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Die Mehrheit der Italiener stimmte am Sonntag gegen eine Verfassungsreform.

© imago/Matteo Gribaudi

Nach dem Referendum in Italien: Europas Börsen reagieren gelassen

Das von einigen Experten erwartete Beben nach dem Scheitern der Verfassungsreform in Italien bleibt aus - der Dax zieht an.

Die befürchtete Schockwelle nach dem Scheitern des Verfassungsreferendums in Italien ist am Montag europaweit ausgeblieben. Stattdessen bescherten die Anleger in Deutschland dem Dax kräftige Gewinne. So kletterte der deutsche Leitindex im frühen Handel 1,79 Prozent auf 10 701,58 Punkte. Allerdings hatten sich die Investoren schon in der vergangenen Woche auf eine Niederlage von Regierungschef Matteo Renzi eingestellt - der deutsche Leitindex hatte rund 1,80 Prozent verloren. Nach der Ablehnung der Verfassungsreform in Italien waren die europäischen Börsen zunächst mit leichten Verlusten gestartet. Der Deutsche Aktienindex (Dax) verlor zum Handelsstart am Montagmorgen 0,18 Prozent. In London sank der Leitindex FTSE um 0,38 Prozent, der Pariser Leitindex CAC verlor 0,49 Prozent. Zugleich stiegen die Zinsen für italienische Staatsanleihen etwas. Am Montagmorgen wurden auf zehnjährige Anleihen 1,996 Prozent Zinsen fällig, nach 1,902 Prozent bei Handelsschluss am Freitag. Investoren trennten sich von den Papieren - durch den niedrigeren Preis stiegen automatisch die Zinsen. Ein ähnliches Niveau hatten sie allerdings bereits in der vergangenen Woche erreicht. Auch Staatsanleihen anderer Euro-Länder, die als wirtschaftlich schwächer eingeschätzt werden, waren für Investoren am Montag wenig attraktiv. Die Zinsen auf spanische Anleihen etwa legten leicht zu auf 1,579 Prozent, nach 1,543 Prozent am Freitagabend.

Verhaltene Reaktionen an den Finanzmärkten

Insgesamt blieb an den Finanzmärkten rund um den Globus das von einigen Experten erwartete Beben nach dem Scheitern der Verfassungsreform in Italien aus. Der Euro sowie Asiens Aktienmärkte verloren zwar und auch der Dax sowie der EuroStoxx 50 werden mit Verlusten zum Handelsstart am Montag erwartet. Jedoch lagen die Abschläge bei jeweils unter einem Prozent. Alles in allem fiel die Reaktion an den Finanzmärkten deutlich verhaltener aus als zum Beispiel bei der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten im November oder dem Brexit-Votum in Großbritannien im Juni. Der Euro erholte sich am Morgen von seinen anfänglich etwas deutlicheren Verlusten und lag nicht einmal mehr ein Prozent im Minus. Ein Euro kostete zuletzt 1,0563 US-Dollar. In Reaktion auf den Ausgang der Abstimmung in Italien war die Gemeinschaftswährung zwischenzeitlich fast bis auf 1,0506 Dollar gefallen und damit auf den tiefsten Stand seit März 2015. Nach dem Scheitern seiner Verfassungsreform hat der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi seinen Rücktritt angekündigt. Daraufhin hatte der Euro seine Verluste etwas eingedämmt, da sich mit der Rücktrittsankündigung eine schnelle Entscheidung über Neuwahlen und damit kein lang anhaltendes Machtvakuum andeutet.

