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Wirtschaft: Neue Regeln für 100000 Chemikalien

EU-Kommission legt Konzept zur Zulassung und Kontrolle vor/Deutsche Regierung dagegen

Brüssel (tog). Nach mehr als zwei Jahren heftigster Auseinandersetzungen – vor allem mit der Berliner Regierung – hat die EUKommission am Dienstag die Endphase der Debatte über ihre Chemikalienpolitik eingeleitet. Die EU-Kommissare haben dem Konzept der Umweltkommissarin Margot Wallström zur Registrierung, Bewertung und Zulassung von Chemikalien zugestimmt. In den nächsten acht Wochen wird die Brüsseler Behörde die Reaktionen auf den Entwurf sammeln, der jetzt im Internet abrufbar ist ( http://europa.eu.int/comm/environment/chemicals/whitepaper.htm ). Vermutlich im Herbst wird Brüssel dann den Regierungen den endgültigen Vorschlag unterbreiten.

Ungeachtet der massiven Versuche der Chemieindustrie, die Brüsseler Pläne zu verhindern, hält die EU-Umweltkommissarin an ihrem Konzept fest. Sie will Europas Verbraucher künftig besser vor den Risiken schützen, die von chemischen Substanzen ausgehen können. Gleichzeitig wolle man, so erklärte der für die EU-Industriepolitik zuständige EU-Kommissar Erkki Liikanen am Dienstag, „die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die europäische Industrie bei der Qualität und der Sicherheit der Produktion von chemischen Stoffen eine Spitzenposition einnehmen kann“. Die neuen Regeln könnten eine ,,Triebfeder für Innovation" in der Chemieindustrie sein.

Europas Verbraucher haben es auf einem wachsenden Markt mit mehr als 100000 Chemikalien zu tun, die in Lebensmittel gemischt, in die Natur ausgebracht, in der Industrie oder in Labors verwendet werden. Doch nur rund fünf Prozent dieser Chemikalien wurden bisher getestet und für unbedenklich befunden. Für Chemikalien, die neu entwickelt und in der EU in den Verkehr gebracht werden, hat die EU zwar schon 1981 ein europaweit gültiges Verfahren vorgeschrieben, nach dem die Substanzen des neuen Produkts offengelegt und eventuell getestet werden müssen. Ist eine Chemikalie aber schon 1981 im Verkehr gewesen, hat niemand sie getestet oder auch nur registriert. Krebs erregende Stoffe wie Asbest oder umweltzerstörende Produkte wie DDT werden erst dann verboten, wenn Hunderte von Menschen schon erkrankt sind oder die Umweltschäden nicht mehr zu leugnen sind. Bei rund 95000 Chemikalien ist derzeit die genaue Zusammensetzung nicht bekannt und die Wirkung auf Mensch und Natur nie geprüft worden.

EU-Umweltkommissarin Margot Wallström will mit ihrem Vorschlag nun durchsetzen, dass nach und nach auch diese chemischen Altlasten auf ihre Risiken untersucht werden. Dabei soll die Regel gelten: Je gefährlicher eine Chemikalie und je mehr von ihr in der EU produziert wird, desto schärfer sollen die Behörden die Folgen für Mensch und Umwelt untersuchen. Zunächst einmal sollen die Chemikalien dem europaweiten Prüfverfahren REACH unterzogen werden, die am meisten verbreitet sind; das betrifft rund 30000 Substanzen. Die Hersteller dieser Substanzen müssen den Behörden alle verfügbaren Informationen über ihr Produkt liefern. Chemikalien, die in Mengen von mehr als 100 Tonnen verbreitet sind – das sind rund 5000 unterschiedliche Produkte – müssen eingehender untersucht und getestet werden. Noch schärfer sollen jene Chemikalien auf den Prüfstand, bei denen der Verdacht nahe liegt, dass sie Krebs verursachend sind. Diese Risikoprodukte sollen künftig, so schlägt Wallström vor, einem regelrechten Zulassungsverfahren unterworfen werden. Dabei soll das Vorsorgeprinzip gelten – im Zweifel für die Sicherheit des Verbrauchers. Die Beweislast müsse zudem künftig umgekehrt werden: Die Unbedenklichkeit muss bewiesen werden.

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