. Später erinnerte sich Mittag noch einmal an diesen Augenblick. Mit 49 Milliarden D-Mark war das Land bei rund 400 internationalen Banken verschuldet. „Der Lebensstandard der Bevölkerung muss sofort um mindestens 30 Prozent gesenkt werden“, hatten die Ökonomiestrategen dem Minister aufgeschrieben, damit die DDR die Zinslast von rund 4,5 Milliarden US-Dollar im Jahr überhaupt noch tragen könne. Allein diese Summe hätte mehr als die Hälfte des jährlichen Exportvolumens des Landes ausgemacht. „Die DDR-Wirtschaft“, resümierte Mittag, „wäre niemals wieder aus eigener Kraft auf die Beine gekommen“. Der Bankrott des Sozialismus auf deutschem Boden war unabwendbar.

Wie es dazu kam? Mangelwirtschaft und Bürokratie, Attentismus aller am ökonomischen System Beteiligten und die zentralistische Steuerung einer ganzen Volkswirtschaft: Die sozialistische Planwirtschaft hat 40 Jahre lang Stück für Stück alle wirtschaftlichen Interessen und Anreizsysteme der Menschen außer Kraft gesetzt. Zwar wurde in den Schulen der Marx’sche Übergang vom „faulenden, sterbenden Kapitalismus“ zum Kommunismus gelehrt. Dieses System, in dem die Menschen zum Wohle aller ihr Bestes geben und nur so viel nehmen, wie sie zum Leben benötigen. Doch außerhalb dieser Ideologie hat dieser Übergang, der Sozialismus, nie funktioniert. „Das System“, urteilte selbst Mittag, „war insgesamt falsch.“

Das Wirtschaftssystem der DDR war streng zentralistisch aufgebaut. Im Laufe der Jahre nahm der Anteil privat oder genossenschaftlich geführter Betriebe immer mehr ab. Stattdessen beherrschten staatseigene, genauer gesagt Volkseigene Betriebe (VEB’s) die DDR-Ökonomie. An ihrer Spitze, sozusagen im Konzernvorstand, standen Parteifunktionäre, deren Tagesgeschäft von der staatlichen Plankommission besorgt wurde.

Welche Waren die Betriebe in welchem Umfang und zu welchem Preis erzeugen sollten, wurde hier festgelegt. Zur eigenen Verfügung stehende Mittel wurden erst Mitte der achtziger Jahre einigen so genannten Volkseigenen Kombinaten zugestanden. Doch was konnten deren Manager schon mit dem Ertrag ihrer Arbeit anfangen, wenn bis zum Untergang der DDR die „Bilanz“ das wirtschaftliche Geschehen beherrschte? Dieser Begriff, heute die Bezeichnung für die Niederschrift der Leistungsfähigkeit eines Unternehmens, war der alljährliche Bittbrief der Generaldirektoren an die mächtigen Staatslenker, mit dem sie beantragten, wenigstens einen Teil der Früchte ihrer Arbeit für Investitionen verwenden zu dürfen.

Das Groteske wird erst klar, wenn man sich vorstellt, dass Konzerne wie Daimler-Chrysler nicht nur vom Bundeskanzler angewiesen würden, in welcher Zahl und zu welchem Preis die C-Klasse produziert werden sollte. Das Unternehmen müsste auch am Jahresende seinen Gewinn beim Bundeswirtschaftsminister abliefern, und der entschiede, ob Daimler die Genehmigung und das Geld für die Reparatur der Produktionsanlagen in Stuttgart zurück bekäme. Die Produktion wurde in der DDR nicht von der Nachfrage gesteuert, sondern durch die Direktiven der Regierenden.

Auch um die Bevölkerung ruhig zu halten, wurden die Preise für Wohnen, Lebensmittel und medizinische Versorgung künstlich so niedrig gehalten, dass sie bei weitem nicht die Produktionskosten abdecken konnten. Dass es aus diesem Grund zu einem unvorstellbaren Substanzverzehr kam, wurde in seiner Dimension erst im Zuge der Privatisierung der Unternehmen durch die Treuhandanstalt Anfang der neunziger Jahre deutlich. Die meisten ostdeutschen Betriebe arbeiteten im Vergleich mit westlichen Konkurrenten völlig unrentabel. Viele Investoren waren nur bereit einzusteigen, wenn sie noch staatliches Geld mit auf den Weg bekamen.

Erfolgsmeldungen der DDR-Staatsführung, das Land zähle zu den zehn leistungsfähigsten der Welt, waren reine Propaganda und wurden zudem durch ein kaum vorstellbares System der Falschmeldungen unterstützt, mit dem Betriebe und der Staat das Versagen der Ökonomie zu verschleiern suchten. Die gesamtwirtschaftliche Leistungsfähigkeit der DDR hat pro Kopf zu keinem Zeitpunkt auch nur ein Sechstel der bundesdeutschen erreicht. „Die DDR ist von uns ökonomisch überschätzt worden“, räumte nach der Wiedervereinigung der einstige Bundesbankpräsident Karl-Otto Pöhl ein.

Wie aber konnte ein solches System so viele Jahrzehnte überleben? Wie verkraftet es eine Volkswirtschaft auf Dauer, dass der Preis von Brot niedriger ist als der von Weizen, so dass die Bauern das Futter für ihre Tiere beim Bäcker kaufen? Seit der Staatsführung spätestens in den siebziger Jahren klar wurde, wie marode die Wirtschaft ist, entstand ein sehr breit angelegtes und fein austariertes Geflecht der „Verteilung von Not“. Finanziell hinausgeschoben wurde der schleichende Staatsbankrott außerdem durch Milliardenkredite im Ausland, von denen der wohl spektakulärste durch Bayerns Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß vermittelt wurde.

Am Tropf des Westens

Zwei Ziele, die im Laufe der Jahre nur mit immer größerem Aufwand zu erreichen waren, verfolgte die DDR-Regierung: Die immer maroderen Produktionsanlagen mussten vor dem totalen Zusammenbruch gerettet werden. Und die Bevölkerung musste durch vielfältige Konsum-Angebote davon überzeugt werden, dass ihr Lebensstandard nur wenig von dem Niveau abwich, das sie täglich in westlichen Medien zu sehen bekamen. Vor allem aber rühmte sich der deutsche Sozialismus der Vollbeschäftigung, vor allem natürlich im Vergleich mit Westdeutschland. Ein Land, in dem jedes Unternehmen aber mehr Handwerker für Reparaturen als Personal für die eigentliche Produktion beschäftigte, hat natürlich keine Arbeitslosen.

Genützt hat das alles bekanntermaßen nichts. Als die Menschen der sozialistischen Planwirtschaft 1989 in immer größerer Zahl den Rücken kehrten und in das vermeintliche kapitalistische Paradies flüchteten, ahnte auch der Generaldirektor der Bank of Tokyo, dass die DDR-Ökonomie kurz vor ihrem Zusammenbruch steht. Mitte September des Wendejahres schrieb er eine diplomatisch verfasste Note an die Außenhandelsbank der DDR. Rund 75 Prozent aller Kredite des Landes, erinnerte der japanische Banker die SED-Genossen, stammen aus seinem Land. Und er begehre nun Auskunft darüber, wie man sich deren Sicherung durch den Erhalt der Leistungskraft der Wirtschaft im Land vorstelle. „Wer wird uns bezahlen“, hieß es in dem Brief ahnungsvoll, „wenn immer mehr junge Leute die DDR verlassen?“

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