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Wirtschaft: Neuer Markt unter Aufsicht: Verantwortung darf nicht nur ein Nebenjob sein

Im vergangenen Jahr sind 132 Unternehmen an den Neuen Markt gegangen - darunter viele Internetfirmen. Nicht nur die Unternehmen waren jung, oftmals war es auch das Management.

Im vergangenen Jahr sind 132 Unternehmen an den Neuen Markt gegangen - darunter viele Internetfirmen. Nicht nur die Unternehmen waren jung, oftmals war es auch das Management. Das Wachstum finanzierten sie mit Risikokapital und dem Börsengang. Doch ebenso schnell, wie die Firmen an der Börse aufstiegen, stellte sich bald heraus: Das Wachstum muss professionell gemanagt werden. Und daran scheiterten viele. Doch was ist mit denen, die ihre Arbeit zu beaufsichtigen hatten? "Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung zu überwachen", so steht es knapp im Aktiengesetz. Haben auch die Wächter versagt?

Gerade einmal vier Sitzungen im Jahr sind für den Aufsichtsrat vorgeschrieben. Viel zu wenig, wenn man bedenkt, dass ein Jahr in der Zeitrechnung des Internets sieben Jahre bedeuten. Die Kontrolle kleiner Wachstumsfirmen erfordert mehr Einsatz als bei Dax-Unternehmen. "Es reicht nicht, sich alle drei Monate die Quartalszahlen anzusehen", sagt Klaus Nieding von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). "Der Aufsichtsrat muss sich regelmäßig einmal im Monat die Zahlen zeigen lassen." Auf die Aufsichtsratssitzungen eines Old-Economy-Unternehmens könne er sich im Flugzeug vorbereiten, sagt der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt. Er sitzt unter anderem auch in den Aufsichtsgremiem von drei Internetfirmen. Bei diesen Unternehmen "muss man dran bleiben und hinterfragen", sagt er. So ein Posten verlange viel Zeit und Idealismus. Daran fehlt es jedoch offenbar vielen Aufsichtsräten. Und es fehlt an Professionalität.

Hauptberufliche Aufsichtsräte gibt es in Deutschland - im Gegensatz zu den angelsächsischen Ländern - nicht. In Deutschland sind diese Posten ein Nebenjob. So sitzt etwa der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Mannesmann AG, Klaus Esser, im Aufsichtsrat von Philipp Holzmann. "Als der Baukonzern im November/Dezember 1999 in die Krise geriet, da hatte Klaus Esser anderes zu tun", sagt Nieding. Der Mannesmann-Chef versuchte damals nach Kräften, die feindliche Übernahme seines Unternehmens durch Vodafone abzuwehren. Auch die Auswahl der Aufsichtsratsmitglieder wird hier zu Lande nicht so professionell betrieben wie etwa in den USA und Großbritannien, sagt Hermann Sendele, Mitglied des Vorstands bei Spencer Stuart. Das Personalberatungsunternehmen vermittelt Führungskräfte und eben auch Aufsichtsräte. "In den USA und Großbritannien werden Aufsichtsräte nach genau den selben Kriterien ausgewählt wie die Mitglieder des Vorstands. Da wird genau festgelegt, was einer können muss und welchen Beitrag er leisten kann", sagt Sendele. In Deutschland würden Aufsichtsräte dagegen primär aus dem Umfeld der Unternehmen bestimmt. Hier laufe es eher nach dem Prinzip: Wer kennt wen? "Es herrscht eine diskrete Atmosphäre der Benennung", sagt Sendele.

Unter seiner Klientel beobachtete Sendele zudem, dass die gestandenen Manager der Old Economy nicht bereit waren, sich auf das Wagnis einzulassen, Verantwortung bei den jungen Internetfirmen zu übernehmen. Bei der großen Euphorie zu Beginn vergangenen Jahres hätten Zahlen keine Rolle gespielt. "Was wollen sie da beaufsichtigen?"

Herbert Hansen, von der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre (SdK) nennt drei Punkte, wie das deutsche System verbessert werden könnte: Erstens müsse die Zahl der Aufsichtsratsmandate, die eine Person übernehmen kann, von zehn auf fünf herabgesetzt werden. Nieding von der DSW hält für unzureichend. "Ich kenne Aufsichtsräte, die sind schon mit einem Posten überfordert." Die Beschränkung auf weniger Posten allein, könne also wenig helfen.

Wirkungsvoller im Bemühen, die Qualität der Kontrolle zu verbessern, erscheint dagegen Hansens zweiter Punkt: Die Möglichkeit, Aufsichtsräte in die Haftung zu nehmen, müsse verbessert werden. "Wir haben die Haftungsregeln bereits. Sie müssen nur angewendet werden", sagt Nieding. Ihm sei nur ein Fall bekannt - der des Sportbodenherstellers Balsam - wo ein Aufsichtsrat tatsächlich zur Zahlung von fünf Millionen Mark Schadenersatz verurteilt worden sei.

Bei Hansens drittem Punkt sind sich die Aktionärsvertreter jedoch einig: Aufsichtsräte müssen für ihre Tätigkeit angemessen bezahlt werden. "Wenn die Arbeit gut entlohnt wird, kann man sie auch für gute Leute attraktiver machen", sagt Nieding. Um die Qualität der Kontrollarbeit zu verbessern fordert er außerdem, dass Aufsichtsratsposten mit unabhängigen Leuten besetzt werden: keine Kreditgeber, keine Kunden, keine Personen aus Partnerunternehmen und auch keine Familienangehörigen.

An der Professionalisierung des Aufsichtsratswesens in Deutschland arbeitet auch die Unternehmensberatung Müller, Brandt & Cie. Wolfgang Müller (35) verweist auf seine 14-jährige Erfahrung als Unternehmer in der New Economy: "In den Aufsichtsräten wird zu viel repräsentiert und zu wenig gearbeitet." Gerade die Vorstände der New Economy brauchten den Rat erfahrener Kollegen. Daher vermitteln Müller und seine Partner nicht nur Aufsichtsräte, sie entwickeln auch ein Ausbildungsprogramm und ein Zertifikat.

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