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Martin Winterkorn (Archivbild).

© AFP

Nach dem Rücktritt von VW-Chef Martin Winterkorn: Das Ende des Hofstaats bei Volkswagen

Martin Winterkorns Verdienste um VW sind unbestritten. Auf seinen Nachfolger - wahrscheinlich Porsche-Chef Matthias Müller - kommt Arbeit zu. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Henrik Mortsiefer

Martin Winterkorn hat sich und VW einen Gefallen getan und ist zurückgetreten. Die Frage, wie viel der Vorstandsvorsitzende des Autokonzerns von den Abgasmanipulationen in den USA wusste oder ob er sie sogar veranlasste, ist dabei fast nebensächlich. Der 68-Jährige trägt die Verantwortung für das Desaster, mittel- oder unmittelbar. Man könnte durchaus eine gewisse Tragik darin sehen, sollte Winterkorn von den eigenen Leuten getäuscht worden sein – denn seine Verdienste um den VW-Konzern sind ohne Zweifel groß.

Nach Lage der Dinge ist dies aber sehr unwahrscheinlich. Winterkorn wird mehr wissen, als er öffentlich einräumt – auch wenn er in seiner Rücktrittserklärung eigenes Fehlverhalten ausschließt. Entsprechende Manipulationsvorwürfe der amerikanischen Umweltbehörde gab es seit 2014, es wurden Autos zurückgerufen, Verhandlungen geführt. Wie sollte der VW-Chef von diesen Turbulenzen auf dem so wichtigen Automarkt nichts gewusst haben? Ein Markt, auf dem Volkswagen deutlich langsamer unterwegs ist als seine deutschen Wettbewerber.

Winterkorns Video-Aufritt am Dienstag hat bereits vor Augen geführt, wie angeschlagen er ist. Betrug ist Betrug. Am Ende hat der Chef nun dafür den Kopf hingehalten. Aussitzen lässt sich ein Skandal von dieser Dimension nicht. Auch Krisen-PR hilft nicht. Volkswagen hat nun die Chance zu einem Neuanfang, mit einer neuen Führung – nicht nur an der obersten Spitze.

Eitle Machtkämpfe

Die Notwendigkeit war schon vor Bekanntwerden der illegalen Tricks mit Dieselfahrzeugen unübersehbar. Als im Frühjahr der Streit zwischen Winterkorn und Ferdinand Piëch eskalierte, war bereits allen klar, dass die alten Männer an der VW-Spitze der Komplexität des Konzerns nicht mehr gewachsen sind. Stattdessen trugen sie eitle Machtkämpfe aus, die von der Familie Piëch/Porsche, dem Betriebsrat und dem Großaktionär Niedersachsen befördert und instrumentalisiert wurden.

Volkswagen ist ein Hofstaat. Weil sich dessen Autos in aller Welt so gut verkauften, konnte man lange glauben, die mittelständische Führungskultur Wolfsburger Prägung werde schon irgendwie die Globalisierung überleben. Doch nun stellt man am Mittellandkanal erschrocken fest, dass ein Betrugsskandal das gesamte Unternehmen mit seinen 600000 Beschäftigten in seine ärgste Krise stürzt. Und mit ihm die Reputation der deutschen Automobilindustrie, wenn nicht sogar das wertvolle Exportlabel „Made in Germany“ insgesamt.

Auf die Protagonisten der Post-Winterkorn-Ära, wahrscheinlich mit Porsche-Chef Matthias Müller an der Spitze, kommt Arbeit zu. Volkswagen hat nicht nur ein Corporate-Governance-Problem, sondern auch viele operative Baustellen. Weil sich der Konzern wie kein anderer von China abhängig gemacht hat, wird die Schwäche der dortigen Wirtschaft am sinkenden VW-Gewinn ablesbar sein. Den amerikanischen Markt kann Volkswagen bis auf Weiteres abschreiben. In Russland und Brasilien ist der Absatz eingebrochen. Es brennt im Hofstaat – an allen Ecken und Enden.

Dass sich Ferdinand Piëch darüber ins Fäustchen lacht, darf bezweifelt werden. Als Miteigentümer des Unternehmens muss er um dessen Überleben fürchten. Sein Rückzug war der Anfang des Kulturwandels. Winterkorns Rücktritt ist ein weiterer Schritt.

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