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Wirtschaft: Nicht länger, sondern flexibler arbeiten

Fachleute und Tarifpolitiker greifen die Arbeitszeitdebatte auf/IG Metall: „Einfältige Politikkomödie“

Berlin - Die Masse macht’s. Eine Stunde in der Woche mehr arbeiten fällt für jeden Einzelnen kaum ins Gewicht. Aber die Volkswirtschaft insgesamt profitiert: Die Wirtschaft wächst zusätzlich um mehr als ein Prozent, 60000 Arbeitsplätze entstehen und die öffentlichen Haushalte nehmen zwölf Milliarden Euro mehr ein. Beeindruckende Zahlen, ausgerechnet vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. „Die Arbeitnehmer könnten die zusätzlichen Stunden in der Firma sicherlich verschmerzen. Schließlich verbringen sie heute rund 700 Stunden im Jahr weniger im Job als noch zu Wirtschaftswunder-Zeiten“, schrieb das IW Mitte letzten Jahres über die Effekte einer Arbeitszeitverlängerung unter der Überschrift: „Wieder in die Hände spucken.“

Die aktuelle Debatte über weniger Arbeits- und Feiertage oder die Verlängerung der Wochenarbeitszeit findet IW-Mitarbeiter Christoph Schröder aber schlicht „platt“. „Wir sollten in der Diskussion weiter sein und mehr differenzierte Arbeitszeitregelungen auf betrieblicher Ebene ermöglichen.“ In der Bewertung der aktuellen Politikeräußerungen zur Arbeitszeit ist sich DGB-Tarifexperte Reinhard Dombre mit dem Arbeitgeberfachmann Schröder einig. „Rudi Ratlos geht um.“ Von Sachverstand seien die Wortbeiträge eher selten geprägt.

Was soll eine generelle Rückkehr zur 40-Stunden-Woche, wenn im Schnitt jeder Beschäftigte in Deutschland tatsächlich 39,9 Stunden arbeitet, obwohl die durchschnittliche tarifliche Arbeitszeit nur bei 36 Stunden liegt? Die Differenz zu den 39,9 Stunden erklärt sich auch mit rund 1,6 Milliarden Überstunden, die jedes Jahr geleistet werden. Allerdings müssen dafür zum großen Teil Überstundenzuschläge gezahlt werden. Das tun die Arbeitgeber nicht gerne.

IW-Mitarbeiter Schröder wünscht sich deshalb breitere Zeitkorridore. Zum Beispiel wie bei VW, wo künftig das Arbeitszeitkonto plus/minus 400 Stunden schwankt. Überstundenzuschläge dürfte es künftig bei VW kaum noch geben, das Unternehmen spart jedes Jahr einen zweistelligen Millionenbetrag. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt forderte denn auch für alle Firmen „weiter gehende Arbeitszeitkorridore“, dem sich Martin Kannegiesser, Präsident von Gesamtmetall, anschloss. „Generell muss die Bereitschaft zu erhöhtem beruflichem Engagement mit einen entsprechend längeren Arbeitszeitvolumen gestärkt werden", sagte Kannegiesser dem Tagesspiegel. Er sprach sich für einen „Arbeitszeitkorridor zwischen 30 und 40 Stunden mit proportionaler Bezahlung“ aus. Wo es vorübergehend aus konjunkurellen Gründen an Aufträgen mangelt, „sollte 30 Stunden mit entsprechender Lohnabsenkung gearbeitet werden, was heute schon möglich ist". Für eine Verlängerung auf 40 Stunden auch ohne Lohnausgleich sprach sich Kannegiesser in den Fällen aus, „wenn ein Kostenproblem besteht“.

Als „einfältige Politikkomödie“ bewertete der zweite IG-Metall-Vorsitzende Berthold Huber die Arbeitszeitdebatte. „Ich warte auf die Idee, die Abschaffung aller Wochenenden zu fordern und mit diesen 104 zusätzlichen Arbeitstagen ein Wirtschaftswachstum von 10,4 Prozent zu erzielen. Das ist makroökonomischer Analphabetismus“, sagte Huber. Entscheidend sei nicht, wie lange, sondern wie produktiv gearbeitet wird.

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