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Führungen beim neuen Geschäftszweig Airbnb Entdeckungen.

© IMAGO/Michael Gstettenbauer

Neuer Geschäftszweig "Airbnb Entdeckungen": Bei Airbnb werden jetzt auch Unternehmungen angeboten

Das wahre Berlin: Beim Portal Airbnb können Gastgeber neuerdings auch Erlebnisse verkaufen. Für viele Selbstständige ist das eine Chance – für gestandene Seightseeing-Anbieter eine Bedrohung.

Florian Möllendorf dreht sich nach der Gruppe in den drei Kanus hinter ihm um. „An alle Paare: Versäumt nicht, euch zu küssen, wenn wir unter der Statue sind. Dann bleibt ihr für immer zusammen“, ruft er ihnen zu.

Die 15 Touristen paddeln die Spree hinab, durch die Beine der markanten Friedrichshainer „Molecule Men“, recken ihre Hälse, um die Köpfe der Skulpturen sehen zu können. Zwei Teilnehmer beugen sich in ihrem Bot nach vorn, um sich zu küssen.

Möllendorf ist hier in der Nähe aufgewachsen, in Kreuzberg. Jetzt macht er diese Tour zweimal pro Woche. Es ist sein Weg, Berlinbesuchern seine Heimat näherzubringen. Während der ganzen Strecke erzählt er Anekdoten aus seiner Kindheit, gibt Einblicke in die Geschichte des Viertels.

2500 maßgeschneiderte Exkursionen

Möllendorf, Mitinhaber des Unternehmens „Canoa Berlin“, bietet seine Kreuzberg-Kanutour über „Airbnb Entdeckungen“ an: eine neue Sparte des US-amerikanischen Ferienwohnungsportals, die in Berlin in diesem Sommer gestartet ist. Sie führt Touren, Kurse und – nun ja, eben Entdeckungen auf, die Reisende zusätzlich zu ihren Unterkünften buchen können.

In Berlin bieten aktuell 30 Gastgeber maßgeschneiderte Exkursionen an. Alle versprechen, anders zu sein als gängige Touristenführungen, und sind eng verknüpft mit den Erfahrungen und Persönlichkeiten der Einheimischen. Manche widmen sich dem Essen oder der Berliner Weissen. Während eines Spaziergangs durch den Grunewald können Teilnehmer lernen, wie man geschickt mit Hunden kommuniziert.

„Im Kern suchen wir Menschen, die Freude daran haben, ihr Wissen zu teilen und anderen auf besondere Weise Erinnerungen zu verschaffen“, sagt Nicola D'Elia, der bei Airbnb für Europa, den Nahen Osten und Afrika verantwortlich ist. „Airbnb Entdeckungen“, andernorts „Airbnb Experiences“, ist bereits seit November online und umfasst inzwischen 35 Städte. Insgesamt listet die Plattform 2500 Unternehmungen auf. „Die Unterkunft ist immer nur ein Aspekt eines Urlaubs“, sagt D'Elia. Indem Airbnb Erlebnisse vermittele, verändere es die Art des Reisens weiter. Das Unternehmen mit Sitz in San Francisco will das Angebot in Berlin noch in diesem Jahr deutlich ausweiten.

Airbnb bezieht Provision

In den vergangenen Jahren ist Airbnb stark gewachsen. Inzwischen finden sich auf der Seite mehr als drei Millionen Einträge aus über 65 000 Städten. Seit der Gründung im Jahr 2008 sind mehr als 200 Millionen Airbnb-Mitglieder bei anderen zu Gast gewesen.

Interessierte unterstützt das Unternehmen mit Workshops dabei, Angebote zu entwickeln und auf der Internetseite zu präsentieren. Auch Werbung, Buchung und Bezahlung laufen über die Plattform – genau wie bei der Vermietung von Unterkünften. Dafür beansprucht Airbnb 20 Prozent Provision.

