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Wirtschaft: Neuer Markt: Anleger entdecken Logistik-Aktien

Vor nicht allzu langer Zeit noch hätten Anleger Logistik-Aktien als Schlaftabletten im Depot rundweg verschmäht. Doch mehrere Börsengänge im High-Tech-Dunstkreis am Neuen Markt haben die Branche wachgeküsst.

Vor nicht allzu langer Zeit noch hätten Anleger Logistik-Aktien als Schlaftabletten im Depot rundweg verschmäht. Doch mehrere Börsengänge im High-Tech-Dunstkreis am Neuen Markt haben die Branche wachgeküsst. Kein Wunder, gehört sie doch zu den Hauptprofiteuren von Globalisierung und Internet-Boom. Sie gilt als Nahtstelle zwischen Old und New Economy, ist durchweg in den schwarzen Zahlen und profitiert vom Zwang in Industrie und Handel zur Kostenreduzierung. Allein in Europa umfasst der Markt für Logistik ein Volumen von fast einer Billion Mark, mit jährlichen Steigerungsraten von etwa 20 Prozent.

An diesem Freitag geht ein weiteres Logistik-Unternehmen an den Neuen Markt, die 1976 gegründete IVU Traffic Technologies. Am Donnerstag wurde der Platzierungspreis von 10,50 Euro pro Aktie für die überzeichneten Papiere bekannt gegeben. Das Berliner Unternehmen beschränkt sich auf neue Software für komplexe logistische Prozesse und ist damit kein reinrassiger Komplett-Logistiker, doch schätzt die konsortialführende DG Bank das potenzielle Marktvolumen der IVU-Produkte auf etwa 3,5 Mrd. Euro. IVU entwickelt vor allem Logistik-Programme für Verkehrsbetriebe (etwa für Athen und Köln) und für das mobile Internet, mit denen der Mobilfunk-Kunde zu seinem Aufenthaltsort passende Informationen auf seinem Handy erhalten soll.

Bereits seit knapp 14 Monaten am Neuen Markt und damit Branchenältester in dem High-Tech-Segment ist das Unternehmen D.Logistics. Es hat bei einer optimalen Organisation erhebliches Einsparpotenzial im Logistik-Bereich von Unternehmen errechnet: Da die Logistik in der Industrie elf und im Handel sogar 19 Prozent der Gesamtkosten verschlinge, sieht das hessische Unternehmen Kostensenkungspotenziale zwischen sechs und sieben Prozent der Gesamtkosten, hinzu kämen bis zu einem Drittel kürzere Lieferzeiten.

D.Logistics, erst vor kurzem aus einem seit 1890 bestehenden Speditionsunternehmen neu gegründet, zählt unter anderem Gillette und Bosch zu seinen Kunden und will den Umsatz bis 2001 auf 260 Millionen Euro vervierfachen. Auch die Gewinnentwicklung soll proportional mitziehen. Die Börse hat diese dynamische Entwicklung mit gewaltigen Vorschusslorbeeren bedacht: Seit der Emission Ende April 1999 hat sich der Kurs etwa vervierzehnfacht, von 4,99 auf aktuell gut 70 Euro. Angesichts eines Kurs-Gewinn-Verhältnisses (Basis: 2000) von deutlich über 300 ist das Papier damit ziemlich teuer.

Erst letzten Mittwoch hat mit der Microlog AG ein weiterer Logistik-Anbieter die Gunst der Stunde genutzt. Trotz des eher schwachen Börsenumfeldes katapultierten die Anleger das Papier bereits am ersten Handelstag um 64 Prozent in die Höhe. Microlog, 1996 als Spin-off aus dem schwedischen Esselte-Konzern ausgegliedert, konzentriert sich auf Logistik- Dienstleistungen für den Mittelstand, wobei die Logistikprozesse entweder beim Kunden selbst (Inhouse-Logistik) oder in einem von Microlog betriebenen Zentrum umgesetzt werden. Die Einsparungen liegen nach Darstellung des Lorscher Unternehmens bei etwa 20 Prozent, die zur Hälfte an Microlog gehen.

Zu den Hauptkunden zählen unter anderem Kappa Wellpappe, Henkel Teroson und Time/System. Microlog, mit einem erwarteten Umsatz von 50 Millionen Euro kleiner und beim aktuellen Kurs auch billiger als D.Logistics, will bis 2003 jährlich um knapp 50 Prozent wachsen. Das Ergebnis soll sich binnen drei Jahren von 16 Eurocent je Aktie (1999) mehr als versechsfachen.

Während viele reine Internet-Händler oder Softwarehäuser deutlich gerupft aus der jüngsten Korrektur am Aktienmarkt kamen, hat sich auch Thiel Logistik in der Frühjahrskrise gut behauptet. Das Luxemburger Unternehmen, größter und ertragstärkster Logistik-Spezialist am Neuen Markt, hat den Kurs seit dem Börsengang im März fast verdreifacht. Beflügelt hat die Phantasie der Anleger nicht nur die im Vergleich zu D.Logistics niedrigere Bewertung, sondern vor allem die zwei stark wachsenden Thiel-Kernbereiche e-commerce und health-care-logistics.

Das Unternehmen betreut derzeit etwa 500 Web-Firmen, in den nächsten Jahren soll sich die Kundenzahl vervielfachen. Und die Luxemburger koordinieren die Logistik von 1700 der bundesweit 4500 Kliniken und Alten- bzw. Pflegeheime - ein Sektor, der stark wächst und zugleich strikten Sparmaßnahmen unterworfen ist. Lagere eine Klinik die Logistik an die "intelligenten, IT-gesteuerten Thiel-Systeme" aus, so verspricht das Unternehmen, könnten ein Viertel der Logistik-Kosten bzw. bis zu sieben Prozent der Gesamtkosten gespart werden. Bereits 2002 will Thiel 400 Millionen Mark im Markt für Kliniklogistik erwirtschaften.

Die Logistik-Branche, so stellte die Deutsche Bank Ende Mai in einer Analyse fest, werde weiter überdurchschnittlich wachsen. Dass die Branche momentan eines der Lieblingskinder des Marktes ist, zeigt das Kursziel der Bank: Vor Monatsfrist bis Mai 2001 auf 82 Euro festgelegt, ist es jetzt, vier Wochen später, bereits eingeholt. Doch Vorsicht: Trotz des dynamischen Gewinnwachstums sind die Logistiker damit bereits teuer bezahlt.

Veronika Csizi

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