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Mittal: Unangreifbarer Riese mit Schwächen

Mit ungeheurer Wucht wirbelt Lakshmi Mittal die Weltstahlmärkte durcheinander. Mehr als 20 Stahlkonzerne kaufte der Inder binnen fünf Jahren zu. Ein Hintergrund.

Luxemburg/Paris - Aus unangreifbarer Position attackiert der elegante Weltbürger jetzt den Umsatzprimus Arcelor. Überrascht stellen die Industriepolitiker in Spanien, Frankreich, Belgien und Luxemburg fest, dass "ihr" stolzer "Euro-Champion" sich kaum gegen die Attacke des Inders wehren kann. Doch auch Mittal hat Schwächen.

Der von London aus regierte Stahlgigant nutzt nach Ansicht Pariser Analysten nur die Gunst der Stunde, um sich einen Rivalen einzuverleiben, der ihm bei einer Konjunkturwende schnell sehr gefährlich werden könnte. Denn Arcelor arbeitet viel produktiver als Mittal, hat modernere Werke, langfristigere Lieferbeziehungen und das höherwertige Produktangebot. Während Arcelor 2004 mit 94.000 Mitarbeitern 30 Milliarden Euro Umsatz erzielte, kam Mittal mit 164.000 Mitarbeitern nur auf 25,6 Milliarden Euro Umsatz.

Mittal hat sich viele, weltweit weit verstreute Werke zusammengekauft. Dem Konzern stehen an Standorten in der Ukraine, Kasachstan oder den USA Umstrukturierungen noch bevor, die die drei Arcelor-Vorgängerfirmen mit Hilfe vieler Steuermittel in den 80er und 90er Jahren bereits hinter sich gebracht haben. Je Tonne Stahl arbeitet Arcelor um 30 Prozent rentabler als Mittal. 80 000 Stellen, so wird von Arcelor kolportiert, müsse Mittal abbauen. Auch bei Zukunftsprodukten sehe es mau aus, denn der Inder investiere mit 17 Euro je Tonne Stahl nur halb so viel in die Entwicklung wie Arcelor.

Mittal ist im Vorteil

Derzeit ist Mittal allerdings von Arcelor kaum zu schlagen. Der Weltkonzern wies 2004 mit 27,7 Prozent eine fast dreimal so hohe operative Marge auf wie Arcelor und hat eine prall - mit Aktien - gefüllt Kriegskasse. Grund dafür ist der China-Boom: Die Chinesen haben ihre Stahlnachfrage seit 2001 verdoppelt und damit die Preise in die Höhe katapultiert. Gleichzeitig wurde Eisenerz knapp und teuer. Beides half Mittal: Sein Konzern mit Sitz in Rotterdam verkauft viel Stahl auf dem Spotmarkt und profitierte damit voll vom Preistrend, während der Luxemburger Rivale Arcelor nicht aus den Jahresverträgen mit seinen Kunden heraus kann. Außerdem bezieht Mittal die Hälfte des Erzes aus eigenen Minen und blieb weitgehend vom Kostendruck der Zulieferer verschont; Arcelor muss dagegen sein Eisenerz teuer zukaufen.

Doch diese Vorteile können im sehr zyklischen Stahlmarkt schnell in Nachteile umschlagen, wenn die Preise wieder einbrechen. Seit 2004 hat sich die Tonne heißgerollter Bleche schon von 600 auf 450 Dollar verbilligt. Das ist immer noch teuer; doch was ist, wenn das Pendel weiter nach unten ausschlägt? Arcelor würde mehr vom Verfall der Erzpreise profitieren als Mittal und könnte seine Produktpreise erheblich stabiler halten. Der Weltkonzern des Inders, der angeblich bereits vor dem Chinaboom am Rande der Pleite gewesen sein soll, käme dann unter Druck.

Dies könnte nach Einschätzung der Analysten der Pariser Crédit Agricole auch der Grund sein, warum Mittal jetzt zum Angriff bläst. Mittal würde mit Arcelor nicht nur seine Marktmacht gegen die mächtigen drei Rohstoffkonzerne ausbauen, die den Weltmarkt unter sich aufteilen, sondern die künftigen Ergebnisse stabilisieren.

Die Gelegenheit ist günstig: Arcelor hat keine Chance, mit einem Gegenangebot die indische Dynastie anzugreifen. Mittal Steel ist ein Familienkonzern; Arcelor gehört dagegen einer Vielzahl von Kleinaktionären und Fonds. Größte Anteilseigner sind Luxemburg mit 5,6 Prozent und die belgische Region Wallonien mit 3,2 Prozent. Frankreich und Spanien sind gar nicht mehr im Kapital vertreten. Den Regierungen sind im freien Markt weitgehend die Hände gebunden. Ein Fusionsverbot wegen zu großer Marktmacht gilt als ausgeschlossen, weil die Stahlindustrie viel zersplitterter ist als die Rohstoffanbieter und die Stahlgroßkunden.

Nach einer Übernahme bliebe Lakshmi Mittal unumschränkter Herr an Bord: Dank einer klugen Mischung aus Bar- und Aktienangebot sowie Vorzugsstimmrechten hielte der drittreichste Mensch der Welt 64 Prozent der Stimmrechte im neuen Konglomerat mit 320.000 Mitarbeitern, das gut ein Zehntel des Weltmarktes beherrschen würde. Er könnte dann Arcelors Kapital, Marktstellung und Kenntnisse nutzen, um seinen alten Konzern auf Vordermann zu bringen. (Von Hans-Hermann Nikolei, dpa)

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