Klara Yoon arbeitet seit sieben Jahren als freie Fotografin. Regelmäßig gibt sie Seminare für aufstrebende Fotografen. Ihre Spezialität sind Straßenszenen: die alltäglichen Momente in der Stadt. Ihre Workshops laufen gut, aber allein über Soziale Medien wie Facebook und Instagram Bekanntheit zu erlangen, sei schwierig, sagt sie.

Nach einem eher langsamen Anlauf bei Airbnb hat Yoon inzwischen sieben Gruppen durch Kreuzberg und Neukölln geführt und die Stadtteile unter fotografischen Gesichtspunkten beleuchtet. In den zurückliegenden Wochen sind die Nachfragen deutlich gestiegen. Vielleicht auch, weil sie den Preis gesenkt hat – auf Empfehlung von Airbnb.

Florian Möllendorf paddelt mit Touristengruppen durch die Stadtteile Kreuzberg und Neukölln.
Florian Möllendorf paddelt mit Touristengruppen durch die Stadtteile Kreuzberg und Neukölln.

© Lars-Kjeld Riedel / promo

Möllendorfs Airbnb-Tour ist inzwischen die meistgefragte in seinem Kanu-Unternehmen. Diese Erfolge nutzt er auch, um auf andere Programme seines Portfolios aufmerksam zu machen.

Anderen zeigen, was dein Leben ausmacht

Der beste Nebeneffekt, sagt er, sei, dass er Menschen aus aller Welt kennenlerne – und von ihnen seinerseits Anregungen für Reisen bekomme. „Während der Touren wird viel geschnattert.“ Nicht jedem geht es darum, sein Einkommen aufzubessern oder das eigene Unternehmen bekannter zu machen. Für Start-up-Berater Alex Steffen ist es eine Chance, Menschen mit ähnlichen Interessen zu treffen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Steffen leitet eine Tour durch Berlins Start-up-Szene, bei der er Gäste auf einen Spaziergang durch die Coworking-Spaces „Factory“ und „WeWork“ mitnimmt und mit Gründern spricht. „Das mache ich ohnehin ständig“, sagt er. „Genau das ist die Idee: anderen zu zeigen, was dein Leben ausmacht.“

Langfristig könnte Airbnbs Einstieg ins Erlebnisgeschäft eine Bedrohung für gestandene Stadtführer und Seightseeing-Anbieter sein. Und für Unternehmen wie Jochen Schweizer, das sein Geld mit Erlebnisgutscheinen für Abenteuer von Klettern bis Gleitschirmfliegen oder auch romantische Abendessen verdient. Dort heißt es: Man betrachte Airbnb als Wettbewerber, habe aber bislang keine Auswirkungen auf das eigene Geschäft feststellen können. „Wir sind sehr zufrieden mit unseren aktuellen Geschäftszahlen und unserem Wachstum“, betont Schweizer auf Nachfrage. Konkurrenz belebe schließlich das Geschäft. Das ist bereits ausgesprochen lebendig: In der Nähe von München hat das Unternehmen in diesem Jahr eine Arena mit Windtunnel eröffnet, in der unter anderem gesurft werden kann.

Ein lukrativer Markt

Beim Berliner Start-up „GetYourGuide“, das schon knapp 80 Millionen Euro bei Investoren eingesammelt hat, glaubt man, dass Airbnb nur auf den ersten Blick die gleiche Zielgruppe anspreche. Während Airbnb offensichtlich auf Begegnungen mit ganz normalen Menschen setze, konzentriere sich GetYourGuide auf professionell geführte Stadtrundgänge, erklärt Geschäftsführer Johannes Reck. Der Markt dürfte genug Raum für alle lassen: Reck zufolge werden pro Jahr weltweit 135 Milliarden Dollar, gut 113 Milliarden Euro, für Aktivitäten und Ausflüge am Urlaubsort ausgegeben. Noch wird weniger als ein Fünftel davon online gebucht.

Aus dem Englischen übersetzt von Maris Hubschmid.

Rachel Lerman

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