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Wohin weht der Wind? Der EU-Austritt der Briten wird sich auch auf Unternehmen in Deutschland auswirken – vielleicht nicht nur negativ.

© Caroline Seidel/dpaoto: dpa

Nach der Brexit-Entscheidung: Berliner Unternehmer und Angestellte sind verunsichert

Viele Firmen aus der Hauptstadt fürchten sich vor dem Brexit. Andere sehen darin sogar eine Chance.

Von Carla Neuhaus

Als Arthur Taylor vor sieben Jahren nach Berlin gezogen ist, war das einfach. Der Brite brauchte kein Visum, musste nicht erst nachweisen, dass er hier bereits einen Job hat. Schließlich war und ist er noch EU-Bürger. Ob der 33-Jährige auch nach Berlin gekommen wäre, wenn Großbritannien die EU damals bereits verlassen hätte? Ob er sich hier selbstständig gemacht, ein Unternehmen gegründet hätte? Taylor ist sich da nicht so sicher. Er stellt sich seit dem Ja seiner Landsleute zum Brexit überhaupt viele Fragen. Was wird zum Beispiel aus seiner Rente? Eingezahlt hat er bereits in beide Rentensysteme – in Großbritannien und in Deutschland. Solange das Vereinigte Königreich Teil der EU ist, ist das kein Problem. Aber was passiert nach dem Brexit? Bis er eine Antwort bekommt, wird es dauern.

Arbeitnehmer und Firmenchefs sind verunsichert

Wie Arthur Taylor sind derzeit sehr viele verunsichert: Arbeitnehmer und Unternehmer, Deutsche und Briten. Auch in Berlin fürchten Firmenchefs die Konsequenzen des Brexit. Für die Unternehmen aus der Hauptstadtregion sind die Briten schließlich der drittwichtigste Handelspartner in Europa. Jedes Jahr verkaufen sie Waren und Dienstleistungen im Wert von 550 Millionen Euro nach Großbritannien. Und diese Handelsbeziehungen sind zuletzt eher noch enger geworden. Allein im ersten Quartal sind die Exporte nach Großbritannien um 16 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen. Jetzt fürchten die Unternehmen vor allem die lange Unsicherheit: Bis sich Großbritannien mit der EU einigt, zu welchen Bedingungen britische und europäische Firmen künftig handeln können, werden zwei Jahre vergehen oder mehr. Eine solche „Hängepartie können wir nicht gebrauchen“, sagt Christian Amsinck, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB). Und sollte Großbritannien dann tatsächlich aus dem europäischen Binnenmarkt fliegen, hätte das auch für Berliner Unternehmen Folgen. „Neue Zölle und andere Handelsbarrieren würden die gewachsenen, länderübergreifenden Produktionsketten stören“, sagt Amsinck.

Zahlreiche Firmen in Berlin beschäftigen Briten

Dabei sind Zölle das eine Problem – Arbeitnehmerfreizügigkeit ist das andere. Schließlich beschäftigen auch Berliner Firmen Briten. Arthur Taylor zum Beispiel holt für sein Unternehmen gerne Entwickler aus Großbritannien nach Berlin. Die Firma, Advanced Telematic Systems, baut Software für das vernetzte Auto: also Technik, die dafür sorgt, dass Fahrzeuge mit dem Handy des Fahrers oder mit anderen Fahrzeugen Daten austauschen können. Es geht um eine Zukunftstechnologie, für deren Entwicklung Taylor Spezialisten braucht. Die zu finden, ist nicht leicht. In Großbritannien werden dagegen viele Softwareentwickler ausgebildet – weshalb schon jetzt fünf der 35 Mitarbeiter der Firma Briten sind. In Zukunft dürfte es aber wohl schwieriger werden, Nachwuchs von der Insel nach Berlin zu holen. Um einen britischen Entwickler einzustellen, müsste Taylor dann erst beweisen, dass es tatsächlich keinen EU-Bürger gibt, der den Job ebenso gut machen könnte.

Was wird aus der Arbeitnehmerfreizügigkeit für die Briten?

Die Frage, wie es mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Briten nach dem Brexit weitergeht, ist daher ein Thema. Auch Thomas Bernatzky beschäftigt das. Er leitet die Berliner Zweigniederlassung des schottischen Architekturbüros Hoskins Architects. Nach seinem Studium hat er lange selbst in Glasgow gearbeitet, bevor er das Büro in Berlin aufgemacht hat. Bei ihnen gehört es zur Tradition, mindestens einen Schotten im Team zu haben. Nicht weil die Schotten bessere Architekten wären, sondern einfach, weil das eine engere Bindung zum Partnerbüro in Glasgow schafft. Auch deutsche Kollegen schickt Bernatzky für Projekte gerne nach Schottland. Bislang war das recht unkompliziert. Doch ob das so bleibt nach dem Brexit? Mittlerweile, sagt Bernatzky, würde er sich fast wünschen, dass Schottland sich abspaltet und wieder der EU beitritt.

Bei Rolls-Royce in Dahlewitz vermitteln sie Gelassenheit

In Dahlewitz, südlich von Berlin, schaut man ebenfalls gespannt nach Großbritannien. Dort produzierte die britische Firma Rolls-Royce Triebwerke für Flugzeuge. Noch versucht man im Werk, Gelassenheit zu vermitteln. Weil das Unternehmen weltweit agiere, gebe es kurzfristig „keine unmittelbaren Auswirkungen auf unser Tagesgeschäft“, sagt ein Sprecher. Längerfristig sieht das aber anders aus: „Die mittel- und langfristige Wirkung hängt von den Beziehungen ab, die zwischen dem Vereinigten Königreich, der EU und dem Rest der Welt in den kommenden Jahren festgelegt werden.“ An solche Fragezeichen müssen sich die Firmen gewöhnen.

Manche sehen im Brexit eine Chance für die Region

Dagegen gibt es auch Vertreter in Berlin, die sehen im Brexit eine Chance für die Region. Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) zum Beispiel meint, internationale Konzerne könnten hier nun verstärkt Niederlassungen aufmachen. „London war bislang ein wichtiger Standort für die Europazentralen multinationaler Unternehmen“, sagt sie. Doch wollten die Konzerne weiter in Europa verankert sein, dürften sie künftig eher nach Berlin kommen. Ähnlich argumentiert man in der Gründerszene: Manche hoffen, Berlin würde nun im Standortwettbewerb mit London gewinnen. „Wir rechnen sowohl mit der deutlichen Verringerung der Neuansiedlung von Start-ups in London zugunsten von Berlin als auch mit dem Zuzug erfolgreicher Londoner Start-ups“, sagt Christoph Gerlinger vom Berliner Investor German Startups Group. Besonders zutreffen dürfte das auf Fintechs: Start-ups aus der Finanzbranche. „Berlin ist damit auf einem guten Weg, die Nummer eins Europas für Fintechs zu werden“, sagt Ramin Niroumand von der Berliner Fintech-Schmiede Finleap.

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