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Fischer vor dem Ilulissat Eisfjord in Grönland.

© Sean Gallup/Getty Images

Neues Geschäftsmodell dank Klimawandel: Grönland will Schmelzwasser an kommerzielle Unternehmen verkaufen

Im Interview erklärt Grönlands Energieminister, warum sein Land jetzt Wasser exportieren will. Und weshalb er trotz Erderwärmung auf Öl- und Gasförderung setzt.

Von Jakob Schlandt

Grönland will wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen und seine Abhängigkeit von Dänemark verringern. Im Interview erklärt Grönlands Industrie- und Energieminister Jess Svane, wie die riesige, dünn besiedelte Insel das schaffen will und welche Rolle der Klimawandel dabei spielt.

Die grönländische Regierung will Trinkwasser zu einem Exportprodukt für den Weltmarkt machen. Wie kommen Sie damit voran?
Wir haben untersucht, wie sauber unser Wasser ist, wie viel verfügbar ist und für wie viele Jahre wir es wirtschaftlich nutzen können. Jetzt sagen wir der Welt: Wir haben große Mengen reinsten Wassers, und wir bieten ihr an, diese Ressource zu nutzen. Es gibt bisher neun kleinere Projekte, die Lizenzen zum Export von Wasser erhalten haben. Aber wir wollen expandieren und unser Wasser mit dem Rest der Welt teilen. Wir haben insgesamt 16 Lizenzen zur Wassergewinnung ausgeschrieben.

Wer soll Ihr Wasser kaufen? Gut versorgte Industrieländer oder südliche Regionen der Welt, die besonders unter Wassermangel leiden?
Unsere Zielgruppe sind kommerzielle Unternehmen. Welche Märkte sie mit dem Wasser dann anstreben, ist ihre Sache.

Ihr Wasser ist Schmelzwasser aus dem grönländischen Eisschild. Die Klimaerwärmung macht es in immer größeren Mengen verfügbar – ein Geschäftsmodell mit traurigem Hintergrund.
Uns ist natürlich klar, dass der Klimawandel zum Schmelzen des Eises beiträgt. Aber er sorgt auch dafür, dass die Wasserknappheit auf der Welt zunehmen wird. Schmelzwasser in großen Mengen gibt es in Grönland seit Jahrtausenden. Jetzt erkennen wir, dass wir daraus ein marktfähiges Produkt machen können, das anderswo fehlt. Es ist Wasser, das bei uns sonst ungenutzt abfließen würde.

Öl und Gas sind zwei weitere grönländische Ressourcen, die im Moment noch begehrter sind. Wie wollen Sie dieses Geschäft entwickeln?
Unsere Regierung hat einen Regulierungsrahmen entworfen, der eine nachhaltige Nutzung dieser Ressourcen ohne Schäden für die Umwelt vorsieht. Letzteres gilt auch für unseren eigenen Energiebedarf. 70 Prozent unserer Stromversorgung leisten wir mit Wasserkraft. Mit zwei neuen Kraftwerken in den nächsten zehn Jahren wollen wir diesen Anteil auf 90 Prozent steigern. Im Vergleich zu vielen Ländern nutzen wir viel mehr nachhaltige Energie.

Grönlands Industrie- und Energieminister Jess Svane.
Grönlands Industrie- und Energieminister Jess Svane.

© Regierung Grönland

Aber wenn Sie Öl- und Gasförderung zulassen, tragen Sie dazu bei, dass auf der Welt nicht nachhaltige Energie genutzt wird, die das Klima weiter aufheizt.
Wir leben in einer sehr weit abgelegenen, sehr großen Region. Wir brauchen neue Einkommensmöglichkeiten für unsere Bevölkerung. Soweit wir sehen können, wird der globale Öl- und Gasbedarf weiter steigen. Grönland hat das gleiche Recht wie alle anderen Nationen, diese Einkommensquelle zu nutzen, bis auf der Welt ausreichend erneuerbare Energie gewonnen werden kann.

Mithilfe von Öl und Gas könnte Grönland auch seine Abhängigkeit von Dänemark verringern.
Am wichtigsten ist unserer Regierung, dass Grönland ein Einkommen auf der Grundlage nachhaltiger Entwicklung hat. Bisher stammt 90 Prozent unseres Einkommens aus der Fischerei. Wir versuchen, unsere Wirtschaft zu diversifizieren durch Dinge, die der Welt von Nutzen sein könnten – wie zum Beispiel Wasser, aber auch die Ausweitung des Tourismus, den Betrieb von Rechenzentren mit sauberem Strom und mehr Schiffsverbindungen in die Welt.

Das Bild des Kopenhagener Klimaforschers Steffen M. Olsen ging um die Welt. Es zeigt, wie acht Hunde einen Schlitten an einem außergewöhnlich warmen Tag über das Meereseis ziehen. Statt des Eises ist jedoch nur noch knöchelhohes Schmelzwasser zu sehen.
Das Bild des Kopenhagener Klimaforschers Steffen M. Olsen ging um die Welt. Es zeigt, wie acht Hunde einen Schlitten an einem außergewöhnlich warmen Tag über das Meereseis ziehen. Statt des Eises ist jedoch nur noch knöchelhohes Schmelzwasser zu sehen.

© Danmarks Meteorologiske Institut/Steffen M. Olsen/dpa-bildfunk

Dient das alles dem Ziel, formal unabhängig zu werden?
Wir haben eine Kommission, die sich dieses Thema ansieht und eine Verfassung vorbereitet. Wenn sie ihre Arbeit abgeschlossen hat, wird sie ihre Ergebnisse präsentieren. Die Menschen in Grönland möchten wirtschaftlich unabhängig werden, und diesen Kurs verfolgen wir im Moment. Das Parlament wird entscheiden, ob auch die formale Unabhängigkeit eine Möglichkeit ist. Die Regierung hat kein Datum für eine Unabhängigkeit gesetzt.

Im Sommer ging ein Bild von grönländischen Schlittenhunden um die Welt, die bis zu den Knöcheln durch Schmelzwasser liefen. Wie geht Grönland mit den Folgen des Klimawandels um?
Das Bild der Hundeschlitten im Wasser entspricht der Wahrheit. Wir nutzen diese Hundeschlitten nach wie vor – zum Jagen und Fischen, aber auch für den Tourismus. Der Klimawandel hat uns insofern getroffen, als wir in dieser Jahreszeit viele Strecken weder mit Booten noch mit Hundeschlitten zurücklegen konnten. Auf diese Weise hat die Klimaerwärmung unsere Wirtschaft beeinträchtigt. Umso mehr will unsere Regierung zeigen, dass wir saubere Energie nutzen und damit zur Reduktion menschgemachter Emissionen beitragen.

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