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Wirtschaft: Nervöse Bonzen

Nach Juschtschenkos Wahlsieg in der Ukraine fürchten einige Industriebosse um ihr Vermögen

Von Alan Cullison Viktor Pinchuk räumt ein, dass er der Typ Geschäftsmann sei, den Anhänger des siegreichen ukrainischen Präsidentschaftskandidaten Juschtschenko gerne um sein Vermögen erleichtern würden. Aber der 43jährige Milliardär, der enge familiäre und finanzielle Bindungen zum scheidenden Präsidenten Leonid Kutschma hat, hofft, dass sich kühlere Köpfe durchsetzen werden.

Wie die Ukraine nach der Wahl mit den politisch einflussreichen Industriemagnaten umgeht, ist derzeit die Schlüsselfrage. An ihr wird sich zeigen, ob der gewählte Präsident Viktor Juschtschenko den Spagat meistern kann zwischen dem versprochenen Umbruch und der Notwendigkeit, Frieden mit den Millionen Anhängern seines Kontrahenten zu schließen. Auf dem Spiel steht die am schnellsten wachsende Wirtschaft Europas, ein Land von der Größe Frankreichs an der Ostgrenze der Europäischen Union.

„Wenn sie versuchen, etwas zu verstaatlichen, dann verlieren nicht nur die Unternehmen, sondern das ganze Land“, warnt Pinchuk. Er sitzt auf einem ausladenden Sofa in seinem holzvertäfelten Büro, das mit impressionistischen Bildern geschmückt ist. „Wir müssen nach vorne schauen, nicht zurück“, sagt er.

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist die Ukraine unter den Einfluss einer Handvoll industrieller Clans geraten, von denen Kritiker sagen, sie hätten den Staat beraubt. Sie hätten unberechtigte Subventionen gefordert – und erhalten. Juschtschenko hat versprochen, ihren Einfluss zu beschneiden. Der russische Präsident Wladimir Putin kam mit ähnlichen Versprechungen an die Macht. Und tatsächlich jagte er einige Industriemagnaten aus dem Land und warf andere ins Gefängnis – was das Vertrauen der Wirtschaft allerdings schwer erschüttert hat. Diese Erfahrung schürte unter Juschtschenkos Gegnern die Angst, dass sich seine Wirtschaftspolitik als eine Hexenjagd auf unkooperative Oligarchen entpuppen könnte.

Juschtschenko hat versucht, solche Ängste zu zerstreuen. Er habe kein Interesse an einer grundlegenden Umverteilung von Eigentum, sagte er. „Ich mag das Wort ‚Verstaatlichung’ nicht“, erklärte er in einem Interview. „Es wird keine politische Verfolgung von Geschäftsleuten geben.“

Seine Vertraute Julia Timoschenko verspricht ebenfalls Vorsicht. „Wir müssen lediglich die Macht vom Kapital trennen und das Kapital von der Macht, weil sie in den letzten Jahren in unserem Land siamesische Zwillinge waren“, sagt sie. „Jeder denkt, diese Operation sei nicht möglich. Aber mit einer guten Narkose wird sie gelingen.“

Dennoch sagt Juschtschenko, dass einige Privatisierungen, die unter der Regierung Kutschma durchgeführt wurden, untersucht werden müssten – auch der Verkauf des größten Stahlwerks der Ukraine, Kryvorizhstal. Gekauft wurde das Werk von Viktor Pinchuk, der mit Kutschmas Tochter verheiratet ist, und dem Stahlmagnaten Rinat Akhmetov. Beide haben bei der Präsidentschaftswahl Juschtschenkos Gegner Janukowitsch unterstützt. Einige der größten Stahlkonzerne der Welt sagen, sie hätten für Kryvorizhstal mehr bezahlt, wenn sie hätten bieten dürfen. Doch Pinchuk zufolge ist diese Kritik „überwiegend politisch“. Die Privatisierung sei „absolut legal“ gewesen.

Beobachter gehen davon aus, dass Pinchuk, dessen Imperium mittlerweile auch Banken, Versicherungen und Medien umfasst, noch weitere Probleme haben wird. Während des Wahlkampfs hatte einer seiner Fernsehsender Zweifel an Juschtschenkos Behauptung geäußert, er sei vergiftet worden. Es wurde angedeutet, Juschtschenko verdecke einige gesundheitliche Probleme und übertreibe andere. Ärzte fanden schließlich heraus, dass Juschtschenko mit Dioxin vergiftet worden war.

Heute sagt Pinchuk, er rede nicht gern über den Wahlkampf. Der Bericht seines Fernsehsenders sei aus heutiger Sicht falsch, aber damals habe es ernste Zweifel an der Darstellung Juschtschenkos gegeben. Pinchuk sagt auch, dass er einige Änderungen in der Wirtschaft erwarte. Dennoch sei er zuversichtlich, dass sein Imperium überleben werde. „Ich denke, dass die Ereignisse der Ukraine eine einzigartige Chance geben“, sagt er. „Ich bin glücklich, dass alles so ausgegangen ist, friedlich und demokratisch. Ich werde Juschtschenko unterstützen, wenn er sich an die Gesetze hält.“

Texte übersetzt und gekürzt von Karen Wientgen (Ricky Martin), Svenja Weidenfeld (Ukraine), Matthias Petermann (WTO), Tina Specht (Kuba) und Christian Frobenius (Sudan).

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