Moderate Verluste an den Aktienmärkten

Die europäische Gemeinschaftswährung steht wegen der Furcht vor einem Wiederaufflammen der europäischen Schuldenkrise schon seit einiger Zeit unter Druck. Auf der anderen Seite konnten sogenannte sichere Anlageformen wie der japanische Yen oder der Schweizer Franken nur leicht zulegen. Der Goldpreis gab sogar leicht nach. Auch an den Aktienmärkten waren die Abschläge moderat. In Tokio stand der Nikkei-Index für 225 führende Werte im späten Handel ein knappes Prozent im Minus bei 18 261 Punkten. Unter den zehn größten Verlierern waren auch einige Finanzwerte, darunter die Großbank Mitsubishi UFJ. Bankaktien reagieren besonders sensibel auf Krisen. In Südkorea, Hongkong, Australien und Taiwan lagen die Verluste der Leitindizes bei jeweils unter 0,3 Prozent. In Deutschland wurde der Dax beim Broker IG zwei Stunden vor Handelsstart mit einem Abschlag von 0,6 Prozent auf 10 449 Punkte erwartet. Schon vor dem Wochenende hatten die Aktien der Deutschen Bank und der Commerzbank allerdings deutlich nachgegeben. Der EuroStoxx 50, der Leitindex der Eurozone, wurde von IG ähnlich stark im Minus erwartet.

Experten: Referendum belastet Euro

Das Scheitern des italienischen Verfassungsreferendums ist aus Sicht von Helaba-Chefvolkswirtin Gertrud Traud eine Belastung für den Euro und italienische Staatsanleihen. Sollten die Finanzmärkte zu heftig reagieren, sei mit Interventionen der Europäischen Zentralbank (EZB) zu rechnen, sagte die Ökonomin am Montag. Bereits vor dem Referendum waren die Risikoaufschläge auf italienische Bonds gestiegen. „So wie Cameron hat auch Renzi zu hoch gepokert“, sagte Traud. Im Juli war der damalige britische Premierminister David Cameron wegen des Brexit-Votums der Briten zurückgetreten. Nach Einschätzung von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer hat Italien mit dem Nein zum Verfassungsreferendum die Chance vertan, die Voraussetzungen zur Lösung der wirtschaftlichen Probleme des Landes zu schaffen. „Italien bleibt ein Krisenkandidat“, erklärte Krämer am Montag. Zwar könnte Staatspräsident Sergio Mattarella nach der Rücktrittsankündigung von Regierungschef Matteo Renzi eine Übergangsregierung einsetzen. Diese könnte das Wahlrecht zu Lasten der euro-krititischen Fünf-Sterne-Bewegung ändern. „Trotzdem ist das Risiko einer Fünf-Sterne-Regierung und einer Rückkehr der Staatsschuldenkrise nicht vom Tisch“.

Fratzscher: Votum der Italiener bedeutet Rückschlag fürs Land

Aus Sicht des Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, schafft das Votum der Italiener Unsicherheit. "Das Ergebnis der Volksabstimmung ist ein Rückschlag für Italien. Es wird Italien sicherlich kurzfristig nicht zurück in eine Krise treiben", sagte Fratzscher. "Aber es bedeutet weitere verlorene Zeit für ein Land, das noch mit erheblichen Problemen - seinen Banken, einer enormen Staatsverschuldung, einer hohen Arbeitslosigkeit - zu kämpfen hat. Die Gefahr ist groß, dass sich der Reformkurs jetzt verlangsamt. Die politischen Entwicklungen von Sonntagabend schaffen eine enorme Unsicherheit, die zu höheren Zinsen für Italien auf den Kapitalmärkten, weniger Investitionen und damit ein geringeres Wachstum in der drittgrößten Volkswirtschaft des Euroraums führen könnte. Die Politik in Italien muss nun schnell und entschieden handeln, um eine neue Regierung zu installieren, die Unsicherheit zu beseitigen und den Reformkurs fortzusetzen." Ähnlich argumentiert der Chefvolkswirt der Rückversicherung Munich Re, Michael Menhart. "Mit dem Ergebnis verdüstern sich die Wachstums-Aussichten für Italien", ist er sich sicher. "Die Unsicherheit in den Finanzmärkten wird voraussichtlich steigen, vor allem aufgrund der wachsenden Furcht um die Stabilität des italienischen Bankensektors."

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