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Die Strahlung nahe des havarierten Akw ist mit fünf Mikrosievert in der Stunde noch immer hoch. In Deutschland liegt die durchschnittliche Dosis pro Person bei 2,4 Mikrosievert - im Jahr.

© dpa

Nach der Katastrophe: Fukushima versucht den Blick nach vorn

Viereinhalb Jahre nach Erdbeben, Tsunami und Reaktorkatastrophe strebt Fukushima zurück zur Normalität. Leicht wird das nicht.

Gouverneur Masao Uchibori gibt sich als Optimist. „Diese schädlichen Gerüchte“, betont der auf- und abmarschierende Mann auf dem Podium, „müssen dringend aufhören.“ Es gehe ja nicht um irgendetwas, sondern um Gegenwart und Zukunft einer ganzen Region. „Ich kann Ihnen garantieren, unsere Produkte sind sicher.“ Und auch die Wirtschaft in der Region Fukushima bewegt sich, braucht aber mehr als einen kämpferischen Regenten. Die Sommerpause ist für Masao Uchibori die Chance des Jahres. Jenseits des Tagesgeschäfts kann der Gouverneur der Präfektur Fukushima für das Image seiner beruflichen Heimat kämpfen.

In einem Universitätshörsaal im Zentrum der japanischen Hauptstadt Tokio stellt er sich ziemlich untypisch vor. „Heute bin ich als Verkäufer hier.“ Das Produkt, von dem er überzeugen will, ist die flächenmäßig drittgrößte Präfektur Japans. Einen realistischen Preis für die Erzeugnisse, den Boden, die Arbeitskräfte zu erreichen, hat der Gouverneur zu seiner größten Aufgabe gemacht.

Experten halten die Pläne für ambitioniert

Seit am 11. März 2011 zuerst die Erde bebte, dann mehr als 20 Meter hohe Wellen die Küste verwüsteten und wenige Tage später noch drei Kernreaktoren havarierten, ist aus Japans Nordosten vor allem eine Gegend weltbekannt: Fukushima, der Ort der Kernschmelze. Viereinhalb Jahre später will Uchibori endlich den Blick nach vorne richten. Ist das Schlimmste überstanden? Fukushima sei aus den falschen Gründen berühmt geworden, sagt der Politiker. „Seit Jahren gewinnen unsere Hersteller Preise für den besten Sake Japans.“ Und in Befragungen gäben weiterhin die meisten Japaner an, Fukushima sei ein ausgezeichnetes Ziel für den Lebensabend: bewaldet, im Frühling ein Meer aus Kirschblüten, friedlich. „Wussten Sie übrigens, dass wir gerade Japans Pionier für erneuerbare Energien werden?“ Der größte Offshore-Windpark schwimmt vor der Küste, Anlagen für Solarkraft wurden installiert. „Bald wird Fukushima viel mehr positive Eindrücke hervorrufen.“

Für Alistair Munro klingt das „ambitioniert“. Der Brite ist Ökonom am renommierten National Graduate Institute for Policy Studies, wo Uchiboris Vortrag stattfindet. Er analysiert das Verhalten privater Haushalte und die Grundstückspreise in den zerstörten Gebieten. „Die Bestrebungen der Regierung machen einen aufrichtigen Eindruck“, findet Munro. Aber die Situation sei schwierig. Knapp 800 evakuierte Personen hat Munro zuletzt zu ihren Rückkehrabsichten befragt. Junge Menschen und junge Familien sehen ihren Lebensmittelpunkt eher anderswo, Ältere wollen ihre verlassenen Häuser wieder beziehen. Insgesamt plant ein Drittel die Rückkehr.

Rückkehr oder den Rücken kehren?

Katsumasa Ookawa ist bei diesem Thema hin- und hergerissen. Aus seiner Heimatstadt Iwaki mussten viele Menschen fliehen, wegen des Tsunami und radioaktiver Strahlung. Die Branche des Fischhändlers ist besonders betroffen. „Ich wollte nie weg von hier, aber wir haben vier kleine Kinder. Meine Frau und die Kinder sind deshalb nach Yokohama umgesiedelt.“ Mittelfristig ist eine Rückkehr unwahrscheinlich. „Die Kinder haben jetzt Freunde in Yokohama. Wir wissen auch nicht, wann das Leben in Iwaki für Kinder wieder ungefährlich ist.“

Die Umsätze von Ookawas Laden in Iwaki liegen noch deutlich unter dem Niveau vor der Krise. Mehr als 28 000 Boote gingen 2011 verloren, 319 Häfen wurden zerstört. Der materielle Schaden der sieben maßgeblich betroffenen Präfekturen wird auf 1,35 Billionen Yen (gut 9,2 Milliarden Euro) geschätzt. Exporte sind eingebrochen, in kleineren Orten gingen 85 Prozent der Arbeitsplätze verloren. „Heute verkaufen wir wieder. Aber die Preise für unseren Fisch liegen unterhalb von denen aus anderen Präfekturen“, berichtet Ookawa.

Es gibt Hoffnung - ein wenig

Das weiß auch Uchibori. „Wir haben vor einiger Zeit unsere radioaktiven Grenzwerte deutlich verschärft.“ Und eine Technologie entwickelt, jedes Produkt, ob Reis oder Fisch, auf seinen Strahlungswert zu prüfen. Blieben die Preise dennoch unter Durchschnitt, könne dies nur psychologisch begründet werden. Vertrauensprobleme beobachtet Alistair Munro auch auf dem Immobilienmarkt. „In den evakuierten Gebieten finden schon lange keine Transaktionen mehr statt.“ Nur am Rand der Zonen steigt die Nachfrage, wo die Regierung massiv in Infrastruktur investiert und die Angst vor Strahlung geringer ist.

Uchibori verzeichnet aber auch Erfolge. Der Tourismus ziehe an. „Mit Hochdruck arbeiten wir auch an der Dekontaminierung aller Gebiete. Unsere Produkte vermarkten wir deshalb schon wieder in ganz Japan und weltweit, und wir setzen Anreize zu Unternehmensgründungen.“ Im August soll die Evakuierungsanordnung der 7000-Einwohner-Stadt Naraha aufgehoben werden. Zehn Prozent haben sich für die Rücksiedlung gemeldet. Der Rest will nicht.

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