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Die Kurse an den Börsen haben zuletzt immer wieder nachgegeben.

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Update

Nach dem Kursabsturz: China gibt Journalisten Schuld an Börsencrash

Seit Wochen brechen die Kurse an Chinas Börsen ein. Warum Peking jetzt nach den Schuldigen sucht und einen Reporter im Staatsfernsehen vorführt.

Von Carla Neuhaus

Sie sollen „Panik und Chaos“ ausgelöst haben. Nachdem in den letzten Wochen die Kurse an den chinesischen Börsen eingebrochen sind, wollen die Behörden in Peking die Schuldigen gefunden haben. Mehreren Personen werfen sie vor, bewusst „Gerüchte verbreitet“ zu haben: Unter ihnen sind vor allem Journalisten, aber auch Wertpapierhändler und ein Beamter der Börsenaufsicht. Fast 200 Menschen sollen deshalb bereits bestraft worden sein, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua am Montag. Neben den Börsenturbulenzen sollen sie die Öffentlichkeit auch über die verheerende Explosion im Industriegebiet Tianjin getäuscht haben.

Ein Reporter wird im Staatsfernsehen vorgeführt

Die Vorwürfe treffen insbesondere Finanzjournalisten. So wurde am Montag im chinesischen Staatsfernsehen ein Reporter des Wirtschaftsmagazins „Caijing“ vorgeführt. Er soll zugegeben haben, über den chinesischen Aktienmarkt „auf Grundlage von Gerüchten und eigenen Mutmaßungen“ berichtet zu haben. Auf diese Weise habe er „dem Land und Investoren hohe Verluste“ zugefügt. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Xinhua befindet er sich in Haft.

„Die chinesische Führung ist offensichtlich unter Druck, Schuldige für die anhaltenden Turbulenzen an den Börsen zu präsentieren“, sagt Kristin Shi-Kupfer vom Berliner Forschungsinstitut Merics. Wie groß der Druck ist, zeigt die Tatsache, dass das Geständnis des Finanzjournalisten noch vor einer Gerichtsverhandlung veröffentlich wurde – was auch „nach chinesischem Gesetz nicht rechtens“ sei, sagt Shi-Kupfer. Die Regierung wolle auf diese Weise „von ihrer eigenen Verantwortung für die massiven Kurskorrekturen ablenken“.

Die Regierung bestraft die Überbringer der Nachricht

Deutsche Finanzanalysten und Medienrechtler sind über das Vorgehen entsetzt. „Es ist absurd, einzelne Journalisten für den Börsencrash verantwortlich zu machen“, sagt Commerzbank-Analyst Ulrich Leuchtmann. Im vergangenen Jahr hat die chinesische Regierung den Aktienmarkt geöffnet – unter anderem, um es Unternehmen zu erleichtern, sich zu finanzieren. In der Folge sind große Summen in den Aktienmarkt geflossen, was die Kurse ansteigen ließ – bis es im Juni zum Crash kam. Für Analyst Leuchtmann ist das eine klassische Blase: Anleger haben zu viel Geld in den Markt gepumpt, bis die Blase platzte und Panik ausbrach. „Für China wäre es jetzt wichtig, sich ernsthaft mit dem Entstehen dieser Blase zu beschäftigen, um in Zukunft einen solchen Crash zu verhindern“, sagt Leuchtmann. „Doch diese Chance wird vertan.“

Stattdessen sucht die Regierung in Peking Schuldige – ein Vorgehen, das Christoph Dreyer von der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ wenig überrascht. „Man kennt das von anderen Ereignissen wie Naturkatastrophen“, sagt er. „Die Regierung geht nicht gegen die Verursacher vor sondern gegen die Überbringer der Nachricht.“ Der Organisation sind derzeit 84 Blogger und Onliner sowie 23 Journalisten traditioneller Medien bekannt, die in China in Haft sitzen.

Peking fürchtet soziale Unruhen

Dreyer vermutet, dass hinter den Repressionen im Zusammenhang mit den Börsenturbulenzen die Angst vor sozialen Unruhen steht. Schließlich haben etliche Kleinanleger ihr Erspartes an der Börse verloren – nachdem sie zuvor vom Staat dazu ermuntert worden waren, Aktien zu kaufen. „Die Regierung fürchtet um ihre Legitimation“, sagt Dreyer. Zumal die Behörden in den letzten Wochen immer wieder massiv in den Markt eingegriffen – ohne jedoch den Kurssturz stoppen zu können. Auch am Montag fiel der Schanghai-Composite, einer der wichtigsten Aktienindizes in China, zwischenzeitlich wieder um fast vier Prozent. Bei Börsenschluss stand er dann nur noch mit einem Minus von 0,8 Prozent.

Mit den Strafen und Verhaftungen hat die Volksrepublik den Druck auf die Finanzjournalisten nun noch einmal erhöht. Dabei war auch in der Vergangenheit eine freie Berichterstattung über das Börsengeschehen nicht möglich. So sollen die Behörden bereits im Juni, als die Aktienmärkte erstmals so stark einbrachen, eingeschritten sein. Damals soll es bereits eine Anweisung der chinesischen Zensoren gegeben haben, die Berichterstattung über die Börsenturbulenzen möglichst neutral zu halten. „Das heißt, es sollte keine Live-Interviews und keine Hintergrundberichte geben“, sagt Dreyer. Schon damals wollte die Regierung also verhindern, dass die Berichte die Anleger noch stärker in Panik versetzen als eh sie eh schon waren.

Die Berichterstattung hat automatisch Einfluss auf die Kurse

Dabei lässt sich kaum verhindern, dass eine Berichterstattung – und sei sie noch so neutral – einen Kurssturz an der Börse verschlimmert. So wurde auch Journalisten im  Westen nach dem Platzen der Dotcom-Blase oder auch nach Ausbruch der Finanzkrise vorgeworfen, die Kursstürze an den weltweiten Aktienmärkten mit ihren Artikeln verstärkt zu haben. „Das Muster ist stets das gleiche und hinlänglich bekannt“, sagt Analyst Leuchtmann. Allerdings hat es hierzulande – anders als in China – keine persönlichen Konsequenzen für Journalisten.

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