zum Hauptinhalt

Wirtschaft: "Nachher bleibt nichts mehr übrig"

Kai Konrad (37) ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin.Der Ökonom hat einen Lehrstuhl am Institut für öffentliche Finanzen und Sozialpolitik.

Kai Konrad (37) ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin.Der Ökonom hat einen Lehrstuhl am Institut für öffentliche Finanzen und Sozialpolitik.Mit ihm sprach Jobst-Hinrich Wiskow.

TAGESSPIEGEL: Die Aufregung um die Steuerreform-Pläne der Bundesregierung von Sozialdemokraten und Bündnisgrünen hat sich langsam gelegt.Jetzt tut die Regierung das, was man gemeinhin als nachbessern bezeichnet.Wird es dadurch besser?

KONRAD: Ich fürchte nicht.Schon am Anfang stand kein großer Entwurf.Das, was an Reformen möglich gewesen wäre, wird immer weiter verwässert.Nachher bleibt gar keine Neuerung mehr übrig.

TAGESSPIEGEL: Was hat die rot-grüne Regierung denn in der kurzen Zeit alles falsch gemacht?

KONRAD: Sie war einfach zu schnell, ihr Vorschlag unausgegoren.Da haben die Lobbyisten ihre Chance ergriffen und gegengehalten.Der Regierung bleibt nichts anderes übrig, als von der Anfangsidee immer weiter abzurücken.Eine wirkliche Reform wird es so niemals geben.Das Stückwerk, das schließlich herauskommt, ist beschämend.

TAGESSPIEGEL: Wird Steuerzahlen denn wenigstens einfacher?

KONRAD: Das wäre zu schön.Aber die Pläne der rot-grünen Bundesregierung taugen nicht als Reform.Sie sind viel zu kompliziert.Das Steuersystem müßte durchschaubar werden.Es ist doch unfaßbar, daß selbst ein Steuertheoretiker wie ich nicht in der Lage ist, eigenständig seine Steuererklärung zu machen.

TAGESSPIEGEL: Was müßte der Gesetzgeber tun?

KONRAD: Radikal vereinfachen.Vorbilder gibt es schon, zum Beispiel Norwegen.Da wurden die Freibeträge so heraufgesetzt, daß viele Steuerzahler nicht mehr die vielen Zettelchen sammeln müssen wie hierzulande, mit denen sie Ausgaben belegen.Das wurde so einfach, daß ich in Norwegen meine Steuererklärung ganz alleine ausgefüllt habe.Seit diesem Jahr muß dort niemand mehr eine Steuererklärung abgeben.Stattdessen verschickt das Finanzamt von sich aus einen Bescheid: Nur wer widerspricht, muß Angaben machen.

TAGESSPIEGEL: Wieso klappt es in Deutschland nicht, Norwegen als gutes Vorbild zu nehmen?

KONRAD: Die Norweger haben eine gläserne Gesellschaft, in der das Finanzamt zugegebenermaßen über viel mehr Informationen verfügt als in Deutschland.Aber selbst, wenn man diese Offenheit nicht will: Vereinfachen, etwa über höhere Freibeträge und die Abschaffung von Ausnahmeregelungen, könnte man hierzulande auf jeden Fall.

TAGESSPIEGEL: Doch unser Steuersystem wird immer komplexer.

KONRAD: Richtig.Stichwort Ehegatten-Splitting: Die neue Regel ist so kompliziert, daß ich inzwischen keine Mühe mehr hätte, eine komplette 90-Minuten-Vorlesung ausschließlich diesem Thema zu widmen.Das kann doch nicht wahr sein.

TAGESSPIEGEL: Steuererklärungen sind nicht nur mühsam, sondern kosten auch viel Geld.

KONRAD: Sehr viel Geld sogar.Im Durchschnitt braucht ein Steuerzahler bestimmt zwei Arbeitstage, ehe er mit seiner Erklärung fertig ist.Überdies sammelt er das ganze Jahr über Quittungen und andere Belege.Dazu kommt der Prüfungsaufwand der Behörden.Das kann nicht effizient sein.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false