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Ein Sendemast mit verschiedenen Antennen für den Mobilfunk.

© Stefan Sauer/ZB/dpa

Mobilfunk: So soll es Deutschland aus dem Funkloch schaffen

In der Bundesrepublik gibt es mehr Funklöcher als in Albanien. Das will die Bundesregierung ändern. Fragen und Antworten, wie das gehen könnte.

360 Menschen leben in Kleßen-Görne und wenn sie mit ihrem Handy telefonieren wollen, mussten sie bisher auf Wind aus Westen warten, dann gab es Empfang. Seit Mittwoch ist das Funkloch im Havelland gestopft, die Telekom hat zwei Funkmasten aufgestellt, Telekomchef Timotheus Höttges und Andreas Scheuer (CSU), Bundesminister für Digitale Infrastruktur reisten an – ein symbolischer Besuch, denn nach dem kleinen Dorf nordöstlich von Berlin sollen nun auch andere weiße Flecken von der Landkarte verschwinden.

Doch wie und zu welchem Preis, darüber herrschte bisher Streit zwischen Regierung und den drei Netzbetreibern Telekom, Vodafone und O2-Mutter Telefonica. Am Donnerstag trafen sie sich deshalb zum Mobilfunkgipfel in Berlin – und kamen zu einem Kompromiss, der unter Vorbehalt steht.

Was ist das Ergebnis des Gipfels?

Die Netzbetreiber haben Scheuer zugesagt, bis Ende 2021 99 Prozent der Haushalte mit Mobilfunk zu versorgen. Es soll hundert neue Sendemasten, sogenannte 4G-Standorte, an bislang unversorgten Verkehrs-Hotspots geben sowie tausend neue 4G-Standorte in den „weißen Flecken“. Geplant seien zudem 10.000 neue aufgerüstete 4G-Standorte. „Damit gehen wir in ein neues Zeitalter der Netzabdeckung beim Mobilfunk“, sagte Scheuer am Donnerstag.

Allerdings haben die Anbieter diese Zusage nur unter Vorbehalt gemacht. Sie wollen die Investitionen nämlich nur dann tätigen, wenn die Vergabe der 5G-Lizenzen im kommenden Jahr nach ihren Wünschen verläuft. „Wir sind zu Investitionen bereit, wenn auch die Rahmenbedingungen gegeben sind, die wir brauchen“, sagte Telekom-Chef Höttges. Zwingen kann Scheuer die Netzbetreiber nicht.

Warum haben die Mobilfunkanbieter das Problem bisher nicht ausreichend gelöst?

In Deutschland gibt es drei große Mobilfunkanbieter, die um den Markt konkurrieren: Die Telekom, die mit einer Netzabdeckung von 80 Prozent in der Fläche der führende Anbieter ist. Dazu kommen Vodafone und die O2-Mutter Telefonica. In großen Städte wie Berlin, Hamburg oder München oder Metropolregionen wie dem Rhein-Main-Gebiet lohnt es sich für sie, Funkmasten aufzustellen, eben weil es dort viele Kunden gibt.

In ländlichen Regionen sieht es da schon anders aus, wie in Kleßen-Görne zwei Funkmasten für bis zu 400.000 Euro aufzustellen für weniger als 400 Einwohner ist wirtschaftlich nicht attraktiv. Laut Regulierungsvorgaben müssen die Mobilfunkanbieter zusammen 98 Prozent der Haushalte und Hauptverkehrswege abdecken, aber die verbleibenden zwei Prozent sind die teuersten, weil es sich eben um schwer zugängliche Regionen mit wenigen Kunden handelt.

Wie viele Funklöcher gibt es bisher?

Rund zwei Millionen Menschen sind in Deutschland vom Mobilfunknetz abgeschnitten. Das ist nur eine vorsichtige Schätzung, verlässliche Statistiken gibt es bisher nicht. Aber wer in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg oder Thüringen, aber auch in ländlichen Bereichen von Bayern oder Nordhessen unterwegs ist, sieht auf seinem Display häufig den Hinweis „Kein Netz“. Wie und wo das besonders häufig passiert, soll nun mithilfe der Funkloch-App ermittelt werden.

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Auf dem Gipfel am Donnerstag wurde beschlossen, dass sie bis Ende Oktober eingerichtet sein soll. Bürgerinnen und Bürger sollen „einfach und unbürokratisch Funklöcher an die Behörde melden können“, heißt es im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD. Diese Meldungen sollen in einer Mobilfunkversorgungskarte zusammengeführt und veröffentlicht werden. Die Bundesnetzagentur soll dann jährlich einen Monitoringbericht über die Sicherstellung der zugesagten Netzabdeckung veröffentlichen und gegebenenfalls Handlungsempfehlungen aussprechen.

Was ist das Ziel der Regierung?

Der Koalitonsvertrag sieht jedoch vor, dass bis 2021 die Mobilfunklöcher komplett beseitigt werden. Der Weg in die „Gigabit-Gesellschaft“ habe „höchste Priorität“, heißt es in dem Vertrag – mit dem Ziel, Deutschland an die „Weltspitze im Bereich der digitalen Infrastruktur“ zu bringen. Bisher belegt Deutschland jedoch die hinteren Plätze im europäischen Vergleich, selbst in Albanien ist die Netzabdeckung besser. Für eine Wirtschaftsnation sei dieser Zustand „schlicht nicht akzeptabel“, sagte Scheuer.

