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Eingeschränkte Nutzung. Kleinere Produzenten sollen in der geplanten Novelle einen Sonderstatus erhalten. Naturschützern ist das zu wenig.

© dpa

Neue EU-Verordnung: Naturschützer fürchten Einheits-Saatgut der Großkonzerne

Die neue EU-Saatgutverordnung gefährdet die Artenvielfalt, sagen Kritiker. Zugeständnisse der Brüsseler Kommission reichen ihnen nicht.

Der Proteststurm im Netz ist noch einmal richtig angeschwollen. Allein in den letzten 24 Stunden vor der Präsentation einer geplanten EU-Saatgutverordnung unterzeichneten 90 000 Bürger die Online-Petition des Kampagnen-Netzwerks Campact und der Initiative Save Our Seeds. Und das starke Interesse vor der Verabschiedung des Brüsseler Gesetzesvorschlags hat sich zumindest teilweise gelohnt. „Die EU-Kommission hat sich in letzter Minute noch bewegt“, sagt Andreas Riekeberg von der Kampagne Saatgut-Souveränität, „aber unsere grundsätzliche Kritik bleibt weiter bestehen.“

Bereits seit 2008 arbeitet Brüssel an einer Revision der bestehenden Richtlinien, die die Registrierung und Vermarktung bestimmter Pflanzensorten regeln. Das aus den 60ern stammende Regelwerk entstand vor dem Hintergrund der Nachkriegserfahrungen und des Wunsches, die Nahrungsmittelproduktion dauerhaft zu sichern. Landwirte, schreibt das Bundesagrarministerium, „brauchen qualitativ hochwertiges Saatgut von leistungsfähigen Pflanzensorten für einen erfolgreichen Anbau“.

Die Registrierung garantiert so etwa die Keimfähigkeit oder Schädlingsfreiheit des Saatguts. „Man sieht Saatgut seine Ertragsfähigkeit, Krankheitsresistenz und Qualität nicht an“, teilt der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter mit, der den Brüsseler Vorschlag gutheißt. „Deshalb müssen die Sorten und das Saatgut vor dem Verkauf getestet werden.“ Ganz banal wird auf diese Weise auch der richtige Verwendungszweck sichergestellt. Denn auf den ersten Blick ist auch nicht sofort erkennbar, ob eine Weizensorte zum Backen oder doch nur als Futtermittel für Tiere taugt.

Ein Anliegen, das die EU-Kommission nach eigenen Angaben mit der Neuregelung verfolgt, ist die Entbürokratisierung des Prozesses. Aus 70 einzelnen Richtlinien, die an der Lebensmittelkette ansetzen, sollen fünf werden. Allein auf das Saatgut bezogen sollen EU-Kommissar Tonio Borg zufolge von derzeit einem Dutzend Rechtsakte nur noch zwei übrig bleiben. Neu ist vor allem, dass es zusätzlich zu den nationalen Registrierungsprozeduren eine europäische für den EU-Binnenmarkt aller 27 Mitgliedstaaten geben soll.

Nur „vorgeschoben“ nennt dagegen der Europaabgeordnete Martin Häusling das Argument vom Bürokratieabbau. „Hinter dem Vorgehen der Kommission ist ein massiver Druck zu erkennen, den großen Agrar- und Saatgutkonzernen den Weg zu ebnen“, urteilt der Grünen-Politiker, der selbst als Biobauer einen Hof betreibt. „Mit der Vereinheitlichung des Rechts, das die gegenseitige Anerkennung des nationalen Rechts ablösen soll, werden teure europaweite Zulassungsverfahren nötig.“ Und die könnten sich eben gerade kleinere und mittlere Betriebe nicht leisten. Gefährdet seien möglicherweise auch lokale und regionale Saatgutinitiativen, „die heute zum Garanten der Sortenvielfalt geworden sind“.

Die Bedenken fallen bei Nichtregierungsorganisationen auf fruchtbaren Boden: Der Deutsche Naturschutzring etwa sieht angesichts der „Verwendung von Einheits-Saatgut“ schon das „Ende der Artenvielfalt“ nahen. „Teure, komplizierte Zulassungsverfahren begünstigen die Hybridsorten der Saatgut-Industrie wie Syngenta, Monsanto oder BASF“, kritisiert Benny Härlin von Save Our Seeds.

Borg reagierte auf die Kritik: Waren zuerst keinerlei Ausnahmen von der Registrierungspflicht und den damit verbundenen Kosten vorgesehen, ist in einem der letzten Textentwürfe ein Schwellenwert enthalten, unterhalb dessen kleine Erzeuger ihr Saatgut nicht melden müssen. Wer zehn oder weniger Angestellte beschäftige oder nicht mehr als zwei Millionen Euro Umsatz mache, soll von der Regelung ausgenommen sein. Dadurch fallen viele kleinere Saatgutproduzenten aus dem Geltungsbereich der Richtlinie. „Die Kommission hat bereits wichtige Positionen aus Deutschland in ihrem Vorschlag berücksichtigt“, lobt die deutsche Agrarministerin Ilse Aigner (CSU).

Das Entgegenkommen reicht vielen Kritikern aber nicht. Der Grünen-Politiker Häusling beispielsweise sagt, es gebe viele Mittelständler mit mehr als zwei Millionen Euro Jahresumsatz, die bewusst nur für einen regionalen Markt produzierten. Die Details werden im nun beginnenden Gesetzgebungsverfahren in Ministerrat und EU-Parlament diskutiert. „Wir werden den Kommissionsvorschlag in den nächsten Wochen auf Herz und Nieren prüfen“, kündigte der CSU-Europaabgeordnete Albert Deß an, „damit die Sortenvielfalt in Europa gewahrt bleibt.“

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