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Wirtschaft: Nach dem rasanten Preisverfall kündigen sich Konzentrationsprozesse in der Stromwirtschaft an

Die Zwischenberichte der deutschen Energieversorgungsunternehmen, die jetzt für das erste Halbjahr vorgelegt werden, signalisieren bei den Erträgen eine Wende zum Schlechten. Der freie Wettbewerb auf dem deutschen Energiemarkt schlägt schneller und unerbittlicher zu, als vor gut einem Jahr bei der Liberalisierung allgemein erwartet worden war.

Die Zwischenberichte der deutschen Energieversorgungsunternehmen, die jetzt für das erste Halbjahr vorgelegt werden, signalisieren bei den Erträgen eine Wende zum Schlechten. Der freie Wettbewerb auf dem deutschen Energiemarkt schlägt schneller und unerbittlicher zu, als vor gut einem Jahr bei der Liberalisierung allgemein erwartet worden war. Die Ergebnisse beim Strom, die den Konzernen teure Ausflüge in Diversifikationen - Entsorgung und Telekommunikation - finanzierten, verfallen zunehmend.

Beim führenden deutschen Stromversorger RWE Energie AG, Essen, ging der Umsatz im Geschäftsjahr 1998/99 (30.6.) um fünf Prozent zurück; dabei war der Absatz sogar noch leicht um zwei Prozent gesteigert worden. Ein Absatzplus von fünf Prozent verzeichnete im ersten Halbjahr 1999 die Viag-Tochter Bayernwerk AG, München, dennoch stagnierte der Umsatz. Die VEW Energie AG, Dortmund, verlor in den ersten sechs Monaten 1,5 Prozent beim Stromabsatz, das Minus beim Energieumsatz betrug sogar 12,2 Prozent.

Das Preiskarussell dreht sich immer schneller. Bei den Energieversorgern genießen Marktanteilsziele absolute Priorität. Die Stromunternehmen sind bereit, sich schon seit Monaten im Geschäft mit Industriekunden auf Margen einzulassen, die mit den erreichten Kostenersparnissen - bei den acht Verbundunternehmen sind mehr als 10 Mrd. DM angepeilt - kaum noch kompatibel sind. In der Branche heißt es: "Wir lassen die Hosen herunter, um größere Industriekunden zu behalten."

In Deutschland steht ein Verdrängungswettbewerb bevor, dem die meisten der noch 900 Energieunternehmen zum Opfer fallen werden. Die gängige Meinung der Experten geht dahin, dass in wenigen Jahren eine Hand voll Firmen übrig bleiben wird und nur zwei bis drei Deutsche in der Europaliga, die ein Volumen von einer Bill. DM in zehn Jahren erreichen soll, mitspielen werden. So peilt RWE-Chef Dietmar Kuhnt für 2010 einen ehrgeizigen Marktanteil von 15 Prozent in den Kernbereichen Strom, Öl, Gas, Wasser und Kohle europaweit an.

Europa aber ist erst einmal eine Vision, zumal Kernmärkte wie Frankreich oder Italien die Liberalisierung mit allen Mitteln verlangsamen. Deshalb rücken nun Deutschland und die schon relativ offenen Nachbarmärkte - Großbritannien, Skandinavien oder Benelux - in den Mittelpunkt. So sind die Veba-Tochter Preussenelektra und die HEWAG, Hamburg, schon mit der schwedischen Sydkraft durch wechselseitige Kapitalbeteiligungen verbandelt.

Umgekehrt engagieren sich Newcomer aus den nördlichen Nachbarländern als Stromhändler oder Independent Power Producer (IPP) in Deutschland. Hierzu gehören Vattenfall aus Schweden und Fortum aus Finnland. Die Märkte wurden zugleich durch den weltweit agierenden Strom- und Gaskonzern Enron aus den USA durcheinander gewirbelt. Ebenso besetzte Southern Energy mit seinem Kapitaleinstieg bei der Berliner Bewag AG den deutschen Markt. Auch britische Unternehmen stehen vor der Tür, um mitzubieten. Deutschland als bedeutendster Energiemarkt in Europa werde in kürzester Zeit einen harten Wettbewerb zu spüren bekommen, prognostizierte schon im Frühsommer Alan Wyatt, der die kontinentaleuropäischen Handelsgeschäfte der englischen Eastern Group leitet.

Nicht nur der Druck ausländischer Wettbewerber auf dem stagnierenden Inlandsmarkt wächst. Auch Überkapazitäten, die für ganz Europa auf 40 000 Megawatt geschätzt werden, werden Reinigungsprozesse beschleunigen. Selbst die großen Drei - RWE, Veba und Viag - müssen sich neu aufstellen. Dies gilt nicht nur für das Stromgeschäft. Wie die strategischen Konzepte zeigen, sind alle auf Multi Energy (aller Energiearten) und Multi Utility (alle Energiedienstleistungen) fixiert.

Im Vergleich zum weit vorne liegenden europäischen Marktführer, der staatlichen Electricité de France (EdF), sind die deutschen Ex-Monopolisten noch im Hintertreffen. EdF setzt jährlich 455 Mrd. kWh Strom ab, der zweitgrößte Anbieter, die ebenfalls im Staatsbesitz befindliche italienische Enel, 225 Mrd. kWh. Als dritter und damit größter privatwirtschaftlicher Anbieter in Europa folgt RWE mit 138 Mrd. kWh vor Veba mit 106 Mrd. kWh. Die Viag rangiert mit 73 Mrd. kWh national zwar auf Rang drei, in der EU allerdings als Nummer acht. Aus dieser Konstellation ist abzulesen, dass Kooperationen und Fusionen unumgänglich sind, wenn die These einiger weniger Europaplayer gültig bleibt. Dies sieht die Bundesregierung ebenso. "Mit der Einführung des Wettbewerbs, sprich mit der Abschaffung der Gebietsmonopole für den Stromabsatz, ist der Strommarkt mit anderen Märkten vergleichbar und unter europäischen Maßstäben zu betrachten. Deshalb wird die Bundesregierung darauf hin wirken, dass die Kartellrechtspraxis dieser Entwicklung angepasst wird", hat Bundeswirtschaftsminister Werner Müller schon vor zwei Monaten zugesagt. Die Berliner Wettbewerbsbehörde wird an diesem Politikerwort gemessen werden. Schon stehen die Unternehmenschefs auf der Matte, um zu sondieren, welche Fusionen und Allianzen möglich sind.

Erwin Schneider, Heinz-Jürgen Schürmann

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