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Wirtschaft: Neuer Markt für alte Policen

Beim Arbeitslosengeld gilt ab 2005 ein Freibetrag für Altersvorsorgeprodukte. Wer darüber liegt, erhält kein Geld

Berlin. Der Eintritt in den Ruhestand ist die magische Grenze. Nur für Lebensversicherungen, die ab diesem Zeitpunkt ausgezahlt werden, können Empfänger des künftigen Arbeitslosengeldes II (ALG II) einen gesetzlichen Freibetrag von 200 Euro pro Lebensjahr geltend machen. Hinzu kommen jeweils weitere 200 Euro für Privatvermögen. Den Start der Mixtur aus Arbeitslosen- und Sozialhilfe hat der Vermittlungsausschuss um sechs Monate auf Januar 2005 verschoben, und ob das Ruhestandsalter bei 65 Jahren bleibt, ist noch offen. Fest steht: Ein 40-jähriger ALG-II-Empfänger darf 8000 Euro und eine Lebensversicherung in gleicher Höhe behalten. Wer darüber liegt, erhält kein Geld. Und wer die Police zu früh ausgezahlt bekommt, guckt ohnehin in die Röhre.

Ein relativ unbekannter Ausweg ist der vorzeitige Verkauf der Police an einen Händler. Zwar wird jeder zweite der 91 Millionen Lebensversicherungsverträge in Deutschland vorzeitig gekündigt, doch die meisten Kunden regeln dies mit ihrem Anbieter. Mit wachsendem Bekanntheitsgrad dürfte sich der Handel mit Second-Hand-Policen jedoch durchsetzen, auch beflügelt durch das ALG II. Der Blick auf den 150 Jahre alten britischen Markt und das vor zehn Jahren entstandene US-Geschäft zeigt, welches Potenzial im Policenhandel steckt.

Der seit 1999 bestehende deutsche Markt ist in den Händen weniger Anbieter. Während die Policenbörse Barwert aus Ahrensburg bei Hamburg nur zwischen Käufern und Verkäufern vermittelt, haben sich die Münchener Cashlife und die Stuttgarter BCnet auf den Handel spezialisiert.

Ihr Geschäft läuft gut: BCnet hatte im Vorjahr für 80 Millionen Euro Policen eingekauft und 2003 für 300 Millionen Euro. Cashlife hat in diesem Jahr 180 Millionen Euro an Policenverkäufer ausgezahlt, 50 Millionen Euro mehr als 2002. Lutz Schroeder, Vertriebsvorstand der Münchener: „Etwa die Hälfte unserer Kunden verkauft aus einer akuten Geldnot, häufig ausgelöst durch Arbeitslosigkeit, Schulden oder Scheidung.“ Tatsächlich bietet der Policenverkauf den Kunden mehr Vorteile als die Rückgabe: Bei Kündigung zahlt der Versicherer nur den mageren Rückkaufswert, sprich das Sparguthaben inklusive Zinsen abzüglich Provisions- und Verwaltungskosten und einer Stornogebühr. Je früher der Versicherte kündigt, desto schlechter. Denn die Rendite steigt erst im zweiten Abschnitt der Laufzeit sprunghaft. Zudem kassiert der Fiskus Kapitalertragssteuer und Solidaritätszuschlag, wenn der Abschluss weniger als zwölf Jahre her ist.

Beim Verkauf wird die Police dagegen unter dem Namen des Versicherten weitergeführt, so dass weder Stornogebühren noch Steuern anfallen. Darüber hinaus bleibt der Todesfallschutz teilweise erhalten. Ein Beispiel von Cashlife: Nach elf Jahren hat eine Police mit dreijähriger Restlaufzeit einen Rückkaufswert von 39906,94 Euro. Abzüglich Steuer und Soli bleiben 36097,66 Euro. Der Händler zahlt dem Versicherten steuerfrei 40573,77 Euro – ein Plus von 12,4 Prozent. Die Rechnung ist optimistisch. Im Schnitt liegen die Münchener Preise um drei bis sieben Prozent über Rückkaufswert, die von BCnet um 4,5 Prozent.

Die Händler folgen strengen Kriterien. BCnet-Sprecher Gerhard Werner Kluge: „Wir bekommen 2000 Anfragen im Monat und kaufen in der Regel 800 bis 1000 Policen.“ Ihre Restlaufzeit sollte fünf bis 15 Jahre betragen und der Rückkaufswert mindestens 6000 Euro (siehe Tabelle). Cashlife kauft derzeit nur Verträge von 38 der 122 aktiven Anbieter. Direktversicherungen scheiden aus.

Beim Verkauf muss der Kunde Rückkaufswert, Ablaufleistung und Jahresbeitrag der Police kennen. Dann kalkuliert Cashlife, ob der Versicherer seine prognostizierte Ablaufleistung erreichen kann. Je unwahrscheinlicher die Prognose, desto höhere Abschläge berechnen die Münchener. Dabei kommen die Händler stets auf ihre Kosten – ihre Kaufpreise liegen unter dem tatsächlichen Wert der Policen. Deshalb rät Allianz-Leben-Sprecher Markus Schwarzer: „Wenn Käufer einen Gewinn mit der Police erzielen wollen, ist es auch für Kunden interessant, diese fortzuführen.“ Etwa mit Policendarlehen oder Beitragsstundung. Wer jedoch die Finanzkraft des Versicherers bezweifelt oder damit rechnet, ab 2005 ALG II zu beziehen, sollte durchrechnen lassen, ob sich ein Verkauf rentiert. Der umgekehrte Weg lohnt sich für Privatleute nicht: Der Käufer einer Second-Hand-Police muss die Erträge voll versteuern.

Christina Anastassiou

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