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Wirtschaft: Neuer Markt: Leere Versprechen

Sudhir Bhatia beginnt das neue Jahr mit einem Knall. Am 2.

Sudhir Bhatia beginnt das neue Jahr mit einem Knall. Am 2. Januar 2001 um 18 Uhr geht er in seinem Büro zum Fax-Gerät und verschickt ein Übernahmeangebot - allerdings nicht an eine Firma oder deren Aktionäre, sondern an 600 Medienvertreter. Die Nachricht lässt am nächsten Tag den Aktienkurs von Bhatias Wunschobjekt - des insolventen Internetunternehmens Gigabell AG - um 196 Prozent steigen. Aber der Knall verhallt schnell. Bhatia zieht sein Angebot zurück. Nur eineinhalb Monate später verliert Gigabell endgültig die Börsenzulassung.

Gigabell war nur eines von drei Unternehmen, deren Übernahme Bhatia in diesem Jahr ankündigte - und dann doch nicht durchführte. Denn Bhatias eigene Firma, die Microboss Software AG in Duisburg, ist klein. Im vergangenen Jahr wies sie einen Umsatz von gerade einmal drei Millionen Mark aus. Trotzdem besteht Bhatia darauf, dass dieses und die beiden anderen Angebote ernst gewesen seien.

An einem Nachmittag vor einigen Tagen erklärt Bathia - in einem ausgewaschenen T-Shirt und grauen Jeans - den Versuch, Matchnet zu kaufen, das seinerzeit noch Verluste schrieb. Ein Unternehmen, das Menschen im Internet zusammenführt. Bathia wollte es erwerben und in eine Biotechnologie-Firma umwandeln. Er veröffentlichte am 9. Januar ein Angebot, Microboss- gegen Matchnet-Aktien zu tauschen - freilich ohne nähere Angaben zum Umtauschverhältnis. Der Kurs der Matchnet-Papiere legte daraufhin kurzfristig um 28 Prozent zu, als die Nachricht die Händler auf dem Parkett erreichte. Nach der Übernahme sollte sich das Unternehmen auf Genforschung konzentrieren. "Ich stehe zu meiner Idee", sagt Bhatia. "Diese Firma hat durch ihren Börsengang 20 Millionen Euro eingenommen. Und was machen die damit? Anstatt es zum Fenster hinauszuwerfen, sollten sie es lieber uns geben. Und wir würden etwas Sinnvolleres damit anfangen."

Etagen voller Elektroschrott

Während er spricht, spielt Bhatia mit einem MP3-Gerät aus Südkorea. Der Verkauf solcher Importware ist Kern der Geschäftstätigkeit von Microboss Software. Aber Bhatia kann das Gerät nicht in Gang setzen. "Warten Sie", sagt er, "ich hole eine neue Batterie." Auch das hilft nichts. "Ich versteh das nicht", murmelt er, während er die Batterien in ein Ladegerät gibt. Ähnlich ergeht es offenbar auch vielen Microboss-Kunden. Ein paar Straßen entfernt liegt das Microboss-Lager. Ein Mitarbeiter testet dort Produkte, die reklamiert wurden - und die sich auf beiden Etagen des Lagerhauses stapeln. Aber das beunruhigt Bhatia nicht weiter. "Wenn man so viele Produkte verkauft, sind ein oder zwei kaputt. Deshalb bieten wir auch einen Reparatur-Service an."

Mit seinen ungekämmten Haaren und dem Gesicht eines Erzengels entspricht Bhatia nicht dem üblichen Bild von einem Geschäftsmann. Nach einem Abschluss in Medizin, den er in seinem Heimatland Indien machte, kam er 1987 nach Deutschland, um in Göttingen weiterzustudieren. Frustriert von niedrigen Löhnen kehrte er der Medizin jedoch den Rücken und gründete 1993 das Unternehmen Microboss in Stuttgart. 1997 zog die Firma nach Duisburg - in die Nähe ihrer wichtigsten Kunden im Ruhr-Gebiet. Um Geld für die weitere Expansion zu haben, verkaufte Bhatia im Mai 2000 einen Teil seiner Anteile über die Broker von Future Securities, die damals Aktien von Unternehmen handelte, die einen Börsengang planten. Als die direkte Börseneinführung immer unwahrscheinlicher wurde, suchte Bhatia nach einem anderen Weg, um den Wert seiner Firma zu steigern. Die Wirren um die Pleite des Internetanbieters Gigabell kamen ihm gerade recht. Denn bei einer Übernahme hätte er Gigabell als Hülle benutzt, um Microboss an den Neuen Markt zu bringen.

Das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel (BAWe) in Frankfurt am Main verhinderte das jedoch. Denn Bhatia hatte gegen die Börsenregeln verstoßen, indem er das Übernahmeangebot öffentlich machte, bevor er es der Börsenaufsicht mitteilte. Bhatia sieht das zwar ein, aber so sei nun einmal seine Geschäftsphilosophie: Erst handeln, dann die Konsequenzen überdenken. Das BAWe begann mit einer Untersuchung nach dem Kurssprung der Gigabell-Aktien, stellte diese aber bald wieder ein. Die Begründung: Solche Schwankungen seien bei volatilen Papieren krisengeschüttelter Unternehmen nicht ungewöhnlich.

Den letzten Übernahmeversuch startete Bhatia vergangenen März. Wieder bot er einen Aktientausch an, diesmal für den am Neuen Markt notierten Software-Entwickler Prout AG. Die Prout-Aktie legte am ersten Tag nach Bekanntgabe seiner Pläne um 14,7 Prozent zu. Warum aber sollte ein Importeur von MP 3-Geräten einen Nischenanbieter für Software kaufen? Bhatia findet die Frage amüsant. "Als Geschäftsführer weiß man eine Menge mehr über diese Dinge." Er lacht und als er sich davon erholt hat, erklärt er: "Ich weiß, was ich tue." Derzeit plant Bhatia keine neuen Versuche, bevor Microboss nicht selber den Börsengang geschafft hat - vielleicht im kommenden Jahr am Neuen Markt.

Opfer fordern Unterstützung

Allerdings entscheidet der Bundestag im Herbst über ein neues Finanzmarktgesetz. Danach wäre das BAWe dazu berechtigt - im Gegensatz zu heute - Manipulation von Aktienkursen zu bestrafen. Das könnte das Ende für manche Übernahmeversuche bedeuten. In der Zwischenzeit fordern die Übernahmeopfer, die sich Bhatia ausgesucht hatte, Unterstützung von Seiten der Deutschen Börse. "Die hätten wenigstens sagen können: Ja, wir haben hier einen unschönen Fall gehabt und wir werden dafür sorgen, dass so etwas nicht wieder passieren kann ", sagt Elmar Bob, Geschäftsführer von Matchnet Deutschland. "Aber gesagt haben sie nichts".

Alfred Kueppers

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