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Wirtschaft: Monogamie auf europäische Art

Lange Zeit stand auf dem Schild am Tor zur Europäischen Union (EU) eine recht einfache Botschaft: "Reformiert Eure Wirtschaft und Ihr könnt eintreten". Das war ein verführerischer Vorschlag für die früheren kommunistischen Staaten Osteuropas.

Lange Zeit stand auf dem Schild am Tor zur Europäischen Union (EU) eine recht einfache Botschaft: "Reformiert Eure Wirtschaft und Ihr könnt eintreten". Das war ein verführerischer Vorschlag für die früheren kommunistischen Staaten Osteuropas. In der Tat zeugen Tempo und Erfolg, mit denen viele dieser Staaten ihre Wirtschaft auf Vordermann gebracht haben, von dem unwiderstehlichen Reiz, den eine EU-Mitgliedschaft auf sie ausübte. Was für eine Enttäuschung muß es deshalb sein, daß dieses Tor bislang fest verschlossen ist. Und als wäre die zögernde Haltung der EU bei der Aufnahme neuer Mitglieder nicht frustrierend genug, setzt Brüssel mit seiner Erklärung noch einen drauf: Die osteuropäischen Staaten seien noch nicht reif für eine Mitgliedschaft, weil sie zuviel reformiert hätten.Stein des Anstoßes sind vor allem die Freihandelsabkommen, die viele osteuropäische Staaten weltweit abgeschlossen haben. Alle Bewerber der ersten Runde - Ungarn, Polen, Tschechien, Slowenien und Estland - haben solche Abkommen. Ungarn und Polen zum Beispiel haben die Einfuhrzölle für Güter aus Israel gesenkt. Estland hält an einem Handelsabkommen mit der Ukraine und an der Zollunion mit seinen baltischen Nachbarn Lettland und Litauen fest. Die Tschechische Republik und Slowenien haben ähnliche Abkommen mit der Slowakei beziehungsweise Bosnien. Brüssel steht auf dem Standpunkt, daß diese Abkommen weg müssen, weil sie den europäischen Einfuhrbestimmungen zuwiderlaufen.Die Bewerber fühlen sich verständlicherweise auf den Schlips getreten. Sie weisen darauf hin, daß die Freihandelsabkommen das Wirtschaftswachstum wesentlich gefördert hätten - jenes Wirtschaftswachstum, das sie damals zu Bewerbern der ersten Runde gemacht habe. Nach Kündigung der Handelsabkommen können sie aber wenigstens hoffen, daß der Zugang zum streng abgeschirmten EU-Markt die Verluste ausgleichen wird. Ihren Handelspartnern aber bleibt kein derartiger Trost. Die Ukraine zum Beispiel wird einen wichtigen Exportmarkt in Estland verlieren. Die Slowakei hätte keinen Zugang mehr zu ihrem größten Exportmarkt Tschechien. Das ist exakt das falsche Signal der EU an Länder, deren Beziehung zum Westen bestenfalls schwach ist.Die Haltung der EU wäre vielleicht noch zu begreifen, wenn ihre Bürokraten nur stur die Vorschriften anwenden würden. Das ist aber nicht der Fall. Die Rechtsvorschriften der EU, die von neuen Mitgliedern ausnahmslos übernommen werden müssen, untersagen diesen nur, Handelsabkommen mit Drittstaaten nach dem Beitritt zur Europäischen Union abzuschließen. Bereits existierende Abkommen sind Verhandlungssache und können in das EU-Recht aufgenommen werden.Als England der EU beitrat, akzeptierte Brüssel beispielsweise dessen Abkommen mit den Commonwealth-Staaten in Afrika und der Karibik. Englands Handelsabkommen mit Australien und Neuseeland wurde ebenfalls in das EU-Recht eingegliedert. Die EU scheint nicht zu begreifen, daß Freihandel immer gut ist. Wenn ein Beitritt Estlands und Sloweniens den Effekt hätte, den EU-Markt für ukrainische und bosnische Produkte zu öffnen - na und? Für einige der Staaten in Osteuropa, die sich entwickeln wollen, wäre das von Vorteil und auch die Verbraucher im Westen hätten allen Grund, sich bei Brüssel zu bedanken.Die Tatsache, daß die EU stattdessen ihre Mitglieder durch hohe Zölle und Kontigente schützen will, untermauert die These, daß die EU weniger eine Freihandelszone als eine "Festung Europa" ist. Vielleicht sollte das Schild am Tor lauten: "Ihr, die Ihr da eintretet, laßt alle Eure Freunde im Stich."

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