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Trügerisch grün. Die Stickoxid-Emissionen von Dieselfahrzeugen weichen in der Realität meist von den im Labor gemessenen Werten ab. Strengere Normen und Verfahren sollen dies ab 2017 ändern. An diesem Mittwoch entscheiden die EU-Mitgliedsstaaten.

© picture alliance / dpa

Nach dem Volkswagen-Skandal: EU-Kommission will schärfere Abgas-Grenzwerte

In der EU sollen künftig sehr viel strengere Grenzwerte für Autoabgase gelten. Die Industrie läuft Sturm. An diesem Mittwoch entscheiden die Mitgliedsstaaten.

Diesen Mittwoch haben sich die Lobbyisten der deutschen Autohersteller dick im Kalender angestrichen: In Brüssel tagt am Vormittag das „Technische Komitee Motorenfahrzeuge“ mit Fachleuten aus den Regierungen aller EU-Staaten, die eine drastische Verschärfung der Abgasgrenzwerte beschließen könnten. Nach dem VW-Skandal befindet sich die Branche in größter Aufregung.

Auf dem Tisch liegt ein Vorschlag der EU-Kommission, der Schluss machen will mit Grenzwerten, die in der Praxis nicht eingehalten werden. Es geht dabei nicht um Volkswagens Manipulationssoftware, sondern den Unterschied zwischen den Emissionen auf dem Prüfstand und der Straße – in diesem Fall beim Stickoxid (NOx)

Nach der Euro-6-Norm darf ein Dieselfahrzeug maximal 80 Milligramm NOx pro gefahrenem Kilometer ausstoßen. Aber: „Anhand unserer Daten“, sagt eine Kommissionsprecherin, „übersteigen aktuell produzierte Euro-6-Dieselfahrzeuge die Labortestwerte unter echten Fahrbedingungen um den Faktor 4.“

Ab 2017 strengere Normen?

Dieser sogenannte Konformitätsfaktor soll nun per Gesetz begrenzt werden – ab Ende 2017 auf das 1,6-Fache. Zwei weitere Jahre später soll der Wert dann auch unter realen Bedingungen – gemessen mit mobilen Geräten am Auto – bis auf eine Messtoleranz von 20 Prozent vollständig eingehalten werden. Nur dann würden Fahrzeuge in Zukunft eine Typengenehmigung erhalten. Dies sei „ehrgeizig“, sagt die EU-Kommission.

In der Automobilindustrie sind ganz andere Adjektive zu hören. „Unrealistisch“ und „nicht darstellbar“ sei der Vorschlag der Kommission, heißt es. Besonders verärgert ist die Autolobby darüber, dass wegen der aus ihrer Sicht viel zu kurzen Übergangsfrist von nur zwei Jahren bereits auf dem Markt befindliche Wagen unter die neue Regelung fallen würden – 60 Prozent der Diesel-Fahrzeuge könnten die geplanten Grenzwerte nicht erfüllen und müssten nachgerüstet werden. Zum Beispiel mit größeren Katalysatoren und Tanks für den Harnstoff, mit dem die gesundheitsgefährdenden Stickoxide in einem chemischen Verfahren unschädlich gemacht werden. Vertreter der Industrie äußern die Befürchtung, dass damit „die ganze Diesel-Wertschöpfungskette zusammenbrechen könnte.“ Diese Sorge treibt auch die Zulieferer um.

Industrie: Unterschiedliche Fahrweisen führen zu Abweichungen

Offiziell betont die Autoindustrie ihren guten Willen. Sie arbeite „seit Jahren an den entsprechenden Reformen intensiv und konstruktiv mit“, hieß es schon Ende September in einer Erklärung aller deutschen Hersteller, die sich auch zu den neuen Testverfahren direkt auf der Straße bekannte – nur soll es eben mehr Zeit für die Umstellung auf den Stickstoffoxid-Katalysator und weniger fixe Grenzwerte geben.

„Eine Abweichung von diesen so ermittelten EU-Normwerten auf der Straße ist schon aus physikalischen Gründen nicht zu vermeiden und rechtmäßig“, teilten Daimler, BMW, VW und Opel mit: „Zu diesen Abweichungen tragen vor allem unterschiedliche Fahrweisen sowie Verkehrs- und Witterungsbedingungen bei.“ Im Klartext: Die Hersteller können oder wollen nicht die Verantwortung dafür übernehmen, wenn es beim Gasgeben zu Stickstoffoxid-Ausschlägen jenseits des Erlaubten kommt.

Unterstützung für ihren Vorschlag bekam die EU-Kommission am Dienstag dagegen vom Europaparlament, das in einer Resolution die schnelle Berücksichtigung der „Real Driving Emissions“ forderte. „Kommissarin Elzbeta Bienkowska hat einen ausgewogenen Vorschlag vorgelegt“, sagte der CDU-Umweltpolitiker Peter Liese, „jetzt sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, diesem am Mittwoch zuzustimmen“. Angesichts der tödlichen Folgen der Luftverschmutzung bestehe „großer Handlungsbedarf“.

Die Grünen-Fraktionschefin Rebecca Harms forderte, dass die EU-Staaten bei ihrem Treffen der Autoindustrie „keine großzügige Ausnahmen oder Übergangsfristen einräumen“ dürften. Gerade der Bundesregierung komme nach den Vorkommnissen bei VW eine besondere Verantwortung zu: „Sie darf nicht weiter auf die Bremse treten.“

Offen ist, wie Deutschland abstimmen wird

Angeblich war am Dienstag noch nicht entschieden, wie der Berliner Regierungsvertreter in Brüssel abstimmen wird. „Das ist noch in der Ressortabstimmung“, sagte ein EU-Diplomat. Er berichtete zugleich von der Aussprache der europäischen Umweltminister am Montag: „Die Länder ohne Autoindustrie wollen den ehrgeizigen Vorschlag unterstützen, die Länder mit Autoindustrie wollen einen realistischeren, pragmatischeren und flexibleren Ansatz.“ Benötigt wird eine qualifizierte Mehrheit – das sind 55 Prozent der Staaten, die gleichzeitig mehr als 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren.

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