Warum ist die Versorgung so schlecht?

Die Schuld für den unzureichenden Ausbau ist jedoch nicht allein bei den Anbietern zu suchen. Schließlich wird das zuständige Ministerium für Infrastruktur seit neun Jahren von CSU-Ministern geführt. Es biete in Sachen Mobilfunkversorgung auf dem Land derzeit „allenfalls Kreisklasse“, kritisierte Cem Özdemir (Grüne), Vorsitzender im Bundestagsausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur, vor dem Gipfel. Die flächendeckende Versorgung sei aber Grundvoraussetzung für den modernen Wirtschaftsstandort Deutschland und gleichzeitig eine Frage der Chancengleichheit zwischen den Regionen: „Auch im ländlichen Raum wollen die Menschen telefonieren und datenintensive Internetdienste nutzen, auch auf dem Land gibt es innovative Unternehmen und Start-ups“, sagte Özdemir.

Scheuer müsse deshalb mit den Netzbetreibern weitreichende Versorgungsverpflichtungen erreichen. Entscheidend sei, dass die Vorgaben dann auch durchgesetzt werden, erklärte der Grünen-Politiker, „notfalls auch mit Bußgeldern und Schadensersatzzahlungen an die Kunden“. Auch Manuel Höferlin, digitalpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, plädiert für verbindliche Zusagen und einen solchen Fahrplan. In den für die Anbieter wirtschaftlich nicht lukrativen Regionen müsse der Staat entsprechende Fördermaßnahmen anbieten. Grundsätzlich erwarte er jedoch „gerade von der Telekom deutlich mehr Engagement auf dem Heimatmarkt“.

Wie kann die Politik Druck machen?

Mehr engagieren, werden sich die Mobilfunkanbieter aber sicher nicht aus altruistischen Motiven, sondern nur, wenn es sich für sie lohnt – dabei hat Scheuer ein starkes Druckmittel zur Hand: Im kommenden Frühjahr werden die Frequenzen für den künftigen Mobilfunkstandard 5G versteigert, Nachfolger des jetzigen LTE-Standards 4G. Für die Mobilfunkanbieter ist dies ein Milliardengeschäft, zumal es weniger um Telefonie und Internetnutzung durch private Endkunden geht, sondern um das das Internet der Dinge. Scheuer dürfte die Anbieter deshalb beim Gipfel damit gelockt haben, bei der Auktion attraktivere Bedingungen zu bieten, um im Gegenzug mehr Zugeständnisse zu bekommen. Die Modalitäten für die Versteigerung müssen noch festgelegt werden.

Kann 5G die Funklöcher schließen?

Kritiker fordern die Politik auf, die Netzbetreiber bei der 5G-Frequenz-Versteigerung zu einem flächendeckenden Ausbau mit der neuen Technologie zu verpflichten. Doch das wird technisch schwierig. Mit den 5G-Frequenzen, kann man zwar viele Menschen auf engem Raum erreichen, aber nicht über weite Strecken. „Um mit diesen Frequenzen die Fläche zu versorgen, müsste man fast alle 300 Meter eine Antenne aufstellen“, sagt Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur. Auch Bitkom-Präsident Achim Berg warnt vor einer flächendeckenden Ausbauverpflichtung. „Das ist schlicht nicht machbar und geht an den Realitäten des Mobilfunks vorbei“, sagt Berg. „Die Physik hat nun einmal Grenzen und die Politik sollte diese Grenzen der Physik anerkennen.“

Warum reicht die Vereinbarung nicht?

„Das Ergebnis ist mehr als ernüchternd“, sagt Gustav Herzog, stellvertretender verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Scheuer und die Anbieter hätten sich lediglich auf einen Prozent mehr Abdeckung verständigt, als ohnehin schon vertraglich zugesagt war. „Und das auch nur unter Vorbehalt. Das ist zu wenig!“ Zudem sei die Vermischung von 4G-Auflagen mit 5G nicht der richtige Weg. „Das belastet meines Erachtens die kommende Auktion.“ Herzog fordert, dass die Mobilfunknetzbetreiber schon jetzt mehr zum Nutzen ihrer Kunden kooperieren. „Hier erwarte ich mehr marktorientierte Kooperationsbereitschaft. Es muss nicht sein, dass alle drei Infrastruktur auf den für sie unwirtschaftlichen Standorten vorhalten. Sie könnten für die weißen Flecken nationales Roaming vorsehen, so dass nur einer Infrastruktur installiert, die kooperativ von allen genutzt wird. Aus unternehmenspolitischen Erwägungen heraus wird hier seit Jahren blockiert“, kritisiert Herzog.

Was bedeutet nationales Roaming?

Oft deckt jeweils ein Anbieter ein Gebiet ab, nur Nutzer der Konkurrenz stecken im Funkloch. Das „nationale Roaming“ könnte das ändern. Dabei kann sich etwa auf dem Land ein Handy bei schlechtem Empfang in das Netz eines anderen Betreibers einwählen, der die Nutzung dem eigentlichen Anbieter dann in Rechnung stellt.

Doch Anbieter wie die Telekom lehnen das ab. Denn wenn Anbieter das Netz der Konkurrenz nutzen könnten, hätten sie weniger Anreiz in das eigene zu investieren. Zumindest solange es überhaupt einen Anbieter gibt – so wie nun nach Jahren auch in Kleßen-Görne.

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